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Dirk Rupnow: Mit Schlagbohrer, Kunst und historischem Feingefühl

Videoaufzeichnung vom 21. November 2023, Vetmeduni

Auf 2.000 Seiten hat Zeithistoriker Dirk Rupnow sie gemeinsam mit Kollegin Margret Friedrich und weiteren Autor:innen schriftlich festgehalten: Die Geschichte der Universität Innsbruck von 1669 bis 2019. „Es ist nicht einfach, 350 Jahre Uni in ein Buch zu bekommen“, sagt Dirk Rupnow, „schließlich sind es drei Bände geworden.“ Ausführlich behandelt wird darin auch die Rolle der Universität Innsbruck während der Zeit des Nationalsozialismus. „Seit den 1980ern ist dazu bereits an der Uni geforscht worden. Es gab eine gute Grundlage, auf der man aufbauen konnte.“

Zuvor sah das Bewusstsein um eine Erinnerungskultur noch anders aus. „Lange ist die NS-Zeit bei Jubiläen völlig ausgeklammert worden“, sagt Dirk Rupnow. Zum 300-jährigen Jubiläum der Universität Innsbruck machte man 1970 gar den ehemaligen NS-Studentenfunktionär Hans Martin Schleyer zum Ehrensenator. „Obwohl seine NS-Vergangenheit in Innsbruck allen bekannt sein musste.“ Ganz anders verlief das 350-Jahr-Jubiläum 2019: Nicht nur nahm man es zum Anlass für die Veröffentlichung der dreibändigen Uni-Geschichte. Man legte einen expliziten Fokus auf eine kritische Beschäftigung mit der NS-Zeit und ihren Folgen. Die Uni widmete sich der Rehabilitierung von Widerstandkämpfer Christoph Probst. Außerdem ging man der Aberkennung akademischer Titel in der NS-Zeit nach und beschäftigte sich mit problematischen Ehrungen nach 1945. Auch bauliche Hinterlassenschaften wurden unter die Lupe genommen.

Christoph Probst: Wie einem von der Uni verunglimpften Widerstandskämpfer gedenken?

Wie die Universität Innsbruck mit der Erinnerung an Christoph Probst umgehen sollte, war lange nicht klar. Man wollte nicht den Eindruck erwecken, man schmücke sich mit einem Widerstandskämpfer. „Denn die Universität Innsbruck war kein großes Widerstandsnest, im Gegenteil“, so Rupnow. Der deutsche Widerstandkämpfer Probst studierte im Herbst 1942 in Innsbruck für wenige Monate Medizin. Er war Teil der Gruppe „Weiße Rose“, zu der auch die Geschwister Sophie und Hans Scholl gehörten. Am 22. Februar 1943 wurde er in München mit ihnen hingerichtet. Am Tag seiner Ermordung entschied die Universität Innsbruck, Christoph Probst von der Uni auszuschließen und verhängte ein Studienverbot für gleich alle deutschen Unis über ihn. „Zynisch – man konnte ahnen, dass sein Prozess an diesem Tag mit der Hinrichtung enden wird.“ 2019 machte man den Ausschluss von der Universität Innsbruck mit einer Zeremonie in Anwesenheit von Probsts Familie symbolisch rückgängig. Zur Reflektion der Ideale der „Weißen Rose“ – „Freiheit, Demokratie und Zivilcourage“ – findet seit 2020 jedes Sommersemester eine „Christoph Probst Lecture“ statt. 

Wie umgehen mit Aberkennungen und Ehrungen?

Zehn Promovierten der Universität Innsbruck wurde während der NS-Zeit ihr Doktortitel aberkannt. Außerdem kam es an der Uni unter dem NS-Regime zur Aberkennung eines Ehrendoktorats. Wie sich die Universität Innsbruck heute dazu positioniert? Die Recherchen zu Aberkennungen und Ehrungen seien nach wie vor, auch über das Jubiläumsjahr 2019 hinaus, „work in progress“, erklärt Dirk Rupnow. Dabei geht es einerseits um Rehabilitierung, andererseits um Problematisierung: Man untersucht verliehene Würdigungen auch in Hinblick auf eine NS-Involvierung ihrer Träger:innen. Im Gegensatz zu anderen Unis entschied man sich in Innsbruck allerdings dagegen, „problematische“ Ehrungen posthum zu entziehen. „Wo anfangen und wo aufhören? Die Grenzen verschwimmen.“ Man setzt auf Sichtbarmachung: Ergebnisse aus den Recherchen zu Aberkennungen und Ehrungen im Kontext der NS-Zeit veröffentlicht die Universität Innsbruck auf ihrer Homepage.

