Springe zum Hauptinhalt

10.02.2023: Im Goffin Lab Goldegg der Vetmeduni wurde gezeigt, dass Goffin-Kakadus vor dem Gebrauch mehrerer Werkzeuge an einer Futterstelle, diese als „Set“ kategorisieren. Durch diese „mentale Repräsentation“ transportieren sie die einzelnen Teile des Werkzeugsets aktiv zur Futterstelle, um die dort auf sie wartende Herausforderung zu bewältigen.

Einige Probleme lassen sich nicht mit einem einzigen Werkzeug lösen. Manchmal werden mehrere verschiedene Werkzeuge mit unterschiedlichen Funktionen nacheinander benötigt, um ein Ziel zu erreichen. Solche Werkzeugsets sind ein wichtiger Teil der menschlichen Kulturtechnik und stellen eines der fortschrittlichsten Beispiele für den Technikeinsatz bei Tieren dar.

Bisher wurde nur von zwei Arten berichtet, die in freier Wildbahn Werkzeugsets anwenden: Schimpansen und Goffin-Kakadus. Während man früher davon ausging, dass nur unsere engsten lebenden Verwandten diese Fertigkeit besitzen, wurde vor kurzem bekannt, dass auch der Goffin-Kakadu, eine extrem weit von uns entfernte Tierart, zumindest in freier Wildbahn in der Lage ist, ein Werkzeugset zu benutzen. Aber die Fähigkeit, ein Werkzeugset zu verwenden, und die Fähigkeit, beide Werkzeuge als ein Set zu kategorisieren, sind möglicherweise zwei sehr unterschiedliche Dinge. So wurde beispielsweise berichtet, dass wild lebende Schimpansen robuste Stöcke oder andere Schlagwerkzeuge nehmen, um einen Termitenhügel aufzubrechen, und danach dünne, biegsame Stöcke als eine Art Angel benutzen, um nach den Termiten zu fischen. Lange Zeit wurde argumentiert, dass das Aufgreifen des ersten Werkzeugs einfach dadurch ausgelöst wird, dass der Hügel versperrt ist, und dass die Verwendung des zweiten Werkzeugs erst durch den Anblick des nun geöffneten Hügels getriggert wird. Was also wie ein Werkzeugset aussah, war möglicherweise nichts weiter, als eine Kette einzelner Werkzeugeinsätze auf einer repräsentativen Ebene.´Diese Ansicht änderte sich erst, nachdem Schimpansen im abgelegenen Goualougo-Dreieck (Republik Kongo) beobachtet wurden, wie sie beide Werkzeuge gleichzeitig zu den Termitenfangplätzen transportierten. Diese Schimpansen erkannten also die Notwendigkeit beider Werkzeuge, bevor sie eines davon benutzten, was auf die mentale Einordnung beider Instrumente als Set hindeutet.

Inspiriert von den Schimpansen des Goualougo-Dreiecks konzipierte Antonio José Osuna Mascaró vom Messerli Forschungsinstitut der Veterinärmedizinischen Universität Wien drei Experimente, um zu testen, ob Goffin-Kakadus in der Lage sind, ein echtes Werkzeugset gedanklich abzubilden.

Studienverlauf

„Zunächst wollten wir testen, ob diese kleinen Kakadus in der Lage sind, die Verwendung eines Werkzeugsets selbst zu entwickeln“, sagt Osuna Mascaró. „Wir haben ihnen also ein Problem gestellt, welches dem der Schimpansen beim Termitenfang ähnelt. Dabei versperrten wir den Vögeln mit einer Folie den Zugang zu einer in einem Kasten liegenden Nuss und stellten ihnen zwei Werkzeuge zur Verfügung: einen kurzen, spitzen Stock und einen langen, flexiblen Stock. Die Folie konnte nur mit dem spitzen Werkzeug aufgerissen werden, das dann aber zu kurz war, um die Belohnung zu erreichen, also mussten beide nacheinander benutzt werden.“ Und er fügt hinzu: „Das Lustige dabei ist, dass die bevorzugte Nahrung dieser Goffins die Cashewnuss ist, deren Geschmack dem Geschmack der Termiten, die Schimpansen essen, sehr ähnelt. Die Ähnlichkeiten gehen also über das hinaus, was wir visuell wahrnehmen können!“

Zur Überraschung des Forschers lösten die Kakadus dieses erste Experiment mit verblüffender Leichtigkeit. „Wir sind es gewohnt, dass Figaro die Aufgaben meisterhaft löst, aber eine solche Geschwindigkeit hatte ich nicht erwartet", sagt Osuna Mascaró. Figaro, das höchstrangige Männchen der Gruppe, löste die Aufgabe bei seinem ersten Anlauf in nur 31 Sekunden (für diesen Versuch waren eigentlich 10 Minuten vorgesehen). Fini, ein Weibchen, löste die Aufgabe ebenfalls in nur 34 Sekunden. Weitere Kakadus benötigten zwar zwei oder drei Versuche, um die Lösung zu finden, aber auch ihre Leistung kann als bemerkenswert bezeichnet werden.

