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Vom Bären lernen: Wie Tiere ihren Körper im Winterschlaf fit halten
Wann und wo hält ein Bär Winterschlaf? Und was unterscheidet und vereint Bären und kleine Winterschläfer wie den Gartenschläfer? Diesen Fragen geht SYLVAIN GIROUD nach. In Labor- und Feldstudien erforscht der Ökophysiologe, durch welche Eigenschaften Tiere in der Lage sind, Energie in einer sich ständig verändernden Umgebung einzusparen.
VETMED: Ihr Forschungsthema ist die Ökophysiologie von Winterschlaf und Torpor. Was bedeutet das genau?
Sylvain Giroud: Mich interessieren die Strategien zur Energieeinsparung bei heterothermen Tieren. Das sind Tiere, die in der Lage sind, vorübergehend auf ihre konstante Körpertemperatur (Euthermie) zu verzichten, indem sie ihren Stoffwechsel und ihre Körpertemperatur reduzieren. Die Frage, die mich beschäftigt, ist: Wie gehen sie mit einer veränderten Verfügbarkeit von Nahrung oder ungünstigen Umweltbedingungen, wie niedrigeren Umgebungstemperaturen, um? Mein Fokus gilt dem Verständnis der Prozesse des Torpors und der Senkung des Stoffwechsels in einem ökophysiologischen Kontext und aus einer evolutionären Perspektive. Das beleuchtet neben dem punktuellen Verhalten des Einzeltiers auch die weiteren Folgen für das Individuum und für die nachfolgende Generation. Meine Forschung ist mit einem Ansatz der translationalen Medizin verknüpft und könnte auch für die biomedizinische Forschung von Interesse sein.
Wo und wie führen Sie Ihre Forschung durch?
Giroud: Der Großteil meiner Forschung findet mit Tieren wie dem Gartenschläfer am FIWI statt, entweder in unseren Außenanlagen oder im Stoffwechsellabor unter simulierten Winterbedingungen. In Zusammenarbeit mit einer Arbeitsgruppe in Straßburg und im Rahmen der Co-Betreuung eines Doktoranden forsche ich außerdem zum Europäischen Hamster, ebenfalls unter Gefangenschaftsbedingungen. Der Hauptunterschied zu freilebenden Tieren besteht darin, dass in Obhut gehaltene Tiere unbegrenzt Nahrung zur Verfügung haben und dass keine Raubtiere vorhanden sind. Der Druck durch Beutegreifer ist für kleine Säugetiere wie Hamster oder Gartenschläfer in freier Wildbahn ein großes Problem. Natürlich haben sie in der Anlage nur begrenzten Platz, sodass sich die Tiere nicht wie in der Natur verteilen können. Ich arbeite auch mit Kolleg:innen, die Feldforschung betreiben und Proben liefern, wie etwa beim Scandinavian Brown Bear Research Project (SBBRP), einer Zusammenarbeit zwischen vielen verschiedenen Forschungsgruppen mit spezifischen Fachkenntnissen.
Im Bärenprojekt erforscht ein internationales Team die Fähigkeit der Bären, Winterschlaf zu halten. Auf welche Hindernisse stieß das Team dabei?
Giroud: Im Rahmen dieses Projekts beobachten hochqualifizierte Wildtierärzt:innen,Wildhüter:innen und Wildtierökolog:innen zusammen mit Biolog:innen und medizinischen Physiolog:innen Braunbären in Schweden und in Norwegen. Die Forschenden sammeln sowohl im Sommer als auch im Winter Proben, wobei jede Jahreszeit ihre eigenen Herausforderungen mit sich bringt. Im Sommer spürt das Team die Bären mit dem Hubschrauber auf. Die Tiere werden betäubt und mit einem GPS- und Temperaturlogger ausgestattet. Außerdem werden Proben aus Muskelgewebe und weißem Fettgewebe entnommen, Blutproben gesammelt und die Herztätigkeit zum Beispiel mit Echo-Doppler überwacht.
