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Überleben auf Sparflamme
Bär, Igel, Siebenschläfer oder asiatischer Lori. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie versetzen ihren Körper in Phasen des Ruhezustands, um Energie zu sparen. Bereits seit Jahren beschäftigen sich Wissenschafter:innen am FORSCHUNGSINSTITUT FÜR WILDTIERKUNDE UND ÖKOLOGIE der Veterinärmedizinischen Universität Wien mit den MECHANISMEN DES WINTERSCHLAFS. Die verblüffenden Erkenntnisse der Winterschlafforschung sind nicht nur für Tiermedizin und Umweltforschung relevant, sondern finden ihren Weg auch in die Humanmedizin oder Raumfahrt.
Der Winterschlaf, auch ‚Hibernation‘ genannt, hat mit dem, was wir unter Schlaf verstehen, überhaupt nichts zu tun“, sagt Claudia Bieber vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI). „Im Gegenteil, wir gehen inzwischen sogar davon aus, dass Tiere im Winterschlaf unter einem Schlafmangel leiden, da sie in Phasen einer tiefen Körpertemperatur gar nicht schlafen können.“
Bekannt ist, dass Winterschlaf dazu dient, ungünstige Umweltbedingungen wie etwa kalte und nahrungsarme Phasen zu überstehen. Dass aber auch in wärmeren Gefilden Tiere in einen Ruhezustand gehen, ist vielen nicht bewusst. So gibt es in Vietnam den asiatischen Zwerglori, der tageweise in den Winterschlaf geht, erklärt Thomas Ruf, ebenfalls Forscher am FIWI. In Madagaskar überstehen einige Lemurenarten, wie der näher untersuchte Fettschwanzmaki, die siebenmonatige Trockenzeit im Ruhezustand und verbrauchen dabei das Fett, das sie in ihrem namensgebenden „Fat-Tail“ gespeichert haben. In Österreich nutzen Igel, Ziesel, Feldhamster, Siebenschläfer oder Dachse unterschiedliche Formen des Winterschlafs, um die unwirtliche Jahreszeit zu überstehen.
Nicht alle Winterschläfer zehren dabei ausschließlich von ihren angefressenen Fettpolstern. Manche Arten, wie der Feldhamster, legen sich Nahrungsvorräte an, die sie im Herbst in den Hamsterbacken in ihre Baue tragen. Ganz ohne Winterschlaf kommen aber auch die Hamster nicht aus.
Energiesparmodus: Streng reguliert
Generell sind Ruhezustände wie Torpor oder Winterruhe keinesfalls ein „Entgleisen“ der Körperfunktionen oder eine Unfähigkeit zur Wärmeproduktion. „Auch wenn die Tiere im Zustand des tiefen Winterschlafs dem Tod näher als dem Leben zu sein scheinen, ist dieser Energiesparmodus streng reguliert und präzise kontrolliert“, erklärt Tierökologin Claudia Bieber. Die Stoffwechselrate wird bei Eintritt des Winterschlafs gezielt gedrosselt, die Körpertemperatur des Tiers fällt teilweise bis auf die Umgebungstemperatur ab. „Allerdings kann es sich kein winterschlafendes Tier erlauben, seinen Stoffwechsel über mehrere Monate durchgehend abzuschalten, das bisher gefundene Maximum sind sieben Wochen“, so die Forscherin.
Punktuelles Einheizen
Winterschläfer müssen also in regelmäßigen Abständen die „innere Heizung“ kurz anwerfen. Die Körpertemperatur steigt und erreicht für vier bis sechs Stunden nahezu normale Werte, die Stoffwechselrate ist enorm. Diese Arousal genannten Phasen sind bis heute noch nicht vollständig wissenschaftlich erklärt. Ein Grund für das Team um Claudia Bieber und Thomas Ruf, diese Phasen in unterschiedlichen Forschungsprojekten genauer unter die Lupe zu nehmen.
Sie vermuten, dass die Arousal-Phasen für verschiedene Körperfunktionen, wie etwa den Abbau von Stoffwechselprodukten oder kleinere Schlafphasen, benötigt werden. Eines der größten Wunder am Winterschlaf ist, dass die Organe den energetischen Ausnahmezustand relativ unbeschadet überstehen. „Obendrein überleben Winterschläfer die kalte Jahreszeit sehr gut und haben generell eine deutlich höhere Lebenserwartung als Nichtwinterschläfer der gleichen Körpergröße“, so Thomas Ruf.
Chronobiologie: Die innere Uhr
„In der Natur folgt vieles gewissen Zyklen“, erklärt Sylvain Giroud, der sich mit unterschiedlichen Stoffwechselaspekten bei winterschlafenden Tieren beschäftigt: „Damit die Winterschläfer das nächste Frühjahr nicht verpassen, läuft den ganzen Winter hindurch eine innere Uhr, die es denTieren ermöglicht, auch unter der Erde im Dauerdunkel den Jahresrhythmus nicht komplett zu verlieren.“ Bricht eine andere Jahreszeit an, haben Tiere unterschiedliche Strategien, um ihren Winterschlaf abzuschließen, zu unterbrechen oder sogar fortzusetzen.
