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Bilche als Bioindikatoren für den Buchenmischwald

Claudia Bieber ist neue Professorin für Wildtierökologie und leitet seit 2023 das FIWI am Wilhelminenberg. Seit mehr als 30 Jahren arbeitet sie mit Siebenschläfern. Im Freiland, im Gehege und im Labor studiert sie ökologische Fragen rund um Gedächtnisleistung, Winterschlaf und Lebenszyklus.

Bilche und Vögel wissen Nistkästen zu schätzen. Die Baumhöhlen bewohnenden Siebenschläfer verbringen hier gern ihren Tagesschlaf und ziehen sogar ihre Jungen in den Nistkästen auf. Foto: Thomas Suchanek/Vetmeduni

Claudia Bieber am Institut für Wildtierkunde (FIWI, Wilhelminenberg) kontrolliert einen Nistkasten

Wenn eine Forscherin seit drei Jahrzehnten Siebenschläfer studiert, braucht sie dafür einen triftigen Grund. Nach dem auslösenden Moment für diese Spezialisierung gefragt, spricht Claudia Bieber von einer „Laune in der Minute“. Natürlich sind die Bilche, zu denen auch die Haselmäuse gehören, wirklich niedliche Kleinsäuger. Aber es kam noch mehr zusammen: Forscherdrang, Pioniergeist, Geschick, Hartnäckigkeit und die faszinierend breite Palette an wildtierökologischen Fragestellungen, die mit dem nachtaktiven Nagetier untersucht werden können. Siebenschläfer sind tolle Bioindikatoren für den in Mitteleuropa weit verbreiteten Buchenmischwald, sie sind für ihre Größe sehr langlebig und fühlen sich von der Forschungsarbeit nicht gestört.

Am Beginn ihrer Laufbahn, die 2023 letztlich in einer Professur und einer Institutsleitung mündete, stand ein professoraler Suchauftrag im Rahmen eines Seminars an der Universität Marburg (Deutschland). Die engagierte Studentin konnte bald nachweisen, dass die Tiere im Marburger Raum vorkommen. Sie suchte Siebenschläfer, stöberte sie in Nistkästen und Lebendfallen auf und markierte sie. Die wissenschaftliche Beziehung vertieft hat sie bei der Diplomarbeit: „Wenn Sie mit so einem Tier arbeiten, tun sich Welten auf. Bei den täglichen Kontrollen der Fallen wurde ich bald als ‚die mit dem Futter‘ wiedererkannt und scheu sind sie auch nicht.“ Ihre Wahl traf sie, ohne auf die Forschungshierarchie zu schauen, „aber so eine emotionale Entscheidung kann einen lang tragen“. Selbstbestimmte Arbeit, die Freiheit der Wissenschaft und auch das Leben in allen Facetten mit Mutter- und Partnerschaft waren ihr wichtig. Nach Wien ans Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) kam sie 1996 als Postdoc, ab 2021 leitete sie das Populationsökologie-Lab und war ab 2022 stellvertretende bzw. interimistische Leiterin der Forschungseinrichtung auf dem Wiener Wilhelminenberg.

Tierhaltung verstehen

Als eine der wenigen Bilchexpertinnen im deutschsprachigen Raum kennt sie alle Tricks. Sie weiß, dass Siebenschläfer Äpfeln nicht widerstehen können und hat 1996 eine einzigartige Population mit 80 Tieren in einem Außengehege des Forschungsinstituts für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) angelegt, die bereitwillig überwintert. Das wäre unmöglich gewesen ohne Claudia Biebers Geschick im Umgang mit Tieren, deren Bedürfnisse sie über Jahre hinweg verstehen gelernt hat und in eine artgerechte Haltung überträgt: „Wenn ich ökologisch verstehen will, wie ein Tier sein Leben strukturiert, darf ich es nicht negativ beeinflussen. Sonst kann ich vergessen, was ich messe.“ Eine zweite Population im Wienerwald wird schon seit 2006 vom FIWI betreut. Diese Forschung kann nie so standardisiert wie bei der Maus sein, hat aber eine hohe biologische Aussagekraft.

Buchen und Investmentbilche

Ihr Spezialgebiet sind Lebenszyklusstrategien, also wie sich Säugetiere über das ganze Leben hinweg Ressourcen einteilen und wie sich das auf die Populationsdynamik auswirkt. In Langzeitstudien mit den beiden Populationen verflüchtigen sich kurzzeitige Phänomene und grundlegende, auch klimatisch beeinflusste Schwankungen treten hervor. Schon im Frühling merken die Kleinsäuger, ob sie sich gleich wieder hinlegen können. Siebenschläfer bekommen nur in den Jahren Junge, in denen die Buchen masten, also sehr viele Samen reifen: „Sie sind ein tolles Tiermodell, weil sie ihre Jungen in Nistkästen bekommen und sich im Gegensatz zu anderen Wildtieren in die Kinderstube schauen lassen.“ Diese Daten ermöglichen verlässlichere Aussagen zu möglichen Ursachen für Veränderungen und wie es aussieht, zeigen sich bereits Folgen der menschgemachten Klimaerwärmung. Das reichliche Reifen von Bucheckern passiert öfter, jetzt schon alle zwei Jahre.

