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Weltweit erstes Indiz: Mensch beeinflusst Evolution weit stärker als gedacht

03.04.2024: Die Fruchtfliege Drosophila melanogaster ist einer der am besten untersuchten Organismen der Welt. Aufgrund ihrer kurzen Generationsfolge von wenigen Tagen ist sie in der Genetik ein bevorzugtes Forschungsobjekt. Sie ist aber weit mehr als das, wie nun ein Team des Instituts für Populationsgenetik der Veterinärmedizinischen Universität Wien zeigt. In wissenschaftlicher Detektivarbeit erbrachten die Forscher durch DNA-Analyse einen möglicherweise bahnbrechenden Nachweis. Demnach hat sich das Erbgut der untersuchten Fruchtfliegen massiv verändert – womöglich aufgrund menschlicher Aktivität.

Ein Team von Wissenschaftern aus den USA und Schweden entschlüsselte letzten Jahres das Erbgut von 200 Jahre alten Fruchtfliegen. Dabei handelte es sich um Fruchtfliegen, die 200 Jahre in Museen von Schweden und Dänemark gelagert waren.

Massive Erbgutveränderung: 7 genomische Parasiten in nur 200 Jahren

Diesen „Cold case“ nutzte das Wissenschaftsteam der Vetmeduni, um die Veränderung des Erbguts der Fruchtfliege zu untersuchen. Dabei zeigte sich, dass sich die DNA der Fruchtfliege innerhalb von 200 Jahren massiv verändert hat. Dazu Studien-Letztautor Robert Kofler: „Es haben sich bei den Fruchtfliegen sieben genomische Parasiten (Transponierbare Elemente; TEs) ausgebreitet, was das Erbgut um 1,2%  vergrößert hat – und das innerhalb von nur 200 Jahren.“

Mensch als unerwünschter Evolutionstreiber

TEs sind Abschnitte von DNA, deren Invasion einen massiven Einfluss auf die Evolution hat. Laut den Wissenschaftlern steht zu befürchten, dass der Mensch für die unerwartet schnelle Evolution des Fliegenerbguts verantwortlich ist. „Unsere Arbeit zeigt einen ganz neuen Aspekt von menschlicher Aktivität und seines Einflusses auf die Umwelt. Bisher waren alle besorgt, dass der Mensch das Klima erwärmt. Wir haben nun erste Hinweise, dass der Mensch womöglich auch dafür verantwortlich ist, dass sich das Insektenerbgut massiv verändert. Und zwar in kurzer Zeit, durch die massive Ausbreitung von parasitischer DNA“, so Kofler weiter.

Invasive Arten als wahrscheinlicher Grund

„Die von uns nachgewiesene hohe Rate von TE-Invasionen ist höchst ungewöhnlich. Wir vermuten, dass dafür invasive Arten – also Arten, die sich aufgrund menschlicher Aktivität außerhalb ihrer ursprünglichen Verbreitungsgebiete ansiedeln – verantwortlich sind“, erklärt Pianezza.

Kleine Fruchtfliege schreibt Evolutionsgeschichte

Laut den Forscher:innen fanden die TE-Invasionen in zwei Wellen statt. Als Ursprung wurden Arten aus dem Drosophila simulans-Komplex – einem nahen Verwandten der Fruchtfliege Drosophila melanogaster – identifiziert. Durch die Analyse von Stämmen und Proben, die zu verschiedenen Zeitpunkten entnommen wurden, erstellten die Forscher einen detaillierten Zeitplan der TE-Invasionen. „Das macht Drosophila melanogaster zum ersten Organismus, bei dem die Invasionsgeschichte von TEs über zwei Jahrhunderte hinweg abgeleitet werden konnte“, so Scarpa.

Die Studienergebnisse zementieren laut Kofler auch die zukünftige Forschungsrichtung: „Wir müssen überprüfen ob wir solche TE-invasionen auch bei anderen Insekten finden. Daher wollen wir mit nationalen und internationalen Museen zusammenarbeiten – unter anderem dem Naturhistorischen Museum Wien – um die Erbgutveränderung anderer Insektenarten zu entschlüsseln. Weiters müssen wir testen ob sich die Rate der TE invasionen im Laufe der Jahrhunderte, zum Beispiel mit Zunahme des menschlichen Frachtverkehrs erhöht hat. Dazu müssen wir noch viel weiter als nur 200 Jahre zurückgehen, zum Beispiel durch Bohrkerne.“
 

Der Artikel „Genomes of historical specimens reveal multiple invasions of LTR retrotransposons in Drosophila melanogaster during the 19th century.“ von Almorò Scarpa, Riccardo Pianezza, Filip Wierzbicki und Robert Kofler wurde in „PNAS“ veröffentlicht.

Wissenschaftlicher Artikel