Springe zum Hauptinhalt Springe zur Erinnerungsarbeit Navigation

Claudia Kuretsidis-Haider: Die Tierärztliche Hochschule zwischen Austrofaschismus, Nationalsozialismus und früher zweiter Republik

Videoaufzeichnung vom 17.10.2023, Vetmeduni

"Die Wiener Tierärztliche Hochschule war schon vor 1938 eine nationalsozialistische Hochburg", erklärt die Historikerin Claudia Kuretsidis-Haider.

Ein lauter Knall. Und jede Menge Rauch. Mitten im Uni-Alltag kommt es an der Wiener Tierärztlichen Hochschule im November 1933 zu einem Terroranschlag. Während einer Vorlesung werden am Gang vor einem Hörsaal zwei Rauchbomben gezündet. Ein Student namens Karl Sigloch glaubt, die Täter erkannt zu haben und meldet sie: Zwei Nazi-Studenten werden verhaftet. In den Wochen darauf wird Karl Sigloch am Uni-Campus massiv angefeindet. Er braucht jetzt Polizeischutz.

„Die Wiener Tierärztliche Hochschule war schon vor 1938 eine nationalsozialistische Hochburg“, sagt Claudia Kuretsidis-Haider. Sie hat gemeinsam mit ihrer Historiker-Kollegin Lisa Rettl zur Geschichte der heutigen Vetmeduni im Nationalsozialismus geforscht und Ergebnisse in zwei Büchern aufgearbeitet. Vor allem aus Rektoratsakten und Inskriptionspapieren ließen sich Schlüsse ziehen.

Schon 1934 waren zehn Prozent der Studierenden illegal Nazis

Ganz klar zeigt sich: Hitler hatte an der Wiener Tierärztlichen Hochschule schon vor seiner Machtübernahme in Österreich massive Sympathien. Nazi-Studenten attackierten Mitstudierende 1933 wiederholt derart, dass die Uni vorübergehend geschlossen werden musste. Ihre Gewalt war nicht nur antisemitisch motiviert. Sie war ebenso ein Protest gegen die damalige österreichische Regierung. Das austrofaschistische Regime installierte „Hochschul-Wachen“, kontrollierte die Disziplin und verpflichtete Student:innen zu Uni-Lagern mit Vorträgen zum „vaterländischen Gedanken“.

Trotzdem wuchs Hitlers Anhängerschaft an der heutigen Vetmeduni: Insgesamt 376 Studierende waren im Jahr 1934/35 an der Wiener Tierärztlichen Hochschule inskribiert. Gegen zehn Prozent lief ein Disziplinarverfahren wegen illegaler NS-Beteiligung. „Das ist eine hohe Zahl. An der Universität Wien waren es nur 1,5 Prozent“, sagt Historikerin Claudia-Kuretsidis-Haider. Unterlagen aus dem Archiv belegen, dass die Zahl der Nazi-Sympathisanten auch in den Folgejahren nicht abnahm. Im Jahr des „Anschlusses“ bezeichneten sich rund 16 Prozent der Studierenden der Wiener Tierärztlichen Hochschule in den Inskriptionsformularen als „gottgläubig“. Elf Prozent waren es an der Boku, neun Prozent an der Universität Wien. „‚Gottgläubig‘ hieß, man war weder katholisch noch evangelisch, aber auch nicht glaubenslos. Es bedeutete Nazi“.

Ausschluss jüdischer Studierender und politische Personalentscheidungen

1938 wurde Wilhelm Marbach von der Wiener Tierärztlichen Hochschule ausgeschlossen – der letzte verbliebene jüdische Student. Zuvor schon war die Zahl jüdischer Studierender an der heutigen Vetmeduni kontinuierlich gesunken (für mehr Infos zu Porträts jüdischer Studierender siehe Artikel Wege Spuren Schicksale – mit Vergangenheit in die Zukunft)Während andere Unis 1938 jüdisches Personal entließen, passierte das an der Wiener Tierärztlichen Hochschule nicht. Denn: Man hatte gar keines eingestellt. Auch sozialdemokratisch denkende Professoren waren gar nicht erst zu finden. Trotzdem kam es zu politisch motivierten Personalentscheidungen. Die beiden Dozenten Alexander Sknorzil und Fritz Hauer wurden entlassen und Franz Zaribnicky wurde dem Amt des Prorektors enthoben – weil sie dem christlich-sozialen Lager angehörten.

