03.06.2024: Osteoarthrose ist eine schmerzhafte, chronische Gelenkerkrankung. Unterstützt von wings4innovation stellt der KHAN-I Fonds finanzielle Mittel für ein Projekt mit der Veterinärmedizinischen Universität Wien bereit. Dieses hat zum Ziel, Wirksubstanzen für die Regeneration von Gelenkknorpeln zu identifizieren. In diesem Beitrag gibt LISAvienna Einblicke in die frühe Phase dieses Arzneimittelentwicklungsprojekts.
Osteoarthrose ist die mit Abstand häufigste Form einer degenerativen Gelenkerkrankung beim Menschen, tritt aber auch im Veterinärbereich auf und betrifft die Gelenkknorpel, die gelenkauskleidende Synovialmembran und den unter dem Gelenkknorpel befindlichen Knochen. Durch die kontinuierliche Abnutzung und Entzündungen kommt es zu Schmerzen, Funktionseinschränkungen und in weiterer Folge zu dauerhaften körperlichen Beeinträchtigungen. Gelenkknorpel können sich im erwachsenen Säugetier nicht regenerieren, weswegen Osteoarthrose zu den bislang nicht heilbaren, chronischen Erkrankungen zählt. Teilweise schafft es der Körper, zur Reparatur Faserknorpelgewebe aufzubauen, das aber nicht so widerstandsfähig wie normales Gelenkknorpelgewebe ist. Beim Menschen beginnen die Symptome häufig im Alter von 40 bis 50 Jahren – fast alle 80Jährigen sind in unterschiedlichem Ausmaß betroffen. Florien Jenner und Iris Gerner von der Veterinärmedizinischen Universität Wien verfolgen eine Idee zur Entwicklung von Arzneimittelkandidaten, die Heilung oder zumindest deutlich verbesserte Regeneration abgenutzter Gelenkknorpel bei Osteoarthrose bieten könnten. Dabei wird hochspezialisiertes Detailwissen aus der Entwicklungsbiologie zum Thema Knorpelwachstum genutzt.
Professioneller Technologietransfer
„Ziel unseres Projekts ist es, Arzneimittelkandidaten für eine regenerative Therapie bei Osteoarthrose zu entwickeln. Wir setzen dabei auf einen zellfreien Ansatz, denn dieser öffnet im Gegensatz zu Stammzelltherapien die Tür zu standardisiert und kostengünstig herstellbaren, gut lagerfähigen Produkten, die für die Versorgung großer Bevölkerungsteile geeignet sind“, so Florien Jenner, Leiterin des Klinischen Zentrums für Pferde an der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf Gelenkerkrankungen und neuen Ansätzen zur Regeneration. Sie betont: „Wir finden es großartig, dass uns wings4innovation und der KHAN-I Fonds bei diesem Projekt unterstützen und begleiten. Neben den finanziellen Mitteln ist besonders das Fachwissen über den Markt und zu den Prozessen und Anforderungen in der biopharmazeutischen Industrie für uns von großem Wert. Das direkte und umfassende Feedback auf Augenhöhe spart Zeit, vermeidet Irrwege und erleichtert es uns, das nötige Netzwerk aufzubauen.“ Zentral bei der Entstehung des Projekts war ein Meet & Greet Event der Technologietransferstelle der Vetmeduni. In diesem Rahmen wurden wings4innovation und der KHAN-I Fonds vorgestellt und Forschende konnten ihre Ideen zu neuen Arzneimitteln präsentieren. Florien Jenner hält fest: „Unser Technologietransfer war nicht nur richtungsweisend bei der Vernetzung mit wings4innovation und hinsichtlich der Antragstellung, sondern unterstützte uns auch professionell und zügig bei der Ausarbeitung eines maßgeschneiderten Vertrags, der die Basis für die Umsetzung des Projekts bildet.“
Experimentelles Modell entscheidend für den Erfolg
