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Hitzestress Forschung – Die Limits bestimmen
Hitze in Kombination mit hoher Luftfeuchtigkeit macht auch Nutztieren zu schaffen. Angesichts zunehmender Hitzewellen in Mitteleuropa sind drei FORSCHUNGSPROJEKTE MIT HITZESTRESS im Stall bei Wiederkäuern im Laufen. Wann beginnt Hitzestress? Wie wirkt er sich aus? Und wann müssen Viehhalter:innen eingreifen?, fragt das VETMED Magazin Marc Drillich und Daniela Klein-Jöbstl.
VETMED: Seit wann ist Hitzestress im Stall ein Thema in Österreich?
Marc Drillich: Der Fokus von Untersuchungen zu diesem Thema lag bisher auf Tierhaltung in warmen Regionen wie Florida (USA) oder Südamerika. Angesichts länger andauernder Phasen extremer Hitze in Mitteleuropa wird Forschung dazu auch bei uns relevant. Klimadaten von Wetterstationen allein sagen wenig über Hitzestress aus, da beispielsweise die Tiere im Stall ebenfalls Wärme abstrahlen und die Luftfeuchte eine andere sein kann als außerhalb des Stalls. Wir wollen herausfinden, wann die Folgen von Hitzestress beginnen: Nach zwei heißen Tagen oder nach zwei Wochen? Wenn es in sogenannten tropischen Nächten nicht abkühlt? Und welche Individuen im Bestand besonders betroffen sind.
Daniela Klein-Jöbstl: Für Hitzestress spielen Temperatur und Luftfeuchtigkeit gemeinsam eine Rolle, erfasst im sogenannten TH-Index. Fürs Rind spricht die Literatur ab einem Index von 72 von Beeinträchtigungen. Manche Autor:innen gehen sogar schon bei einem TH-Index von 68 von negativen Effekten aus. Es gibt aber keine magische Zahl und für Kälber bisher keine definierten Grenzwerte.
Drillich: Es ist immer die Frage, welche Veränderungen angeschaut werden: das Verhalten, die Körperfunktionen, die Leistungsfähigkeit, die Fruchtbarkeit oder Blutwerte. Wir wollen uns mit unserer Forschung an die Limits, ab denen Handlungsbedarf besteht, herantasten.
Sind alle Nutztiere bzw. der gesamte Bestand von Hitze gleich betroffen?
Klein-Jöbstl: Grundsätzlich hat jede Tierart einen anderen Wohlfühlbereich. Es gibt zudem an Hitze besser angepasste Rassen. Deshalb sind Studien für unsere Breiten so wichtig. Bisher weiß man nur, was in Regionen passiert, wo es kaum abkühlt.
Drillich: Im Bestand kommt es stark darauf an, ob etwa die Kuh gerade nach einer Geburt in einer Hochleistungsphase der Milchproduktion oder am Ende der Laktation ist. Deswegen werden wir beispielsweise in unseren Studien im Beobachtungszeitraum wiederholt Proben nehmen.
Was sind typische Stresssymptome und können Tierhalter:innen diese rechtzeitig bemerken?
Klein-Jöbstl: Rinder mögen es grundsätzlich kühler. Bei so ruhigen Tieren ist Stress nicht leicht zu erkennen. Erhöhte Atemfrequenzen und Verhaltensänderungen können gegebenenfalls einen Hinweis auf eine Stresssituation geben. Man kann es an der Milchleistung merken und an Parametern der Fruchtbarkeit, Letzteres aber zeitverzögert. Bei Kälbern könnte man dies an Verhaltensweisen wie der Milchaufnahme oder dem Liegeverhalten erkennen. Entsprechende Studien dazu fehlen bislang jedoch noch weitgehend.
Wie genau betreiben Sie nun die aktuelle Forschung zu Hitzestress?
Drillich: Die Auswirkungen von Hitzestress auf die Fruchtbarkeit von Milchkühen untersuchen wir aktuell in zwei Studien, auch in Kooperation mit Vitezslav Havlicek (Abteilung für Reproduktionsbiologie) und Corina Itze-Mayrhofer (IFA Tulln). Meine Kollegin Karen Wagener und ein Team von Mitarbeiter:innen erheben sehr viele Fruchtbarkeitsparameter, führen bakteriologische und ultrasonographische Untersuchungen des Reproduktionstrakts durch und verfolgen die Eizellreifung und Embryonalentwicklung. Diese Daten werden dann mit Klimadaten aus digitalen Temperaturloggern im Stall korreliert. Wir untersuchen zudem das Blut auf Hitzestressproteine, um Marker für ein Frühwarnsystem zu suchen.
Wo kann diese Forschung durchgeführt werden?