Das Militär brauchte Veterinärmediziner

Mit Stand 1945 arbeiteten an der Wiener Tierärztlichen Hochschule insgesamt 204 Personen – rund 28 Prozent davon waren NSDAP-Parteimitglied. Der Anteil bei Arbeitern, Putzfrauen oder Portieren war niedrig, jener bei Professoren und Assistenten sehr hoch. „Vor allem Assistenten erhofften sich durch die Parteimitgliedschaft eine gute Karriere“, sagt Claudia Kuretsidis-Haider. Ob es auch Uni-Angehörige gab, die im Krieg medizinische Verbrechen begingen? Dazu hat das Historiker:innen-Team nichts entdeckt. Allerdings seien nicht nur Schwerverbrecher zur Verantwortung zu ziehen: „Es geht darum, wer trägt dieses System. Und hier war die heutige Vetmeduni ein aktiver Faktor.“ Veterinärmediziner waren für das Nazi-Militär in jedem Fall interessant. Denn Pferde waren ein wichtiger Faktor im Transport. Vor allem im Frühjahr und Herbst, wenn es mit Panzern schwierig, weil gatschig war, wurden sie als Kriegsgerät genutzt. Das galt ebenso für Hunde. Ein Foto von 1938 zeigt Menschenschlangen vor der Wiener Tierärztlichen Hochschule. Hundebesitzer:innen ließen ihre Tiere auf Tauglichkeit für den Kriegsdienst überprüfen.

Lehrbetrieb aufrecht trotz Bombenangriffen

Sieben Mal wurde die Wiener Tierärztliche Hochschule während der Kriegsjahre von Bomben getroffen. Gebäude am Alten Campus in der Linken Bahnzeile im dritten Bezirk stürzten ein. Der Lehrbetrieb wurde dennoch fortgesetzt: „Die Professoren waren bereits ältere Herren und nicht im Kriegseinsatz“, sagt die Historikerin Claudia Kuretsidis-Haider. Studenten mussten sehr wohl einrücken. „Inwiefern jemand von ihnen in schwere Kriegsverbrechen involviert war, wissen wir nicht“, so Claudia Kuretsidis-Haider, „wir fanden aber Beileidsbekundungen. Kam ein Student im Krieg um, wurde neben der Familie auch die Uni informiert.“

Aufarbeitung nach dem Krieg schwierig

Kurz vor Kriegsende machte sich in der Führungsriege der Wiener Tierärztlichen Hochschule Nervosität breit. Der damalige Rektor Otto Krölling ließ Teile der Rektoratsakten vernichten. Andere Dokumente wurden in einem Hotel am Wolfgangsee gebunkert. Dann floh Otto Krölling in den Westen. Er war NSDAP-Mitglied der ersten Stunde. Zwar verbrachte Otto Krölling mehrere Monate im amerikanischen Internierungs-Lager Glasenbach. Ab 1948 aber durfte er den Tierarztberuf wieder ausüben. Wenig später war er zurück an der Vetmeduni. Auch Franz Bennesch, ebenfalls Rektor in der NS-Zeit, kam in der Entnazifizierungs-Kommission glimpflich davon. Er konnte sich der Unterstützung eines befangenen Kollegen erfreuen. Obwohl enthusiastischer Nazi, war Bennesch ab 1954 wieder ordentlicher Professor an der Vetmeduni. Von der Universität Gießen erhielt er Anfang der 1960er gar ein Ehrendoktorat. Nachkriegs-Strafprozesse gegen Angehörige der Wiener Tierärztlichen Hochschule gab es kaum. „Die Wiener Tierärztliche Hochschule war klein. Wie ein Familienbetrieb. Keine Krähe wollte der anderen ein Auge aushacken“, zieht Claudia Kuretsidis-Haider Bilanz: „Es gab zwar Lehrende, die mit Kriegsende aus ihren Positionen entfernt wurden.“ Aber: „Spätestens Anfang der 1950er Jahre waren sie wieder zurück im Amt“. Die Arbeit des Historiker:innenteams zur NS-Zeit an der Vetmeduni ist mit dem Output von zwei Büchern vorerst beendet. Herauszufinden gäbe es aber noch genug, sagt Claudia Kuretsidis-Haider: „Vor allem im Bereich Uni-Personal sind viele Forschungsfragen offen.“

Zum Projekt:

In vierjähriger Forschungsarbeit hat sich ein dreiköpfiges Team, darunter die Historikerin Claudia Kuretsidis-Haider, der Aufarbeitung der NS-Zeit an der Vetmeduni gewidmet, initiiert vom Rektorat aus Anlass des 250-Jahre- Jubiläums der Vetmeduni 2015. Im Wallstein-Verlag sind erschienen: „Die Wiener Tierärztliche Hochschule und der Nationalsozialismus“ und „Jüdische Studierende und Absolventen der Wiener Tierärztlichen Hochschule 1930 – 1947“..

 

Zur Person:

Claudia Kuretsidis Haider, geb. 1965, ist seit 1994 Mitarbeiterin des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes. Sie ist außerdem Co-Leiterin der Zentralen österreichischen Forschungsstelle Nachkriegsjustiz. Sie forscht zur NS-Zeit, schwerpunktmäßig zu Vergangenheitspolitik, Widerstand und Verfolgung sowie NS-Verbrechen.

Text: Marlene Groihofer