Mancherorts ist man vorsichtig geworden mit seinem Namen. Die Universität Salzburg hat ihm 2015 das Ehrendoktorat entzogen. Die Universität Wien stuft ihres seit 2023 als „problematisch“ ein. Gleichzeitig gibt es Kritik an solchen Aberkennungen. Vielfach, auch international und ebenso an der Vetmeduni wird Nobelpreisträger Konrad Lorenz namentlich nach wie vor in Ehren gehalten: So ist etwa das „Konrad Lorenz Institut für Vergleichende Verhaltensforschung“ am Wiener Wilhelminenberg nach ihm benannt.
NSDAP-Mitgliedschaft abgestritten
Konrad Lorenz kam 1903 in Altenberg bei Wien zur Welt und gilt als Mitbegründer der vergleichenden Verhaltensforschung. Vor allem ist er für seine Forschung an der Kommunikation von Graugänsen berühmt. „Der Spiegel“ bezeichnete ihn einst als „Einstein der Tierseele“. Im Alter von 70 Jahren erhielt Konrad Lorenz für seine Arbeit den Nobelpreis der Medizin. Außerdem war er Pionier der Grün-Bewegung in Österreich. Seine NSDAP-Mitgliedschaft hat er bis zu seinem Tod 1989 stets abgestritten. 1940 schreibt Lorenz von „Rassenpflege“, die „auf eine noch schärfere Ausmerzung ethisch Minderwertiger bedacht sein müsste, als sie es heute schon ist.“ Nach dem Krieg revidierte er: „Dass die Leute ‚Mord‘ meinten, wenn sie ‚Ausmerzen‘ oder wenn sie ‚Selektion‘ sagten, das habe ich damals wirklich nicht geglaubt.“ Wie sehr darf, kann, soll und muss man Konrad Lorenz und seine wissenschaftlichen Errungenschaften heute auch vor dem Hintergrund seiner nationalsozialistischen Gesinnung sehen? Und was bedeutet es, wenn man das tut?
Zeithistoriker Alexander Pinwinkler im Gespräch
Vetmeduni: Herr Pinwinkler, aufgrund Ihres Gutachtens hat die Universität Salzburg Konrad Lorenz 2015 das Ehrendoktorat aberkannt. Eine Entscheidung, die medial lautstark kritisiert und von den Lorenz-Biografen Klaus Taschwer und Benedikt Föger als „peinlich“ bezeichnet wurde. Haben Sie selbst je an der Richtigkeit gezweifelt?
Alexander Pinwinkler: Es ist nicht meine Aufgabe, die Entscheidung der Universität Salzburg in Frage zu stellen. Mein Job war es, die Biografie von Lorenz und aller anderen Träger:innen von Ehrenzeichen der Universität darzustellen und dabei auch deren NS-Involvierung. In einem Gutachten habe ich dann eine allgemeine Empfehlung abgegeben. Entschieden hat der akademische Senat der Universität Salzburg.
Konrad Lorenz hat sich in seinem Leben zwischen unterschiedlichen Polen bewegt. Bahnbrechender Naturwissenschaftler, Nobelpreisträger, Naturschützer, Pionier der Grün-Bewegung, aber auch einige Jahre lang Nationalsozialist. Wie schwierig ist es, eine solche Persönlichkeit posthum einzuordnen?
Ein differenzierter Zugang ist hier sehr wichtig. Man muss das gesamte Leben in den Blick nehmen und nicht nur die NS-Belastung herauspicken. Das heißt allerdings auch nicht, dass große Leistungen, die jemand nach 1945 für die Gesellschaft erbracht hat, eine Involvierung in den Nationalsozialismus aufwiegen. Vor allem, wenn man wie Lorenz nach dem Krieg problematisch damit umgegangen ist.
Von vielen Seiten wird aber betont, er habe sich umfassend für seine NS-Vergangenheit entschuldigt.
Es ist richtig, dass er sich unter Druck von außen, etwa rund um die Nobelpreis-Verleihung, von gewissen Begriffen distanziert hat. Zum Beispiel vom Begriff "Ausmerzung", den er viel verwendet hat. Allerdings nutzt er ihn noch im Jahr 1973 in seinem Buch „Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit“. Außerdem hat er die eugenischen Denkmuster seiner Lehre bis in die 1980er Jahre vertreten.
Konrad Lorenz scheint in vielen Aspekten schwer einordenbar. Einst war er Nazi. 1984 war er ein prominenter Unterstützer der zivilgesellschaftlichen Bewegung, die den Bau eines Donaukraftwerks in der Hainburger Au verhinderte. Auch, dass das Atomkraftwerk Zwentendorf nie in Betrieb ging, ist ihm mitzuverdanken. Wie passt das mit seiner NS-Geschichte zusammen?
Lorenz vertrat eine konservative Strömung innerhalb der Naturschutzbewegung. Er warnte vor der Apokalypse. Er kritisierte das Leben in der Großstadt, hielt das Landleben als Idealbild hoch - so wurde er zur Gallionsfigur der Naturschutzbewegung in Österreich. Interessant ist, dass er als konservativer Naturschützer bis heute von der rechten bis rechtsextremen „Neuen Rechten“ rezipiert wird. Für sie ist er Kronzeuge ihrer düsteren Visionen für den europäischen Menschen.
1938 suchte Konrad Lorenz um die NSDAP-Parteimitgliedschaft an. Was hat er sich vom Nazi-Regime versprochen?
