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Forschung

Die Mustererkennung objektivieren

Patholog:innen sind in der Tiermedizin unverzichtbar, um eine Todesursache, eine Krankheit oder eine Prognose dingfest zu machen. Weil Christof Bertram die Limits dieser subjektiven Expertise gut kennt, arbeitet er mit Unterstützung von Computer Scientists daran, die Augen von Patholog:innen mit Bilderkennungsalgorithmen zu unterstützen.

Christof Bertram steht vor einem Bildschirm und erklärt eine Heatmap
Foto: Thomas Suchanek/Vetmeduni

Der Pathologe Christof Bertram trainiert eine Bilderkennungs-KI darin, verschiedene Stadien der Zellteilung zu bestimmen. Damit sollen künftig zuverlässigere Prognosen bei Krebserkrankungen möglich werden.

Patholog:innen sind analoge Spezialist:innen für Mustererkennung. Ihre Expertise ist in der tiermedizinischen Diagnose und Behandlungsentscheidung unverzichtbar, wenn sie die Puzzlesteine von Biopsien zu einem großen Bild zusammensetzen. Objektträger mit histologischen Schnitten unter dem Mikroskop und die Augen der Tierpatholog:innen sind die Basis für einen Vorgang, der viel mit dem Erkennen von morphologischen Mustern zu tun hat sowie der quantitativen Einschätzung bzw. dem Zählen von bestimmten Zelltypen oder Veränderungen. Die Beschreibung des Gesehenen mündet in Befundberichten nicht selten in Sätze im Konjunktiv, ergänzt um Floskeln wie „möglicherweise“, „nicht zweifelsfrei“ oder „nicht auszuschließen, dass“. Selbst wenn mehrere Kolleg:innen die gleiche Probe untersuchen, kommen sie nicht immer zum gleichen Urteil – denn es ist subjektiv. Christof Bertram, neuer Assistenzprofessor am Zentrum für Pathobiologie, der 2022 die Fachausbildung zum Diplomate des American College of Veterinary Pathologists absolviert hat, muss selbst herzlich lachen, wenn er davon erzählt. Er selbst arbeitet auch mit Gewebeproben, die hauchdünn aufgeschnitten und eingefärbt werden, und vermittelt die angewandte Kunst der „Lehre von den Krankheiten“ aber auch in Klein- und Großgruppen. Seit 2016 arbeitet er parallel daran, die kognitiven und visuellen Einschränkungen menschlicher Betrachter:innen mit KI-unterstützter Bilderkennung zu unterstützen. Grundvoraussetzung dafür sind immer Digitalisierungsgeräte, die physische Proben in Bild-Dateien übersetzen, was je nach Gerätetyp eine gewisse Variabilität mit sich bringt.

Pathologie meets Computer Science

Dass er sich auf Pathologie spezialisieren würde, hatte der gebürtigen Deutsche bis zur Approbation nicht auf dem Schirm. Aufgewachsen ist er in der Eifel nahe Köln. Im Berufsbild Tierarzt hat das Heilen und Behandeln von Tieren die stärkste Außenwirkung – und so wollte auch er es anlegen. Erst im Doktorat an der Freien Universität Berlin, mit einem engagierten Kooperationspartner aus den Computer Sciences, fand er zu seinem Spezialgebiet. Gemeinsam entwickelten sie Algorithmen, die die Aufgabe des Zählens und Bestimmens in digitalisierten Proben genauer und objektiver absolvieren, als ein Mensch das je könnte. Dabei trainiert und lernt die Bilderkennungssoftware stets mit geeigneten und geprüften Datensätzen. Die Motivation seines Tuns sind Verbesserungen in der Praxis: „Ich möchte eine Bilderkennungssoftware für Patholog:innen mitentwickeln, die in Laboren weltweit angewandt werden kann.“

Als 2021 in Wien eine Stelle am damaligen Institut für Pathologie ausgeschrieben wurde, zögerte Bertram nicht lange, den Bereich KI in der Pathologie an der Vetmeduni mit aufzubauen: „In der Forschung habe ich freie Hand und das macht neben Diagnose und Lehre für mich den großen Reiz einer akademischen Laufbahn aus.“

Mitosemuster breit erkennen

In einem vorhergehenden Forschungsprojekt von Christof Bertram wurde bereits ein erfolgreicher Algorithmus zur Mitoseerkennung in bestimmten Tumoren und Bildern von bestimmten Digitalisierungsgeräten entwickelt. Die Zellteilung (Mitose) ist ein natürlicher Vorgang, der in Krebsgewebe unkontrolliert gesteigert ist. Nun geht es für ihn und seine Kooperationspartner in einem aktuellen FWF-Projekt darum, die Bilderkennung „toleranter“ zu machen. Ein großer Schritt für eine zuverlässige Prognosestellung wäre, mittels Bilderkennungs-KI die Anzahl der Mitosefiguren (verschiedene Stadien der Zellteilung) zuverlässig zu bestimmen – und zwar in Bildern von verschiedenen Geweben, mit unterschiedlichen Färbe- und Schnitttechniken und Aufnahmen, die mit verschiedenen Geräten digitalisiert worden sind. In den nächsten drei Jahren stellt er ein aussagekräftiges Datenset mit grob 200.000 Mitosebildern zum Trainieren der Künstlichen Intelligenz zusammen.

Für seine Pathologie-Kurse hat er sich zum Ziel gesetzt, das Handwerk der aussagekräftigen Beschreibung des Gesehenen zu vermitteln. Als didaktisches Mittel hat er das Spiel „Stille Post“ weiterentwickelt. Seine Studierenden beschreiben ein Objekt oder Präparat anhand einer Checkliste mit wichtigen Kriterien. Diese Beschreibung wird laut vorgelesen und die Kolleg:innen versuchen auf einer Skizze die Merkmale und Parameter einzuzeichnen. Die Rückfragen und die Übung machen dabei letztlich alle zu Meister:innen.

Einziger Wermutstropfen auf seiner Mission ist für Christof Bertram, dass seine Familie noch in der Eifel wohnt, wo er jedes Wochenende hinpendelt. Dort leistet er aktuell viel Überzeugungsarbeit für einen künftigen Wohnsitz in Wien. Wenn ihm noch Zeit übrigbleibt, nutzt er seine geschulten Augen und Hände für Holzarbeiten, zum Beispiel den Laternenbau.

alle Fotos: Thomas Suchanek/Vetmeduni

Text: Astrid Kuffner

Der Beitrag ist in VETMED 02/2024 erschienen.