Was passiert mit den entnommenen Proben?
Giroud: Die Proben werden vor Ort schockgefroren und in die Labors der verschiedenen Forschungsteams zurückgebracht. Bestimmte Analysen an frischem Gewebe können sofort durchgeführt werden. Im Winter liegt die Stärke dieses Projekts in der Verwendung von GPS-Halsbändern, um die Höhlen ausfindig zu machen, in denen die Bären ihren Winterschlaf halten. Die Expert:innenteams kommen auf Schneescootern oder Skiern mit ihrer gesamten Ausrüstung direkt zu den Bären in deren Höhlen, wo sie betäubt werden. Die Entnahme der Proben muss reibungslos und schnell erfolgen, damit der Winterschlaf der Bären nicht zu sehr gestört wird.
Was sind die neuesten Erkenntnisse aus dieser Forschung?
Giroud: Jedes Team im Bärenprojekt hat seinen eigenen Forschungsschwerpunkt. Mein Fachgebiet ist der Energie- und Fettstoffwechsel. Die meisten Winterschläfer wiegen weniger als vier Kilogramm, was etwa der Größe eines Alpenmurmeltiers entspricht. Ausnahmen sind Dachse und Braunbären. Während die kleineren Winterschläfer ihren Stoffwechsel im Durchschnitt um 95 Prozent reduzieren, ihre Körpertemperatur während des Winterschlafs drastisch absenken – von 37 auf etwa 4 bis 6 Grad Celsius – und dazwischen Aufwärmphasen einlegen, überwintern Bären bei mäßiger Hypothermie. Das bedeutet: Während des Winterschlafs verringert sich ihre Körpertemperatur um nur 4 oder 5 Grad Celsius, ihr Stoffwechsel geht jedoch erheblich – um 75 Prozent – zurück.
Was bedeutet das für die weitere Forschung?
Giroud: Bei den meisten Winterschläfern handelt es sich um fettspeichernde Arten. Das heißt, sie nutzen die vor dem Winter angesammelten Fettreserven, um ihren Energiebedarf während des Winterschlafszu decken. Andere Tiere sind nahrungsspeichernde Winterschläfer, die sich während der Winterruhe ernähren. Trotz mehrmonatiger Inaktivität verschonen Winterschläfer ihre Proteine und insbesondere ihre Muskeln. Bären sind Experten darin, ihre Muskelmasse und Kraft während des Winterschlafs zu erhalten. Ein nächster Schritt wäre, den Fett- und Proteinstoffwechsel bei kleinen Winterschläfern zu untersuchen und die Ergebnisse mit denen von überwinternden Bären zu vergleichen. Weitere Fragen betreffen die Mechanismen, die der Verschonung von Proteinen und Erhaltung von Muskeln bei Bären während des Winterschlafs zu Grunde liegen. Außerdem stellt sich die Frage, wie der Klimawandel und der Einfluss des Menschen das Verhalten der Winterschläfer beeinflussen. In einem von mir mitbetreuten Doktorandenprojekt in Norwegen wird dieser Aspekt derzeit bei freilebenden Braunbären untersucht.
Welche Bedeutung haben Ihre Forschungsergebnisse für den Menschen und für die Humanmedizin?
Giroud: Beim biomimetischen Ansatz lässt man sich von der Natur inspirieren, etwa vom Winterschlaf. Im Winter senken die Tiere ihren Stoffwechsel und können Proteine verschonen und Muskelmasse erhalten. Außerdem zeigen sie starke Anpassungen des Fettstoffwechsels, die bei nichtüberwinternden Arten, einschließlich Menschen und einigen Haustieren, mit krankhaften Veränderungen in Verbindung stehen. Diese Strategien liefern neue Ideen für die biomedizinische und veterinärmedizinische Forschung, insbesondere auf dem Gebiet der Atherosklerose und der Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Zur Nachlese:
Interview: Stephanie Scholz
Dieser Artikel erschien in VETMED Magazin 04/2021