Was Claudia Bieber an Lebenszyklen fasziniert, ist die Vielfalt an Strategien, die zum Ziel führen. Während der Siebenschläfer mit 80 Gramm im Frühjahr das Nahrungsangebot in den Kronen der Buchen prüft und so entscheidet, ob sich die Reproduktion in diesem Jahr lohnt, sieht das Wildschein mit 80 Kilo erst im Herbst, wenn die Bucheckern herabfallen, wie das Futterangebot ausfällt. Liegt eine Mast vor, bekommt es dann schon als Jährling selbst Frischlinge. Einige Tierarten beschleunigen das Erwachsenwerden, andere verzögern es. Manche Arten bekommen etliche Junge in einem Wurf und kümmern sich nur kurz um den Nachwuchs, andere bekommen ein Junges, das sie im Extrem mehr als ein Jahrzehnt betreuen: „Wann ein Tier in die Reproduktion einsteigt, hat auch einen Effekt auf die Lebensdauer. Es sind wichtige Entscheidungen, wie und wann investiert wird.“ Im Labor werden die Freilandbeobachtungen im Detail überprüft. Etwa die langsamere Alterung durch regelmäßige Verlängerung der Telomere (der Endstücke von Chromosomen). Auch zum Thema Merkfähigkeit bei Siebenschläfern ist sie in ein Projekt involviert. Gemeinsam mit ihrem Mann, einem Physiologen, hat sich Claudia Bieber den Winterschlaf genau angesehen, der bis zu elf Monate im Jahr dauern kann. Die Institutsleiterin bezeichnet die fachübergreifende Arbeitsweise als typisch für das FIWI, „wo verschiedene Fachleute mit ihrer Expertise im Austausch stehen und einander zu interessanten Fragestellungen ergänzen, was insgesamt ein größeres Bild ergibt“.

Zeitungsartikel als Lehrstoff

Was ist Claudia Bieber wichtig bei Lehrveranstaltungen wie der Populationsökologie-Vorlesung seit 2004 oder bei Exkursionen? Die Grundlagen erklären, Orientierung bieten und das Bewusstsein dafür schärfen, was lebensfähige Populationen ausmacht und welche Strategien für den Schutz berücksichtigt werden müssen: „Die Vetmeduni hat viele Spezialgebiete und ich möchte zeigen, wo es Sinn macht, diese Expertise in Richtung Ökologie zu ergänzen und zu kooperieren.“ Sehr viele praktische Beispiele für den Unterricht oder über „ihre Tiere“ findet sie übrigens in Zeitungen – und auch im Redaktionsbeirat des VETMED Magazins arbeitet sie mit. „Tauben füttern ja/nein“, „Tierschutzprojekt Spendenaufruf ja sicher/lieber nicht“ – das alles sind aktuelle praktische Fragestellungen für ihre Studierenden.

Mit Jahresbeginn wurde ihr nach vielen Jahren eine ordentliche Professur zuerkannt. Eine unbefristete Stelle hatte sie zum Glück seit ihrem Start am FIWI. Die 57-Jährige hätte nicht mehr damit gerechnet, noch von einer Frauenförderung zu profitieren, sagt sie lachend: „Die späte Anerkennung macht mich glücklich und ich will das nutzen, um ein modernes Bild von Frauen in der Forschung zu transportieren. Zu meiner Zeit war da kein Rollenmodell: Die wenigen Professorinnen hatten für die Karriere Kinder und Familie geopfert – den Preis wollte man nicht zahlen.“ Mit der Leitungsfunktion am Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie hat sich ihr Tätigkeitsfeld noch einmal verändert. Als Stellvertreterin arbeitete sie mehr intern, nun positioniert sie das FIWI auch nach außen, fädelt Kooperationen ein, betreibt Öffentlichkeitsarbeit und sieht es als ihre Aufgabe, ein fruchtbares Umfeld für Forschende zu schaffen, wie sie es auch vorgefunden hat. Die Freiheit der Forschung ist ihr ein hohes Gut: „Ich bin sehr neugierig. Mich treibt nicht die Karriere, sondern das Wunder des Lebens auf unserem Planeten mit seiner fantastischen Vielfalt.“ Sie wird nie verstehen, wie man sich so für die virtuelle Welt im Film „Avatar“ begeistern kann, wo doch unsere reale Welt mit ihrer Vielfalt voller Wunder steckt. Und voller fantastischer Forschungsobjekte.

Der Beitrag erschien in VETMED 01/2023

alle Fotos: Thomas Suchanek/Vetmeduni