Was tun mit einem faschistischen Adler vor dem Hauptgebäude?

Ein steinerner Adler thront vor dem Hauptgebäude der Universität Innsbruck auf einem hohen dreieckigen Sockel. Ein Kunstwerk von Lois Welzenbacher aus dem Jahr 1926. „Ehre, Freiheit, Vaterland“, der Dreiklang der deutschen Burschenschaften, ist eingraviert. „Mit ‚Vaterland‘ ist 1926 das erträumte großdeutsche Reich gemeint, der Adler blickt gegen Süden, weil er um Südtirol trauert und es lässt sich eine faschistische Ästhetik erkennen“, sagt Dirk Rupnow. Schon lange versuchte die Uni, dem Adler etwas entgegenzusetzen. Mit einer kleinen Gedenktafel für Christoph Probst und einer weiteren für zwei ermordete Befreiungstheologen. 1993 wurde der Platz, auf dem sich das steinerne Werk findet in Christoph Probst-Platz umbenannt. Trotzdem zog der Adler immer wieder Burschenschafter als Fotomotiv an. Im Jubiläumsjahr 2019 entschied man sich zu einer künstlerischen Intervention am Uni-Ehrenmal – mithilfe eines Wettbewerbs. Künstler Wolfgang Flatz fügte dem Adler eine weiße Rose hinzu. Und hinterfragte „Ehre, Freiheit und Vaterland“ mithilfe des Wörtchens „welche?“ sowie blutroter Farbe.

Wie umgehen mit einem verschwundenen Hitler-Mosaik in der Aula?

Ein weiteres faschistisches Kunstwerk, das man an der Universität Innsbruck 2019 einer neuen Gedenkkultur zuführte, war ein Hitler-Mosaik – ein seit Kriegsende verschwundenes. Rechnungen und Berichte belegten: Rektor Harold Steinacker hatte von Künstler Hubert Lanzinger 1938 ein Porträt anfertigen lassen, das Hitler hoch zu Ross mit Hakenkreuzfahne zeigt. Es war in der Aula angebracht gewesen. Im Vorfeld des Jubiläumsjahres 2019 wuchs die Sorge, dass das Mosaik nur übertüncht worden sein und noch existieren könnte. Probebohrungen wurden veranlasst. Sie zeigten: Das Mosaik war schon 1945 abgeschlagen worden. Farbspuren aber konnten noch vorgefunden werden. Die Löcher der Probebohrungen in der Aula werden bleiben: „Als Mahnung an die NS-Verwicklungen der Universität Innsbruck.“

Was sich für die Universität Innsbruck anhand ihres 350-Jahr-Jubiläums einmal mehr zeigte: Maßnahmen der Erinnerung brauchen kontinuierliche Beschäftigung und Revitalisierung. „Jubiläumsjahre bringen ein Jahr lang Aufmerksamkeit und auch Gelder“, sagt Dirk Rupnow, „doch es geht darum, eine kritische Erinnerungskultur auch im Uni-Alltag jenseits von Jubiläen zu leben. Das ist die größte Herausforderung.“ 

Zur Person:

Dirk Rupnow, geb. 1972, forscht und lehrt am Institut für Zeitgeschichte an der Universität Innsbruck. Er ist derzeit auch Dekan der Philosophisch-Historischen Fakultät. Er beschäftigt sich mit der Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts im globalen Kontext, mit Holocaust- und Jüdischen Studien, Wissenschafts- und Migrationsgeschichte, Erinnerungskulturen und Geschichtspolitiken.

Text: Marlene Groihofer