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Forschung

Assistenzprofessur für Wildtierkunde und Ökologie: am besten Sendeplatz

Mit miniaturisierten GPS-Sendern erhebt Matthias Loretto aktuelle Bewegungsdaten, das Um und Auf in Naturschutz und Wildtiermanagement. Im Feld auch den Kontext und die Interaktion zu beobachten, bleibt für den Assistenzprofessor in der Wildtierforschung wichtig. Sitzfleisch verlangen ihm die Auswertungen am Rechner ebenso ab wie die Freilandarbeit.

Mehrere Hirsche mit Matthias Loretto
Foto: Thomas Suchanek/Vetmduni

Miniaturisierte GPS-Sender gehören zu den wichtigsten Arbeitsmitteln in der Bewegungsökologie. Matthias Loretto beschäftigt der beste Sendeplatz, also bekommt der Frosch eine Hose, der Hirsch ein Halsband und der Rabe einen Rucksack. Zusätzliche Beobachtungen im Feld reichern die Senderdaten mit Informationen an, betont der Verhaltensbiologe: „Die besten Ideen habe ich immer, wenn ich bei der Feldarbeit längere Zeit in der Natur verbringe.“ Bei bitterer Kälte im Yellowstone-Nationalpark bibbern oder im feuchtwarmen Regenwald von Französisch-Guayana dünsten nimmt er auf sich. Für den „lohnenden Moment“, wo etwas völlig Unerwartetes passiert, ein Tier ein ungewöhnliches Verhalten zeigt oder an unvermuteter Stelle auftaucht, Arten interagieren oder ein Wolfsrudel um die Ecke biegt.

Biologe von Kindesbeinen an

Für den gebürtigen Grazer stand mit zwölf Jahren fest, dass er Biologie studieren wollte. Sein Biologielehrer ermöglichte ihm noch vor der Matura, an der Konrad Lorenz Forschungsstelle in Grünau im Almtal als Praktikant mit Kolkraben zu arbeiten. Danach studierte er an der Universität Graz Verhaltensbiologie und wechselte für einen Master in Wildtierökologie und Wildtiermanagement an die BOKU in Wien. Für die Doktorarbeit besenderte er ab 2011 in Grünau wiederum Kolkraben und hat seither nicht mehr damit aufgehört. Zuletzt in seinem laufenden Projekt in Yellowstone, dem ältesten Nationalpark der Welt, wo er Wechselbeziehungen zwischen Raben, Wölfen und Pumas untersucht. Der Fokus liegt nicht nur auf einzelnen Arten, sondern auf deren Interaktion. Bewiesen hat er diese im Frühjahr 2020. Zu Beginn der Pandemie schaffte er es gerade noch von der Feldarbeit nach Hause zurück und gründete mit Kolleg:innen die „International COVID 19 Biologging Initiative“, um in Echtzeit herauszufinden, wie sich das auf die Tierwelt auswirkt: „Wir haben eine weltweite Community aufgebaut, die vor dem Lockdown 130 verschiedene Tierarten besendert hat. Die Analysen zu vorher, während und danach laufen noch, aber man kann schon sagen, dass viele Tiere in den Wanderbewegungen stark auf die Pandemie bei den Menschen reagiert haben. Das sollte uns zum Nachdenken bringen.“

 

Forschung zu groß/klein, lebendig/tot

An die Berufung zum Assistenzprofessor für Bewegungsökologie in der Wildtierforschung haben ihn Fragestellungen und Projekte der vergangenen Jahre herangeführt: „Was mich am Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie wahnsinnig interessiert, ist die Interdisziplinarität. Es gibt nicht viele Orte, wo Grundlagenforschung und angewandte Fragestellungen so konsequent zusammengedacht werden und gleichzeitig so viel fachliche Expertise gebündelt ist.“ Im Modul Conservation Medicine des Diplomstudiums
Veterinärmedizin wird er Bewegungsökologie integrieren und sich campusweit in der Vermittlung von Methoden zur Datenauswertung engagieren.

 

"Was mich am Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie interessiert, ist die Interdisziplinarität. Grundlagenforschung und angewandte Fragestellungen werden hier konsequent
zusammengedacht."

Zuletzt war Matthias Loretto als Research Scientist auch im Nationalpark Berchtesgaden tätig, wo er 30 Rothirsche besenderte. Einige Wildtierarten stehen auch in Österreich oft im Zentrum von Konflikten. Aushandlungsprozesse zwischen Natur- und Artenschutz sowie Forst-, Jagd- und Landwirtschaft brauchen Grundlagen aus der Forschung, besonders im Hinblick auf die Rückkehr großer Beutegreifer. Darüber hinaus boomen Freizeitaktivitäten in der Natur: „Ein gesteigertes Interesse an der Natur ist grundsätzlich positiv, aber wir müssen auch Acht geben, wie es den Tieren dabei geht. Das braucht neben Forschung auch hin und wieder Einschränkungen.“ Doch auch in der Agrarlandschaft gibt es viel zu tun. Stellvertretend für zahlreiche Arten
werden Feldhasen und Rebhühner immer seltener. Die intensivierte Landwirtschaft macht der Natur zu schaffen. Hier müssen Lösungen entwickelt werden, um landwirtschaftliche Produktion und einen besseren Lebensraum zu ermöglichen. Aber auch tote Tiere interessieren ihn, konkret die Kadaverökologie: „In der Natur sind große Tierkadaver ein Hotspot der Biodiversität und essenziell für Aasfresser, werden in der Veterinärmedizin aber oft eher als Gefahrenquelle gesehen. Eine gesunde Aasfresser-Community kann Pathogene unschädlich machen und Kadaver schnell vertilgen. Hier können wir mit Veterinärmediziner:innen neue Erkenntnisse generieren.“

Aktuell pendelt er noch aus Bad Reichenhall, wird aber im Laufe des Jahres mit seiner Frau, einer Verhaltensbiologin, und der neugeborenen Tochter fix nach Wien übersiedeln, „das wir uns beide sehr gut als Lebensraum vorstellen können“.

alle Fotos: Michael Bernkopf/Vetmeduni

Text: Astrid Kuffner

Der Beitrag ist in VETMED 01/2024 erschienen.