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Universität
Die Ausbildung vom Berufsbild her denken
Jürgen Rehage, mit April neu bestellter Vizerektor für Lehre und klinische Veterinärmedizin an der Vetmeduni, kommt von der tierärztlichen Hochschule Hannover, wo er viel Erfahrung mit Projektmanagement und Gremienarbeit gesammelt hat.
Der Spezialist für Wiederkäuer will im Team Studierende mehr für die Aufgaben im Bereich „Nutztiere und Public Health“ begeistern und die sich aufgetanen Chancen des digitalen Unterrichts nachhaltig verankern und weiterentwickeln.
Neuer Vizerektor für Lehre und klinische Veterinärmedizin
Jürgen Rehage, Spezialist für Rinderkrankheiten, war mit kurzen Unterbrechungen seit Studienbeginn 1979 an der Tierärztlichen Hochschule Hannover aktiv. Zuletzt wirkte er an der geplanten Fusion der Kliniken für Wiederkäuer, Schweine und Geflügel mit, leitete den Klinikbetrieb für Rinder und kümmerte sich unter anderem um Partnerunis. Warum kommt ein „hannoversches Gewächs“, wie er sich selbst bezeichnet, mit 62 Jahren nach Wien, um neuer Vizerektor für Lehre und klinische Veterinärmedizin an der Vetmeduni zu werden? „Ich fand es reizvoll, in den letzten Jahren der Berufslaufbahn noch einmal etwas ganz anderes zu machen. Mit dieser vagen Idee im Kopf führte ich durch Zufall ein intensives Gespräch mit Rektorin Petra Winter. Ich habe Lust, meine gesammelte Erfahrung in die Waagschale zu werfen, um die studentische Ausbildung und die Kliniken weiterzuentwickeln. Ausbildung muss man meiner Erfahrung nach immer vom Ende her, vom Berufsbild, denken und was dieses braucht“.
Brennen für die Hochschullehre
Er selbst wurde an der TiHo Hannover sozialisiert von Professor Matthäus Stöber, „einem leidenschaftlichen Hochschullehrer, Mitbegründer der European Association of Establishments for Veterinary Education (EAEVE), dem die Ausbildung der Studierenden über alles ging“. In der letzten Dekade seiner Universitätskarriere schließt sich für ihn dieser Kreis: „Ich freue mich darauf, nun Unterricht und Lehre in den Mittelpunkt meines Handelns zu rücken. Als Hochschullehrende haben wir Verantwortung für die Ausbildung der nächsten Generation. Wir müssen uns immer fragen: Was benötigt der Berufsstand und werden wir diesen Anforderungen in der Ausbildung gerecht, damit AbsolventInnen gut aufgestellt sind?“
Jürgen Rehage forschte im Schnittfeld zwischen Klinik, Tierernährung und Physiologie, lehrte und leistete viele Jahre Gremienarbeit, um den Hochschulbetrieb voranzubringen. In der Position des Vizerektors mit Portfolio E-Learning & Neue Medien, Studienreferat, Prüfungswesen und Qualitätssicherung sowie klinische Veterinärmedizin sieht er aber noch mehr Gestaltungsmöglichkeit. Das macht für ihn den Charme seines neuen Amts in Wien aus.
Wie will es der nüchterne Norddeutsche gegenüber der kakanischen Bürokratie anlegen? In die österreichische Gesetzgebung will sich Jürgen Rehage noch mehr einarbeiten, wobei ja vielfach EU-Recht gilt. Darüber hinaus „ist es meiner Erfahrung nach sinnvoll, sich über Ziele zu verständigen: Was wollen wir erreichen, was ist uns wichtig? Wenn es Einigkeit über die Ziele gibt, dann findet sich immer ein Weg“.
Start auf hohem Niveau
„Wien ist top aufgestellt mit modernem, studienzentriertem Unterricht und bei der Digitalisierung. Meine Vorgängerin Sibylle Kneissl hat viel angeschoben und erreicht und ihre Vorarbeit kommt in wertschätzende Hände.“ Für das Berufsbild „Individualtiermedizin“, wo der/die TierbesitzerIn Spitzenmedizin erwartet, sieht er die Vetmeduni.
gut gerüstet. Die Spezialisierung schreitet voran, die Grenzen der Behandlung werden ausgeweitet und mit dem Bau der neuen Kleintierklinik sieht er großes Potential für die studentische Ausbildung.
