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Michael Schimanski: Mit Datenbankprojekt zum Gedenken beitragen

Videoaufzeichnung vom 16. Jänner 2024, Vetmeduni

„Es ist wichtig für Veterinärmediziner:innen zu wissen, dass die NS- Geschichte auch mit ihrem eigenen Beruf zu tun hat“, sagt Michael Schimanski. Der Tierarzt forscht und publiziert seit über 25 Jahren zu Nationalsozialismus und Tiermedizin in Deutschland. Für seinen Vortrag im Rahmen der Vetmeduni-Lehrveranstaltung  „Vom (Ver-)Schweigen zum Erinnern“ ist er eigens aus Hannover angereist. Dort ist er hauptberuflich als Amtstierarzt tätig. Veterinärhistoriker ist er ehrenamtlich: „Es ist mir wichtig, zum Gedenken beizutragen.“ Michael Schimanski war in Deutschland einer der ersten, der sich dem Thema Nationalsozialismus und Tiermedizin wissenschaftlich widmete, gemeinsam mit seinem mittlerweile verstorbenen Kollegen Georg Möllers. Aktuellstes Projekt der beiden Veterinärmediziner ist eine Datenbank „zum dauerhaften Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus im Bereich der Tiermedizin“.

Eine Datenbank zu NS-Schicksalen in der Tiermedizin

Nach Name, Wohnort oder Geburtsort von jüdischen Tierärzt:innen der NS-Zeit im heutigen Deutschland lässt sich in der Datenbank unter www.bundestieraerztekammer.de/ns-schicksale suchen. Auch nach Absolvent:innen von Bildungseinrichtungen kann man recherchieren. „Es gibt für viele der Opfer des NS-Regimes keinen Gedenkort. Wir wollten für den Bereich der Veterinärmedizin einen schaffen, auch auf regionaler Ebene.“ Zu 164 jüdischen Tiermedizinern, darunter zwei Frauen („Die Tiermedizin war in den 1930ern noch klar männlich geprägt“), finden sich in der Datenbank seit 2020 biographische Daten und auch Fotos.

Einblick in Lebensgeschichten

So lässt sich etwa über Abraham Höxter aus der Stadt Treysa nachlesen. Er wurde 1938 von der SA abgeführt und am Marktplatz öffentlich beschimpft – weil er als jüdischer Tierarzt im Kampf gegen die Maul- und Klauenseuche helfen wollte. Schon 1933 verlor Max Wolf seine Stelle als Fleischbeschauarzt am Stuttgarter Schlachthof. Denn das Berufsbeamtengesetz verbot, jüdische Amtstierärzte und Fleischbeschauärzte weiter zu beschäftigen. Veterinär Max Braun aus Hamburg gelang 1938 die Flucht nach Frankreich, er musste jedoch seinen schon eingepackten Hausstand zurücklassen. Die Nazis versteigerten alles, was von Wert war. Der Berliner Tiermediziner Ludwig Simon überlebte mit Frau und Kind in der Illegalität. Eineinhalb Jahre lang konnten sie sich in einem kleinen fensterlosen Raum verstecken. Als das Versteck zerbombt wurde, tauchten sie bis Kriegsende in einer Gartenlaube unter.

98 Tiermediziner jüdischen Glaubens

Insgesamt besagt eine Volkszählung, dass es im Sommer 1933 im „Deutschen Reich“ 98 Tiermediziner jüdischen Glaubens gab. „Bereits emigrierte oder nicht gläubige jüdische Veterinärmediziner wurden hier nicht eingerechnet“, sagt Michael Schimanski. 33 dieser jüdischen Tierärzte wurden in Konzentrationslagern ermordet. Fünf begingen aufgrund einer drohenden Deportation Selbstmord. Ein Tierarzt brachte sich wegen des verhängten Berufsverbotes um.

Verfolgung und langsame Entrechtung

Anfangs war jüdischen Tierärzt:innen in Deutschland ihre Berufsausübung unter Hitler noch erlaubt gewesen. Vom Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 waren aber bereits auch jüdische Tierarztpraxen betroffen. Der Berliner Tierarzt Julius Schömann erinnerte sich folgendermaßen an diesen Tag: „Verschmutzung meiner Fenster und Mietsräume innen und außen, Bedrohung und Misshandlung durch SA und andere Parteimitglieder, sofortiger rapider Rückgang meiner Praxis. Durch häufige Überwachung meines Eingangs wurde meine Klientel eingeschüchtert, mich zu kontaktieren.“ Am 17. Jänner 1939 wurde jüdischen Tierärzt:innen im „Dritten Reich“ ihre Approbation entzogen. Ab diesem Tag waren sie arbeitslos. Das betraf auch die jüdischen Tierärzte in Österreich. Verkaufen durften sie ihre Arztpraxen nicht, auch nicht das Inventar. Es hieß: „Der jüdische Tierarzt hat alles zurückzulassen.“

Schleppende Aufarbeitung nach 1945

Nach dem Krieg waren die Schicksale jüdischer Tiermediziner:innen unter Hitler in Deutschland jahrzehntelang kein Thema im Bereich der Veterinärmedizin. Ein erstes Gedenken an jüdische Tierärzte fand 1959 statt. Damals wurde eine „Verlustliste“ für den Zweiten Weltkrieg veröffentlicht, vom Bund deutscher Veterinäroffiziere. „Auf dieser Liste befanden sich vier im KZ ermordete jüdische Tierärzte, aber auch SS-Veterinäre. Man hat also Opfern und Tätern gleichzeitig gedacht“, sagt Michael Schimanski. Zum ersten „richtigen Gedenken“, so Michael Schimanski, kam es erst  1997 am Rande einer Fachtagung der Deutschen Veterinärmedizinischen Gesellschaft.

Die Tierärztliche Hochschule Hannover im Nationalsozialismus

Michael Schimanski hat mit seiner Dissertation „Die Tierärztliche Hochschule Hannover im Nationalsozialismus“ bereits ab den 1990er-Jahren zur Aufarbeitung der NS-Zeit in der Veterinärmedizin beigetragen. Noch in den 1980ern hatte man an der Tierärztlichen Hochschule Hannover offiziell einem Veterinärinspektor der Wehrmacht und einem Jubiläum der Heeresveterinärakademie gedacht. Das hat sich geändert.  Erinnerungskultur müsse aber stetig aktiv gepflegt werden, sagt Michael Schimanski: „Gerade heute, wo Antisemitismus wieder zunimmt, ist es wichtig, im Gedenken nicht nachzulassen. Auch unter den Tierärzt:innen gab es in der NS-Zeit jüdisches Leben!“

Zum Projekt:

Gemeinsam mit seinem Kollegen Georg Möllers erstellte Michael Schimanski die von der deutschen Bundestierärztekammer finanzierte Datenbank „NS-Schicksale in der Tiermedizin“, die seit 2020 online ist. Grundlage für die Datenbank war unter anderem die Dissertation von Georg Möllers zu „Jüdische Tierärzte 1918 bis 1945“. 

 

Zur Person:

Michael Schimanski, geb. 1968, ist Amtstierarzt der Region Hannover, Fachtierarzt für Tierschutzkunde und Veterinärhistoriker. Er publiziert seit den 1990er-Jahren unter anderem zur Tiermedizin in der NS-Zeit. Er ist außerdem Mitglied der Leitung der Fachgruppe „Geschichte der Veterinärmedizin“ der Deutschen Veterinärmedizinischen Gesellschaft.

Text: Marlene Groihofer