15.11.2023: COVID-19 bei Tieren? Die Frage danach ging im Zuge der Corona-Pandemie in der öffentlichen Wahrnehmung unter. Auch die Forschung zu SARS-CoV-2 konzentrierte sich bisher weitgehend auf die Auswirkungen für den Menschen. Und das, obwohl es sich beim Virus höchstwahrscheinlich um eine Zoonose, also um eine von einem Tier auf den Menschen übergesprungene Infektion handelt. Insgesamt wurden nicht einmal die Hälfte der bekannten Krankheitsfälle bei Tieren dokumentiert, bei den Todesfällen ist der Wert nochmals deutlich geringer. Laut einer soeben publizierten Studie der Vetmeduni und des Complexity Science Hubs Vienna (CSH) ist diese Datenlücke besonders besorgniserregend, da sich die Politik auf offizielle Datensätze stützt.
Ziel der nun vorgestellten Studie war es, die Datenlücke bei der Zahl von SARS-CoV-2-Fällen und von damit verbundenen Todesfällen bei Tieren zu schließen. Dazu verglichen die Wissenschafter:innen die offiziellen Zahlen, welche der Weltorganisation für Tiergesundheit (WOAH) über ihr World Animal Health Information System (WAHIS) gemeldet wurden, mit jenen, die über zwei andere Datenquellen – ProMED-Mail und wissenschaftliche Veröffentlichungen – registriert wurden.
Bis zu zwei Drittel der tierischen Corona-Todesfälle nicht gemeldet
„Mindestens 52,8 % der SARS-CoV-2-Fälle bei Tieren und 65,8 % der Todesfälle zwischen Februar 2020 und August 2022 wurden nicht an das WAHIS gemeldet“, erklärt Studien-Letztautorin, Amélie Desvars-Larrive, von der Abteilung für Öffentliches Veterinärwesen und Epidemiologie an der Vetmeduni, die auch am Complexity Science Hub Vienna (CSH) forscht. "Diese Datenlücke bei der offiziellen Meldung von Fällen und Todesfällen ist eine große Herausforderung, zumal sich die politischen Entscheidungsträger:innen auf die offiziellen Daten verlassen. Datenverzerrungen und verzerrte Daten können zu einer suboptimalen Politikgestaltung und einer ineffizienten Ressourcenallokation führen", betont Desvars-Larrive.
Außerdem stellten die Forscher:innen eine "geografische Lücke" fest. Während einige Länder, vor allem im globalen Norden, routinemäßig Daten über SARS-CoV-2-Fälle bei Tieren austauschen, ist dies im Süden weniger üblich, wo die Verfügbarkeit von Ressourcen ein großes Hindernis für eine effektive Datenerfassung und -verbreitung darstellen kann.
Grundlage dieser Erkenntnis war die Kombination von Informationen aus drei verschiedenen Datenquellen. Daraus erstellte das Forschungsteam eine neue umfassende Liste von 35 Tierarten, die unter natürlichen Bedingungen als anfällig für SARS-CoV-2 gelten. „Dies stellt einen erheblichen Fortschritt gegenüber den Zahlen vom WOAH und der FAO der Vereinten Nationen dar. Darüber hinaus haben wir Tierarten identifiziert, die dem WAHIS in zu geringem Ausmaß gemeldet wurden, und festgestellt, dass Hunde und Katzen in Forschungsstudien die meiste Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben“, so Desvars-Larrive.
One Health: Wertvolle Ansatz zur Vorbeugung neu auftretender Zoonosen
Die Analyse liefert wertvolle Einblicke in die Muster der Meldung von Tierinfektionen mit SARS-CoV-2. Unterstrichen wird dadurch die Notwendigkeit, den Datenaustausch über SARS-CoV-2-Ereignisse bei Tieren zu verbessern, weil dies für eine wirksame One Health-Überwachung, Prävention und Kontrolle neu auftretender Krankheiten zoonotischen Ursprungs von entscheidender Bedeutung ist.
FAIRe Daten sind das Um und Auf
Idealerweise sollte dies durch die gemeinsame Nutzung von Daten und Metadaten nach den FAIR-Grundsätzen – Findable, Accessible, Interoperable, Reusable – erfolgen. Für die Bekämpfung von Pandemien zoonotischen Ursprungs sind laut den Forscher:innen zeitnahe, qualitativ hochwertige und genaue Daten über Fälle bei Mensch und Tier von entscheidender Bedeutung. „Denn Entscheidungen und politische Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit werden zunehmend datengesteuert. Höchste Zeit, die Datenlücken zu schließen“, appelliert Desvars-Larrive an die Entscheidungsträger:innen.
Der Artikel „Data on SARS-CoV-2 events in animals: mind the gap!“ von Afra Nerpel, Annemarie Käsbohrer, Chris Walzer und Amélie Desvars-Larrive wurde in „One Health“ veröffentlicht.
Wissenschaftlicher Artikel
Complexity Science Hub Vienna