„Das Krankheitsmodell, an dem wir unsere Analysen durchführen, ist entscheidend für den Fortschritt des Projekts. Damit wir praxisrelevante Ergebnisse erzielen können, haben wir viel Energie in die Etablierung des experimentellen Aufbaus, in die Auswahl aussagekräftiger Untersuchungsparameter und von Kontrollexperimenten gesteckt. Nur mit so einem komplexen, ausgereiften, krankheitsspezifischen Testsystem lassen sich robuste Ergebnisse erzielen, auf deren Grundlage dann tatsächlich ein Arzneimittel entwickelt werden kann“, berichtet Labormanagerin Iris Gerner und ergänzt: „Die Herausforderungen sind groß, im Labor kommt es auf jedes Detail an. Daher mussten wir während der Pandemie auch einige Monate pausieren, bis bestimmte Komponenten wieder verfügbar waren, auf die wir für unsere 2D- und 3D-Zellkultur angewiesen sind. In Abstimmung mit dem wings4innovation Team konnten wir unser Projekt aber kostenneutral verlängern, um diese Phase auszugleichen.“ Therapieerfolg und damit das regenerative Potential lassen sich im Testsystem im Labor messen und durch die Analyse aussagekräftiger Biomarker dokumentieren und vergleichen. Der Fokus liegt dabei auf Schwerpunkten wie:
- Knorpelbildung inklusive extrazellulärer Matrix
- Reduktion von Entzündungs- und Alterungsprozessen
- Erfolgreiche Zellteilung und Wundheilung
Was bisher erreicht wurde
Abgesehen von der kurzen pandemiebedingten Verzögerung entwickelt sich das Projekt plangemäß und liefert vielversprechende Ergebnisse. Dabei wird auf Detailwissen aufgebaut, das auf vielen Jahren intensiver Forschung beruht. Wichtige Eckpfeiler wurden im Rahmen eines FFG Bridge Frühphase Projekts und über das Sparkling Science Programm des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung erarbeitet. Aus der Entwicklungsbiologie ist bekannt, dass fetale Säugetiere ihre Gelenkknorpel noch zur Gänze regenerieren können – dieses Wissen nutzt das Projekt. Die Anwendung des in Entwicklung befindlichen Wirkstoffs ist nicht nur für Humanpatient:innen interessant, sondern auch für den Veterinärbereich. Tiere wie Hunde, Katzen, Schafe oder Pferde bekommen ebenfalls Osteoarthrose. Dem Projektteam gelang es bereits, Zellsekrete zu isolieren, die im experimentellen Testsystem therapeutisch wirksam sind und die Bildung von Gelenkknorpeln anregen. Neben gut in Zellkultur produzierbaren, perinatalen, extrazellulären Vesikeln sind fetale Proteine entscheidend. Letztere sind noch genauer zu charakterisieren und sollen für den Einsatz in Arzneimitteln zukünftig rekombinant in biopharmazeutischen Anlagen hergestellt werden. „Die Zusammenarbeit läuft hervorragend basierend auf gegenseitigem Vertrauen und Wertschätzung, essentielle Faktoren wenn Grundlagenforschungs- und Verwertungsaspekte in Einklang gebracht werden müssen“, erzählt Peter Nussbaumer, Geschäftsführer von wings4innovation und Teil des Khanu Management Teams.
Expertise von Partnern gezielt nutzen
Das Projektteam bestehend aus Vertreter:innen von wings4innovation und der Vetmeduni arbeitet mit einer Reihe von Partnern zusammen und holt sich auf diese Weise Expertise ins Boot – vor allem auch aus dem Wiener Life Sciences Ökosystem. Zu den Partnern zählen:
- Evercyte: Wiener Unternehmen, das standardisierte Zellen für die Biomedizin bereitstellt – von Primärgeweben bis zu in-vitro Testsystemen und extrazellulären Vesikeln (EVs) für klinische Anwendungen. Im Projekt kommen Zelllinien von Evercyte zum Einsatz sowie EVs produziert von perinatalen Stammzellen. Zudem wurden in vitro 2D / 3D Testsysteme entwickelt, um zu untersuchen, welchen Einfluss EVs auf entzündete Chondrozyten, Synoviozyten und Fibroblasten haben.