Schnittstelle von Landwirtschaft & Tiermedizin
Als jemand, der sein Berufsleben Herdentieren gewidmet hat, finden sich für Jürgen Rehage die größeren Herausforderungen im Arbeitsgebiet „Nutztiere und öffentliches Veterinärwesen“, das für die Gesellschaft hohe Relevanz hat, spannend ist und für das Studierende vermehrt begeistert werden müssen. Schließlich gehört der tierärztliche Beitrag zur Produktion von qualitativ hochwertigen und sicheren Lebensmitteln unter guten, von der Gesellschaft allgemein akzeptierten Produktionsbedingungen zu den zentralen Aufgaben des Berufsstands, der hier immer wieder in der Kritik stand. „Wir müssen auf die enorm gewachsenen Anforderungen in der Ausbildung reagieren. Der rasante Wandel in der Landwirtschaft macht Anpassungen notwendig, womöglich auch mit Expertise aus landwirtschaftlichen Fakultäten. Die Digitalisierung im Unterricht macht das heute ja leichter.“ Entsprechend ist er vom neu geplanten Masterstudiengang mit dem Arbeitstitel „Precision Lifestock Farming“ begeistert: „Da muss man mit allen Fachrichtungen überlegen: Wie können wir das unseren Studierenden näherbringen und den BewerberInnenmangel in ländlichen Regionen beheben. Das muss man gemeinsam denken.“
Er selbst hat keinen Hintergrund in der Landwirtschaft, aber er war leidenschaftlicher Reiter. Zunächst wollte er Pferdetierarzt werden. Die einzig ernsthafte Konkurrenz wäre Bauingenieurwesen gewesen, weil er da familiär stark vorbelastet ist. Der Charme der Tiermedizin liegt für ihn darin, dass es ein intellektuell fordernder Beruf mit einer zutiefst praktischen Komponente ist. Wiederkäuer fand er im Studium letztlich spannender, Pferde blieben sein Hobby. Was macht für den Tierarzt Rinder so interessant? Stoffwechsel und Verdauung sind bei Wiederkäuern interessanter und „Herdenaspekte gehen über das Einzeltier hinaus mit der gesellschaftlichen Relevanz, Anforderungen an Sicherheit und Qualität der Lebensmittel, Ökonomie und Ökologie der Betriebsführung, Gesunderhaltung und so fort.“ Er mag die stoische Ruhe, die die Tiere ausstrahlen und weiß, dass sie auch anders können. Man darf sie nicht unterschätzen.
Auch wenn die tierärztliche Ausbildung naturgemäß das „Kerngeschäft“ darstellt, hat er auch die anderen international renommierten Bachelor- und Masterstudiengänge im Blick. Er freut sich darauf, die dort Verantwortlichen in der Weiterentwicklung und Einbindung der Studiengänge in der Vetmeduni zu unterstützen.
E-Lehre: Was muss und was soll bleiben?
Durch Corona waren alle gezwungen, ihre Hemmungen gegenüber digitalen Unterrichtstechniken abzubauen, „aber wir haben auch alle die Erfahrung gemacht, dass Onlineveranstaltungen den Präsenzunterricht nicht ersetzen können. Umgekehrt stecken da Chancen drin, die wir bisher zu sehr liegengelassen haben. Wir werden uns die Frage stellen, was wir behalten wollen und wie wir eine gute Mischung aus Präsenz- und Digitalunterricht hinbekommen“, erklärt der künftige Vizerektor. Das E-Learning-Team ist sehr gut aufgestellt, aber für die Nutzung außerhalb des Notbetriebs will er organisatorische, rechtliche und technische Aspekte noch besser abklären. Dann kann auch das Angebot ausgeweitet werden, beispielsweise indem man für neue Kurse in Nischenfächern externe Fachleute zuschaltet.
Alles geht durch die Pandemiebeschränkungen ein bisschen langsamer als erhofft, aber Jürgen Rehage betont die offene kooperative Arbeitskultur und fühlt sich sehr willkommen. Der künftige Vizerektor ist ein Teamarbeiter, der gerne Expertise zusammenbringt. Bei der Bundeswehr wurde er als Sanitätsoffizier ausgebildet. Das ist lange her, aber „tatsächlich hat dort jemand über mich gesagt: Übernimmt Führung, wo keine Führung ist. Alle mir nach ist nicht meins. Wenn sich aber eine Lücke auftut, übernehme ich“. Bald will er Architektur, Museen, Konzerte und Theater in Wien und andere Städte in Österreich erkunden.
Er ist begeisterter Skifahrer und geht im Sommer gerne wandern – wie gut, dass er endlich näher an die Alpen herangerückt ist.
Text: Astrid Kuffner