01.09.2021: ForscherInnen des Messerli Forschungsinstituts der Vetmeduni Vienna und des indonesischen Instituts für Wissenschaften gelang es, wild lebende Goffini Kakadus in Indonesien dabei zu beobachten, wie sie bis zu drei unterschiedliche Werkzeuge nutzen, um an Samen einer tropischen Frucht zu gelangen. Die Vögel fertigten diese Behelfe speziell an und nutzten sie als „Keil“, zum „Schneiden“ sowie zum „Herauslöffeln“. Anhand ihrer Studie zeigten die ExpertInnen, dass Goffini Kakadus die Herstellung und den Gebrauch von „Tool Sets“ in freier Wildbahn erlernen können. Diese Fähigkeit wurde zuvor nur bei Menschenaffen beobachtet.
Goffini Kakadus sind klug und aus früheren Studien dafür bekannt, dass sie in Gefangenschaft den Gebrauch von Holzstückchen als Werkzeug erlernen können. ForscherInnen des Messerli-Forschungsinstituts an der Veterinärmedizinischen Universität Wien, in Zusammenarbeit mit dem Indonesischen Institut für Wissenschaften und gefördert vom Österreichischem Fond für Wissenschaft und Forschung (FWF), haben diese Vögel bereits einige Jahre in ihrem natürlichen Habitat auf den Tanimbar Inseln in Maluku, Indonesien, eingehend studiert. Jedoch erst kürzlich machten sie eine erstaunliche Entdeckung, als sie eine Gruppe von Kakadus genauer untersuchten: „Ich konnte es kaum glauben! Als ich ihnen (den Kakadus) eine bestimmte Frucht aus dem Wald anbot, begann einer der Kakadus sich ein Werkzeug aus einem Ast zu basteln. Es war verblüffend wie geschickt und kompetent der Vogel dieses Werkzeug anzuwenden verstand,“ so Studienleiter Mark O’Hara, Kognitionsbiologe am Messerli-Forschungsinstitut der Vetmeduni Vienna.
Komplexes Verhalten beobachtet
Kakadus sind angepasste Generalisten, die viele verschiedene Nahrungsquellen nutzen. Manche Nahrungsmittel sind für die Vögel jedoch schwer zu „knacken“. Laut der sogenannten “Futter Extraktions-Hypothese“ ist die Fähigkeit, an schwer erschließbares Futter zu gelangen, der Entwicklung von Intelligenz zuträglich.„Wir konnten Kakadus dabei beobachten, wie sie über Tage hinweg daran arbeiteten, um junge Kokosnüsse zu öffnen. Im Fokus unseres Interesses standen Nahrungsquellen, die eher komplexe Methoden zur Extraktion des Futters erfordern. Nun wurden wir bei Samen, die in Fruchtsteinen eingeschlossen sind, fündig,“ erklärt Berenika Mioduszewska, vergleichende Psychologin am Messerli Forschungsinstitut und zweite Studienleiterin.
Raffinierte Anwendung
Kakadus verwenden unterschiedliche Holzfragmente, die sie aus Ästen herstellen, um Samenmaterial durch einen Schlitz aus Fruchtsteinen „herauszulöffeln“. „Mittels detaillierter 3-D Analyse dieser Werkzeuge und den damit ausgeführten Aktionen konnten wir feststellen, dass die Goffins tatsächlich bis zu drei verschiedene Werkzeuge mit jeweils unterschiedlicher Funktion einsetzen und sich auch hinsichtlich der Herstellungsart unterscheiden,“ sagt Mark O‘Hara. Der Einsatz solcher „Tool Sets“ ist um einiges anspruchsvoller, als die Nutzung eines einzigen Werkzeuges und war bisher nur bei Primaten (Menschen, Schimpansen und Kapuziner Affen) bekannt. „Besonders beeindruckend ist, dass die Papageien solche Meisterleistungen mit unglaublichem Geschick und größter Präzision ausführen,“ fügt Berenika Mioduszewska hinzu. „Besagtes Verhalten wird rasch und dynamisch durchgeführt, außerdem mutet es recht unscheinbar an, weshalb es fast unmöglich ist, es im dichten Blätterdach zu beobachten. Wir hatten die einzigartige Möglichkeit, detaillierte Beobachtungen aus der Nähe anzustellen, da wir eine Gruppe wilder Kakadus für kurze Zeit in einer Beobachtungsvoliere unterbrachten. Nach mehreren Jahren an Projektplanung, sowie harter körperlicher Arbeit war es letztendlich ein Glücksfall, dieses Verhalten bei Goffini Kakadus zu entdecken,“ ergänzt O‘Hara.
"Dieser Tool Set der Goffins erinnert an die Nutzung von Besteck,“ meint Alice Auersperg, die die Forschung an diesen Kakadus vor einem Jahrzehnt in Österreich initiierte. Der harte Kern der Frucht benötigt manchmal einen dicken Keil, um den engen Schlitz zu weiten der Zugang zum Samenmaterial ermöglicht. Allerdings muss zuvor ein Schutzmantel um den Samen mit einem „messerartigen“ Werkzeug perforieret werden, das eher dünn und spitz ist. Schlussendlich extrahieren die Vögel den Samen mit einem größeren und breiteren „Löffel“. „Diese dynamischen Handlungen, sowie die komplexe Sequenz bei der Herstellung und der Anwendung der Werkzeuge könnten das raffinierteste Beispiel innovativer Technologie ergeben, das bisher bei wilden Tieren beobachtet wurde," so Alice Auersperg, Gründerin und Leiterin des Goffin-Labs der Abteilung für Vergleichende Kognitionsforschung am Messerli Forschungsinstitut der Vetmeduni Vienna.
Allerdings zeigen nicht alle Goffini Kakadus dieses anspruchsvolle Verhalten. Vielmehr scheint es auf einige wenige Individuen beschränkt zu sein. „Diese Tatsache ist von Bedeutung, da ein artenweiter Werkzeuggebrauch eventuell stärker genetisch verankert ist. Weisen hingegen nur wenige Gruppenmitglieder ein solches Verhalten auf, deutet das auf eine selbstständige Entwicklung einzelner Individuen hin,“ erklärt Mioduszewska.
Die Studienergebnisse bereichern das Wissen über komplexen Werkzeuggebrauch bei anderen Arten und zeigen, welche Umstände zu einer Evolution von Technologie beitragen können. Laut den WissenschafterInnen könnte eine Mischung aus Opportunismus, das Extrahieren von Futter, Persistenz sowie ausgeprägten sensomotorischen Fähigkeiten und der Neigung, Objekte zu kombinieren, diese Technologieevolution gefördert haben. "Diese Entdeckung ist ein richtiger Schatz für uns. Es war schon immer unser Traum, mit diesen wundervollen Tieren in ihrer natürlichen Umgebung zu arbeiten. Hier können wir sie beim freien Flug beobachten, sie kennen lernen und ihr Vertrauen gewinnen, bis sie uns im Gegenzug Schritt für Schritt ihre Geheimnisse preisgeben. Dem FWF und unseren Kollegen in Indonesien verdanken wir, dass dieser Traum Wirklichkeit wurde. Als wir realisierten, dass wir die ersten WissenschafterInnen sind, die dieses Verhalten beobachten und beschreiben durften, fühlten wir uns zu tiefst berührt und dankbar,“ sind sich Mark O‘Hara und Berenika Mioduszewska einig.