- TAmiRNA: Das Wiener Unternehmen TAmiRNA hat sich auf die Nutzung von mikroRNAs als Werkzeuge in der Medizin spezialisiert und kürzlich die europaweite Zulassung für seinen nicht-invasiven Leberfunktionstest, hepatomiR®, erhalten. Im Bereich der Auftragsforschung ist TAmiRNA führend in NGS-basierten mikroRNA & mRNA Analysen und unterstützt das w4i-Projekt umfassend in den Bereichen RNA-seq und Bioinformatik.
- Morphisto: Histologie Servicelabor in Offenbach am Main und Hersteller gebrauchsfertiger Chemikalien für Laboranwendungen. Für das Projekt färbt und untersucht das Unternehmen histologische Proben.
- Joint Metabolome Facility: Gemeinsame Core Facility von Universität Wien und Medizinischer Universität Wien. Im Rahmen des Projekts stehen hier massenspektroskopische Untersuchungen im Vordergrund.
Weitere Finanzmittel und zusätzliche Partner nötig
Der nächste wichtige Meilenstein im Projekt ist der Einsatz von Massenspektrometrie zur Identifikation der fetalen Proteine, die im experimentellen Modell die Regeneration von Gelenkknorpeln anregen. Dazu wird gezielt untersucht, worin sich wirksame Sekrete von weniger wirksamen unterscheiden. Erst wenn dieser Schritt erfolgreich geschafft ist, kann die Arzneimittelentwicklung voranschreiten. Dazu zählt die rekombinante Herstellung der Wirksubstanzen für die nötigen präklinischen und klinischen Studien und die Kombination dieser Proteine mit Sekreten perinataler Zellen. Das ist nicht nur experimentell herausfordernd, sondern auch kosten- und zeitintensiv. Das Projektteam betont, wie wichtig es ist, gemeinsam mit KHAN-I das Projekt möglichst weit voranzutreiben. Nur mit herausragenden Proof-of-concept Daten können später zusätzliche Finanzmittel eingeworben und Partner für die weitere Projektentwicklung überzeugt werden. Eine zentrale Rolle in der Weiterfinanzierung spielen öffentliche Förder- und Finanzierungsinstrumente der Austria Wirtschaftsservice (aws), der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) und von regionalen Förderagenturen wie der Wirtschaftsagentur Wien sowie privates Risikokapital. Auch die Zusammenarbeit mit Pharmaunternehmen gilt es perspektivisch aufzubauen, da sie zentrale Partner sind, um Arzneimittel auf den Markt zu bringen. Bis aus diesem Ansatz für eine regenerative Osteoarthrose-Therapie medizinische Realität wird, sind jedenfalls noch viele Jahre Forschung und Entwicklung nötig und zahlreiche Hürden zu meistern.
Wie Osteoarthrose bisher behandelt wird
Osteoarthrose führt zu Schmerzen, Entzündungen und Einschränkungen in der Beweglichkeit bis hin zu dauerhaften körperlichen Beeinträchtigungen. Schmerzlindernde und entzündungshemmende Mittel helfen, um die Symptome abzumildern, die mit den Schäden an den Gelenkknorpeln einher gehen. Allerdings gibt es keine Arzneimittel am Markt, die Osteoarthrose heilen. Eine wichtige Therapiesäule bildet regelmäßige Bewegung. Diese stimuliert die Nährstoffversorgung und damit den Erhalt der Knorpel und trägt zum Muskelaufbau bei. Bandagen und Orthesen helfen ebenfalls, das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen. Empfohlen werden außerdem Ernährungsanpassungen und Gewichtsreduktion. Bei akuten Krankheitsschüben werden Corticosteriode in die besonders betroffenen Gelenke injiziert. In sehr schweren Fällen, bei denen keine anderen Behandlungen mehr helfen, ist ein künstlicher Gelenkersatz (Endoprothese) nötig, was aber nur bei wenigen Gelenken umgesetzt werden kann.