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Handicap-Prinzip: Von der falschen Hypothese zum wissenschaftlichen Standard
25.11.2019: In einer kürzlich erschienenen Arbeit räumt Dustin Penn vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung an der Vetmeduni Vienna mit einem verbreiteten wissenschaftlichen Irrtum auf. Das Handicap-Prinzip ist die am häufigsten zitierte Erklärung für das teils aufwändige Erzeugen von Signalen in der Tierwelt wie z.B. das Federkleid von Pfauen. Laut Penn ist diese Idee jedoch völlig falsch und kann verworfen werden.
Tiere erzeugen manchmal unehrliche Signale, insbesondere, wenn Täuschung von Vorteil ist, obwohl sie auch ehrliche und zuverlässige Signale aussenden – selbst wenn Täuschung von Vorteil zu sein scheint. Eines der zentralen theoretischen Probleme bei der Entwicklung der Tierkommunikation ist: Warum sind Signale oft ehrlich? Die am häufigsten zitierte Erklärung dafür ist das Zahavi-Handicap-Prinzip, wo Amotz Zahavi vorschlug, dass Signale ehrlich sind, weil ihre Herstellung kostspielig ist. Demnach sei das Signalisieren energetisch verschwenderisch und das Risiko, die Beute von Raubtieren zu werden, werde dadurch erhöht.
Eine soeben in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Biological Reviews veröffentlichte Überprüfung des Handicap-Prinzips durch Dustin Penn vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung an der Vetmeduni Vienna und Szabolcs Számadó (CSS-RECENS, MTA-Zentrum für Sozialwissenschaften und Evolutionssysteme, Ungarn) liefert eine vollkommen neue Perspektive. Es handelt sich dabei um die erste umfassende Überprüfung des Handicap-Prinzips, welche die verschiedenen dem Handicap-Prinzip zugrundeliegenden Modelle untersucht. Die beiden Wissenschafter zeigen, dass das Handicap-Prinzip unlogisch, nicht darwinistisch und falsch ist und erklären, wie es in der Science Community dennoch zu einer breiten Akzeptanz gekommen ist.
Pfaue und ihre aufwändigen Signale
Die großen, farbenfrohen sexuellen Darstellungen von Pfauen und anderen Vögeln, mit denen männliche Tiere weibliche Artgenossen anziehen, werden häufig als Beispiele für das Handicap-Prinzip angeführt. Ab 1975 argumentierte Amotz Zahavi, dass solche auffälligen Darstellungen „ehrliche“ Indikatoren für die genetische Qualität von Männern sind, weil ihre Herstellung kostspielig ist und minderwertige Männer sich den damit verbundenen Aufwand nicht leisten könnten. Nach dem Handicap-Prinzip entstehen auffällige Signale, weil sie kostspielig sind und nicht trotz ihrer Kosten, wie bei anderen Merkmalen. Diese Idee war zunächst sehr umstritten – aber dann änderte sich alles.
Akzeptanz des Handicap-Prinzips aufgrund mathematischer Modelle
1990 veröffentlichte Alan Grafen zwei Arbeiten mit mathematischen Modellen des „Strategic Choice Signaling“, die er als Bestätigung des Handicap-Prinzips interpretierte. Seine Schlussfolgerungen wurden weithin akzeptiert, auch von früheren Kritikern Zahavis. Seitdem hat sich das Handicap-Prinzip als allgemeines Prinzip, das die Entwicklung zuverlässiger Signale erklärt, durchgesetzt und wird als solches auch in Lehrbüchern zitiert. In ihrer wissenschaftlichen Untersuchung weisen Penn und Számadó nun nach, dass es sich dabei um eine Reihe an Fehlinterpretationen mehrerer Studienergebnisse handelt. Dustin Penn und Szabolcs Számadó folgern daraus: „Grafens Modelle stimmen mit der evolutionären Lebensgeschichte überein, aber es ist an der Zeit, das Handicap-Prinzip in einen ‚ehrenvollen Ruhestand‘ zu führen".