Die Goffins waren also in der Lage, ein Werkzeugset innovativ einzusetzen, aber war dies nur das Ergebnis einer erlernten Abfolge von Handlungen oder hatten sie eine mentale Repräsentation, ein inneres Abbild, der beiden Werkzeuge als Set gemacht? Um diese Frage zu klären, führten die Forscher:innen ein zweites Experiment durch: „Um zu testen, ob die Kakadus ihr Werkzeugset flexibel einsetzen, stellten wir sie nach dem Zufallsprinzip abwechselnd vor zwei verschiedenen Kasten: eine mit einer Folie bedeckt, wie zuvor, und eine andere ohne Folie, die die Vögel daran hinderte, die Nuss zu erreichen. Die Kakadus mussten also je nach Problem handeln: manchmal wurde das ganze Werkzeugset benötigt, und manchmal reichte ein einziges Werkzeug“, sagt Osuna Mascaró. Das erinnert an die Situation der Schimpansen beim Termitenfang im Goualougo-Dreieck: Manchmal ist das gesamte Werkzeugset notwendig; bei Termitenhügeln, die bereits Löcher aufweisen, reicht der Angelstock aus.

Wie zu erwarten war, schnitten die in Österreich aufgezogenen Kakadus auch bei dieser Aufgabe hervorragend ab. Doch die Forscher:innen fanden auch Unerwartetes. Prof. Alice Auersperg, Leiterin des Goffin Labs, erklärt: „Vor dem Einsetzen des ersten Werkzeugs wechselten die Tiere öfters zwischen beiden Werkzeugoptionen hin und her“, berichtet Auersperg. „Interessanterweise verbesserte sich ihre Leistung nach diesem Hin- und Herwechseln; die Wahrscheinlichkeit, das richtige Werkzeug zu wählen, war nach wiederholtem Wechseln höher. In zukünftigen Experimenten wollen wir den Entscheidungsprozess der Vögel und vielleicht auch bestimmte Aspekte ihrer Metakognition – ihr Wissen über ihr eigenes Wissen – erforschen.“ Nachdem die Forscher:innen des Goffin Labs beobachtet hatten, wie Kakadus durch den flexiblen Gebrauch eines Werkzeugsets eine innovative Lösung für ein Problem finden, wollten sie testen, ob die Kakadus die beiden Werkzeuge gleichzeitig als Set transportieren würden. Ein flexibler Transport (ein Transport beider Werkzeuge bei Bedarf), wie er von den Schimpansen des Goualougo-Dreiecks durchgeführt wird, würde bedeuten, dass die Kakadus die Bedeutung beider Werkzeuge verstehen, bevor sie sie benutzen, und daher auch beide Werkzeuge zusammen als ein Set kategorisieren können. In diesem Experiment mussten die Kakadus zunächst eine Leiter erklimmen, um eine Plattform zu erreichen, auf der eine der beiden Kasten (mit bzw. ohne Folie) auf sie wartete. Danach konnte dieselbe Plattform nur durch einen kurzen horizontalen und einen darauffolgenden vertikalen (anstrengenden) Flug erreicht werden.

„Vier Kakadus transportierten schließlich beide Werkzeuge zusammen zur Plattform, auch wenn dafür ein fliegender Transport erforderlich war. Das war sehr bemerkenswert“, sagt Osuna Mascaró. „Drei dieser Kakadus transportierten die Werkzeuge auf sehr konsequente Weise zusammen. Sobald sie gelernt hatten, die Werkzeuge (allein) zu transportieren, transportierten sie sie jedes Mal gleichzeitig, wenn sie auf den Kasten stießen, der beide Werkzeuge benötigte, und seltener bei dem Kasten, bei dem das nicht der Fall war.“ Abgesehen vom Menschen sind nur zwei weitere Arten bekannt, die in freier Wildbahn Werkzeugsets verwenden. Die vorliegende Studie zeigt, dass es sich beim Gebrauch von Werkzeugsets sowohl bei Schimpansen als auch bei Goffin-Kakadus, um ein komplexeres Verhalten handelt, als nur die reine Nutzung zweier Werkzeuge hintereinander. „Unsere Kakadus hatten immer die Möglichkeit hin und her zu fliegen, ein Werkzeug zu benutzen und dann zurückzukehren, um das andere Werkzeug aufzuheben, zur Futterstelle zu transportieren und dort zu benutzen. Stattdessen lernten mindestens drei von ihnen, beide Werkzeuge im Voraus mitzunehmen. Das deutet darauf hin, dass sie beide Werkzeuge als ein Set kategorisieren können“, erklärt Osuna Mascaró. Alice Auersperg fügt hinzu: „Um die Entstehung unserer eigenen werkzeugtechnischen Fähigkeiten zu verstehen, ist es notwendig, nicht nur auf unsere engsten lebenden Verwandten zu schauen, sondern auch zu untersuchen, wie ähnliche Fähigkeiten bei Arten entstehen, die extrem weit von uns entfernt sind, in diesem Fall durch mehr als 300 Millionen Jahre Evolution.“
 


Weitere Informationen:

Der Artikel “Flexible tool set transport in Goffin’s cockatoos.” von Antonio J. Osuna-Mascaró, Mark O'Hara, Remco Folkertsma, Sabine Tebbich, Sarah R. Beck und Alice M.I. Auersperg wurde in Current Biology veröffentlicht.*
 

Wissenschaftlicher Artikel


Goffin Lab des Messerli Forschungsinstituts der Vetmeduni
 


*The study is part of a collaborative project funded by the WWTF (Wiener Wissenschafts und Technologie Fund) and by the FWF (Austrian Science Fund). The researchers study the innovative skills of the cockatoos at the University of Veterinary Medicine Vienna and compare them with those of children of different AGES (University of Birmingham).