Lorenz war in der Frühphase des NS-Regimes anschlussbegeisterter Nationalsozialist. Zum einen hat er sich gute Karrierechancen erhofft, die er im austrofaschistisch-katholischen Österreich nicht sah. Bald bekam er einen Lehrstuhl an der preußischen Vorzeigeuni Königsberg. Zum anderen gab es eine große Schnittmenge zwischen der NS-Ideologie und seiner Verhaltensforschung.
Konrad Lorenz war ein Vertreter der Eugenik, der Lehre der vermeintlich guten Erbanlagen. Heute beschäftigt die Frage, ob in seinen Thesen nicht inhumane Aspekte enthalten sind. Er hat von seiner Forschung an Tieren direkt auf die menschliche Gesellschaft geschlossen. Inwiefern entsprechen seine Forschungsansätze der NS-Ideologie?
Er vertrat etwa die Ansicht, dass Menschen, die in Großstädten leben, "domestiziert" werden und dass es "Selektion" und "Ausmerzung" braucht, damit man die negativen Folgen des Lebens in der Großstadt auf den Menschen abwenden kann. Hochproblematisch ist die sprachliche Nähe zu den Nationalsozialisten. Die Parallele zur NS-Rassenpolitik liegt auf der Hand. Wenngleich Lorenz nicht nachgewiesen werden konnte, dass er sich antisemitisch geäußert hätte - mit "Selektion" hat er sich auf die gesamte Menschheit bezogen.
Bevor Lorenz 1944 in sowjetische Kriegsgefangenschaft genommen wurde und 1948 nach Österreich zurückkam, wurde er 1942 zur Wehrmacht eingezogen. Man hat ihn im polnischen Poznań (Posen) als Militärpsychiater eingesetzt. Was weiß man hier über Lorenz‘ Rolle?
Wir wissen nicht, wie er praktizierte und was mit den Menschen passierte, die er behandelt hat. Hier sind viele Fragen offen. Fest steht, dass Lorenz im von der deutschen Wehrmacht besetzten Polen auch an der sogenannten "Hippius-Studie" mitgewirkt hat. Hier ging es um die Frage, ob es möglich sei, ursprünglich deutschsprachige Polen und Polinnen wieder „rückzudeutschen“, wieder zu Deutschen zu machen. Auch dazu gibt es aber keine Äußerungen oder Publikationen von Lorenz.
Der Forscher, der sich mit seinen Gänsen schwimmend im Wasser fotografieren ließ - Konrad Lorenz wurde international zur Ikone, auch nach 1945 und bis zu seinem Tod. Ab wann wurde in seiner NS-Vergangenheit gegraben?
Lorenz war ein Star. Er hat einen Gelehrtentypus markiert, der das Gegenteil eines steif wirkenden Professors war. Er hat mit seiner Selbstvermarktung das Heile-Welt-Bedürfnis der Nachkriegszeit bedient. Kritisch erörtert wurden einige seiner Publikationen schon in den 1950ern, etwa von dem US-Tierpsychologen Daniel S. Lehrman. Auch rund um die Nobelpreisverleihung 1973 ist eine Debatte um seine NS-Geschichte entbrannt. Welche Ansichten das Nobel-Komitee vertreten hat, werden wir Anfang 2024 erfahren. Erst dann, mehr als 50 Jahre nach der Verleihung, sind die Protokolle für die Forschung zugänglich.
Wie offen ist Konrad Lorenz selbst mit seiner NS-Involvierung umgegangen?
Wie viele andere nach dem Zweiten Weltkrieg hat er die Tatsache seiner NSDAP-Parteimitgliedschaft heruntergespielt. Er hat betont, ihm sei die Mitgliedskarte nie zugestellt worden. Auch die Mitarbeit an der "Hippius-Studie" hat er verschwiegen.
Sie haben im Rahmen der Ringvorlesung "Vom (Ver-)Schweigen zum Erinnern" an der Vetmeduni kürzlich zu Konrad Lorenz referiert. Nach dem Vortrag meldete sich ein erklärter Lorenz-Fan aus dem Publikum zu Wort, dem Ihre Ausführungen zu einseitig waren. Wie kann Erinnerung in Fällen wie jenem von Konrad Lorenz funktionieren?
Es ist wichtig, dass wir uns zu den problematischen und widersprüchlichen Aspekten einer öffentlichen Person aus heutiger Sicht positionieren. Lorenz war für viele Vorbild. Straßen, Institute, Schulen sind bis heute nach ihm benannt. Es geht nicht darum, Geschichte verändern zu wollen - wir sind dazu aufgefordert, Stellung beziehen. Erinnerungspolitisch sinnvoll hat das in meinen Augen zuletzt die Universität Wien gemacht. Sie hat ihr Ehrendoktorat für Lorenz zwar nicht aberkannt, aber als „problematisch“ eingestuft.
Konrad Lorenz' größter beruflicher Erfolg war zweifelsfrei die Verleihung des Nobelpreises für Medizin, den er für seine Verdienste im Feld der vergleichenden Verhaltensforschung erhielt. Hätte Lorenz diesen Preis denn überhaupt bekommen, wenn er nicht von Nazis gefördert worden wäre?
Lorenz' Beobachtungen haben Bestand. Die Prägungsthese, das sogenannte Kindchenschema. Möglicherweise hätte er den Nobelpreis auch ohne seine Involvierung in den Nationalsozialismus erhalten.
Zur Person:
Alexander Pinwinkler, geb. 1975, ist Privatdozent für Zeitgeschichte an der Universität Wien und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Internationalen Stiftung Mozarteum Salzburg. Er forscht und lehrt zu verschiedenen Themenfeldern der Wissenschafts-, Universitäts- und Gesellschaftsgeschichte sowie zur Erinnerungskultur.
Text und Interview: Marlene Groihofer