Alterungs- und Reparaturprozesse im Visier
Spannend für den Menschen ist die Grundlagenforschung, die hinter den physiologischen Mechanismen bei Winterschläfern steckt: Wie können sich Tiere punktuell so fett fressen, ohne an Diabetes, Arteriosklerose und Bluthochdruck zu leiden? Wie können sie so lange Zeit in einer (Kälte-) Starre verharren, ohne dass der Körper Schaden nimmt? Und wie werden Gehirn und Muskeln dabei geschützt?
Wissenschafter:innen gehen diesen Fragen in international vernetzten Forschungsprojekten auf den Grund und analysieren dabei die Ruhephasen unterschiedlichster Spezies. Im Visier sind dabei nicht zuletzt Reparaturmechanismen auf Zellebene, die den Tieren ein gesundes und teilweise sogar längeres Leben bescheren als Nichtwinterschläfern.
Lexikon des Winterschlafs
Winterschlaf (englisch: hibernation) bezeichnet generell den Zustand der Anpassung des Energieverbrauchs von Tieren an ein eingeschränktes Nahrungsangebot oder veränderte klimatische Verhältnisse. Die Einsparung der Energiekosten im Winterschlaf beträgt ungefähr 80 Prozent.
Als Torpor wird ein physiologischer Zustand bezeichnet, bei dem Stoffwechselprozesse und Körperfunktionen wie Herzschlagrate, Atmung oder Körpertemperatur auf ein Minimum gesenkt werden. Dies dient dazu, längere Zeiten des Nahrungs- und Wassermangels unbeschadet zu überdauern. Die Tiere werden inaktiv und verharren in einem Zustand der körperlichen Starre.
Torporphasen werden durch Wärmephasen, sogenannte Arousals, unterbrochen, in denen der Körper für mehrere Stunden nahezu normale Vitalwerte erreicht.
Winterruhe ist ein veralteter Begriff, der für Braunbär oder Dachs verwendet wurde. Heute ist bekannt, dass die Stoffwechselvorgänge sich nicht von denen kleinerer Winterschläfer unterscheiden. Durch die hohe Körpermasse und das dicke Fell sinkt die Körpertemperatur bei diesen großen Tieren aber nur gering ab.
Die Kältestarre ist ein biologisches Phänomen bei ektothermen (= griechisch ektos: „außen“) Tieren wie Amphibien, Reptilien oder Fischen. Die Körpertemperatur gleicht sich dabei der niedrigen Außentemperatur an. Ektotherme Tiere sind in ihrer Körpertemperatur von der Außentemperatur abhängig.
Als endotherme (= griechisch éndon: „innen“) Tiere werden Säugetiere, Vögel, aber auch manche Insektenarten bezeichnet, die ihre Körperkerntemperatur unabhängig von der Umgebungstemperatur auf einen hohen Temperaturwert regulieren können, der aber nicht konstant sein muss. Wie der Winterschlaf zeigt, kann der Setpoint auch auf niedrige Temperaturen verstellt werden.
Die Körpertemperatur endothermer Tiere wird durch Stoffwechselaktivitäten erzeugt. Ein spezielles Fettgewebe, sogenanntes „braunes Fettgewebe“, das im Schulter- und Nackenbereich liegt, unterstützt die Wärmeproduktion bei vielen Säugetierarten.
Die Chronobiologie untersucht die sogenannte innere Uhr von Organismen. Dabei wird die zeitliche Organisation von physiologischen Prozessen und Verhaltensmustern besonders in Form von biologischen Rhythmen erforscht.
Einige Tierarten, die Winterschlaf halten*
- Siebenschläfer (Glis glis, Europa)
- Ziesel (Spermophilus, Europa)
- Europäischer Feldhamster (Cricetus cricetus, Europa)
- Gartenschläfer (Eliomys quercinus, Europa)
- Haselmaus (Muscardinus avellanarius, Europa)
- Igel (Erinaceus europaeus, Europa)
- Europäischer Dachs (Meles meles, Europa)
- Alpenmurmeltier (Marmota marmota, Europa)
- Viele Fledermausarten
- Europäischer Braunbär (Ursus arctos arctos, Europa)
- Asiatischer Zwerglori (Nycticebus pygmaeus, Vietnam)
- Fettschwanzmaki (Cheirogaleus, Madagaskar)
- Europäischer Dachs (Meles meles, Europa)
*Das Eichhörnchen (Sciurus vulgaris) gehört entgegen der weitverbreiteten Annahme nicht zu den Winterschläfern!
Auslöser für Winterschlaf
- Photoperiode als sichere Vorhersage für Jahreszeiten, z.B. den kommenden Winter
- Sinkende Außentemperaturen
- Nahrungsmangel
- Wassermangel
Text: Stephanie Scholz
Dieser Artikel erschien in VETMED Magazin 04/2021