Drillich: In der erwähnten laufenden Studie, gefördert vom Land Niederösterreich, erheben wir die Daten an der VetFarm Kremesberg. In einem Projekt werden wir parallel in Österreich und Argentinien arbeiten, wo wir seit 20 Jahren eine Partnerschaft mit der Uni in La Plata haben. So können wir Hitzeperioden, wie wir sie zunehmend in Österreich vorfinden, mit länger andauernder Hitze und auch Tiere mit und ohne Hitzestress vergleichen. Auf der VetFarm in Pottenstein müssen wir sehr flexibel arbeiten, weil wir nicht wissen, wann es heiß wird und wie lange. Man könnte sagen, unsere Kontrollgruppe weidet in Argentinien.
Die Prognosen der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik sind also essenziell. Wo wird denn im Stall das Klima gemessen? Am Boden, unterm Dach?
Drillich: Auf Kuhhöhe ..
Klein-Jöbstl: ... an verschiedenen Stellen: im Fressbereich, im Liegebereich, wir haben in unseren Studien jeweils mehrere Klimalogger im Stall verteilt.
Welche Messtechniken kommen bei den Jungtieren zum Einsatz, um die Belastungsgrenzen zu bestimmen?
Klein-Jöbstl: Wir verwenden bereits etablierte Methoden für unsere Zwecke und zeichnen Daten über das gesamte Jahr auf. Mit Beschleunigungssensoren können wir Bewegungsmuster und die Aktivität der Kälber erfassen. Mit Videoaufzeichnungen analysieren wir die Interaktion und werten Daten aus der automatischen Milchfütterung aus. So versuchen wir herauszufinden, ab wann sich das Verhalten der Kälber verändert und wie das mit dem TH-Index korreliert. Diese Studie erfolgt ebenfalls an Rindern an der VetFarm in Pottenstein. Die Digitalisierung vereinfacht die lückenlose Überwachung der Verhaltensweisen - sowohl von Einzeltieren als auch von Gruppen.
Wie weit ist denn Precision Livestock Farming in Österreich gediehen?
Klein-Jöbstl: Es gibt verschiedene Systeme für Rinder, einige auch unabhängig evaluiert, wobei abzuwägen ist, was sich angesichts der Kosten im Betrieb eignet. Teilweise werden von Systemen erhobene Daten nicht genutzt.
Drillich: Es gibt zunehmendes Interesse an der Anwendung digitaler Technologien, aber nur eine Minderheit der Betriebe setzt sie bereits ein. Auch in Familienbetrieben kann Technik die Arbeit erleichtern.
Was können Viehhalter:innen gegen Hitzestress tun? Ist es immer teuer, nachzurüsten, oder gibt es einfache Abhilfen?
Drillich: Rinder werden nicht in geschlossenen Systemen gehalten, wie meist Schweine oder Geflügel. Wichtige Maßnahmen im Kuhstall sind z.B., für ausreichende Wasserversorgung in funktionierenden Tränken zu sorgen, Luftbewegung mit Ventilatoren zu schaffen und der gezielte Einsatz von Sprinkleranlagen etwa im Bereich vor dem Melkstand, wo die Tiere dichter und länger stehen. In den meisten Ställen kann man verhältnismäßig einfach Abhilfe schaffen. Wichtiger als der teuerste Ventilator ist allerdings das Gespräch mit Profis für Stallklima, wo er am meisten bringt.
Klein-Jöbstl: Wir haben unter Kälberiglus mitunter bis zu 64 Grad Celsius und mehr gemessen. Ein Dach für Beschattung kann viel leisten, auch für erwachsene Tiere auf der Weide. Wichtig ist auch hierbei die richtige Planung. Präferenzstudien aus Kanada haben gezeigt, dass Kühe bei Hitze lieber nachts zum Weiden rausgehen. Das wäre eine ganz grundsätzliche Umstellung von Routinen.
Drillich: In der Praxis zeigt sich, dass die Tiere die Strukturen nutzen, wenn man sie zur Verfügung stellt. Das sieht man in Ställen mit Ventilator, wo sich die Tiere ganz selbstständig in den Luftstrom stellen und „chillen“.
Interview: Astrid Kuffner
Marc Drillich
Der gebürtige Deutsche studierte Veterinärmedizin an der Freien Universität Berlin und war mehr als zehn Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter der Tierklinik für Fortpflanzung. 2009 habilitierte er und wechselte 2010 an die Veterinärmedizinische Universität Wien als Professor für Bestandsbetreuung beim Wiederkäuer. Er ist Diplomate des European College of Animal Reproduction (ECAR) und des European College of Bovine Health Management (ECBHM). Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Reproduktion beim Rind, Erkrankungen der Gebärmutter, Herdengesundheitsmanagement und Precision Dairy Farming.
Daniela Klein-Jöbstl
hat an der Veterinärmedizinischen Universität Wien studiert und die Doktorarbeit an der Universitätsklinik für Wiederkäuer verfasst. Die Fachtierarztausbildung schloss sie mit der Prüfung zum Diplomate des European College of Bovine Health Management ab. Seit 2010 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Bestandsbetreuung bei Wiederkäuern und habilitierte 2019. Ihr Forschungsschwerpunkt lag von Beginn an auf Kälbermanagement und Kälbergesundheit. Sie forscht zu Digitalisierung und Hitzestress bei Kälbern und Jungtieren.