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Forschung

Was steckt hinter dem Winterschlaf?

Er macht seinem Namen alle Ehre und verschläft einen Großteil des Jahres – der SIEBENSCHLÄFER hat besondere physiologische Eigenschaften und wird als Modellorganismus für Winterschlaf studiert. Das Team um Claudia Bieber und Thomas Ruf untersucht in einer Langzeitbeobachtung eine Siebenschläferpopulation im Wienerwald sowie in Studien die kognitiven Fähigkeiten von handaufgezogenen Tieren.

Handaufgezogen. Für Lernexperimente werden zahme Siebenschläfer eingesetzt. Da die Angst vor dem Menschen fehlt, ist das völlig stressfrei für die Tiere möglich. Foto: Thomas Suchanek/Vetmeduni

Handaufgezogen. Für Lernexperimente werden zahme Siebenschläfer eingesetzt. Da die Angst vor dem Menschen fehlt, ist das völlig stressfrei für die Tiere möglich. Foto: Thomas Suchanek/Vetmeduni

Siebenschläfer halten ihren Winterschlaf regelmäßig, etwa von September bis Mai, und stellen dafür ihren Organismus auf Sparflamme. „In unseren Breitengraden verbringen Siebenschläfer damit im Durchschnitt acht Monate im Winterschlaf, nicht sieben, wie sein Name vielleicht vermuten lässt“, erklärt Claudia Bieber. Gemeinsam mit Thomas Ruf leitet sie Forschungsprojekte, die physiologische Mechanismen des Winterschlafs ergründen.

Meisterleistung des Körpers

Bei Siebenschläfern besteht der Winterschlaf aus vielen sogenannten Torporphasen, die durch kürzere Wärmephasen (Arousals) unterbrochen werden. Währenddessen sind bei einer Körpertemperatur von nur 5 bis 7 Grad Celsius, die annähernd der Umgebungstemperatur entspricht, alle Körperfunktionen extrem herabgesetzt. „Die Herzfrequenz wird von etwa 350 auf 8 Schläge pro Minute reduziert“, sagt Bieber. „Auf so niedriger Sparflamme verbrauchen die Tiere sehr wenig Energie. Die angefressenen Fettvorräte sichern das Überleben für viele Monate, denn während des Winterschlafs nehmen Siebenschläfer keinerlei Nahrung oder Flüssigkeit auf.“

Obwohl die Körpertemperatur von Siebenschläfern bei extrem kalten Umgebungstemperaturen sogar auf den Gefrierpunkt absinken kann, kommen die Tiere mit rapiden Temperaturstürzen nicht gut zurecht. Daher suchen sie sich ein gut isoliertes Versteck, meist 60 bis 80 Zentimeter tief in der Erde. „In diesem frostfreien Bereich überdauern sie den Winterschlaf unbeschadet“, erklärt Tierökologin Bieber. Manchmal wählen die Tiere allerdings ein nur scheinbar gutes Quartier. „Es gab schon einen Siebenschläfer, der es sich im Ofen einer einsamen Berghütte gemütlich gemacht hat – und zum Glück rechtzeitig entdeckt wurde. Auf den Dachboden übersiedelt, hat das Tier dann schnell in den Winterschlaf zurückgefunden“, fügt die Forscherin mit einem Zwinkern hinzu.

Fettvorräte und Physiologie 

Wann und warum Siebenschläfer den Winterschlaf einleiten, wie sie ihn überstehen und welche Folgen er für sie und ihre Gedächtnisleistung haben kann, untersuchen die Forschenden am Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI). Aktuell widmet sich das Team zwei Projekten: einem Freilandprojekt und einer Kognitionsstudie mit handaufgezogenen Siebenschläfern. Bei ersterem beobachten die Forschenden seit 15 Jahren die Fortpflanzung und die Winterschlafgewohnheiten einer Siebenschläferpopulation im Wienerwald. Sie fanden heraus, dass die Siebenschläfer in manchen Jahren große Teile der warmen Jahreszeit sicher unter der Erde verbrachten, nämlich dann, wenn ihre Hauptnahrungsquellen Bucheckern und Eicheln nicht verfügbar waren. „Die Samen haben einen hohen Energiegehalt und erlauben es den Tieren, in nur vier Monaten Aktivitätszeit ihre Jungen großzuziehen und ausreichende Fettvorräte für den Winterschlaf anzulegen“, so Thomas Ruf.

Verbindung zwischen Baum und Nager

Da jedoch Buchen und Eichen nicht in jedem Jahr zur sogenannten Mast kommen, fällt in manchen Jahren das Futterangebot für die Nager schlecht aus. „Als hervorragende Kletterer bekommen sie schon früh im Sommer mit, ob die Samenknospen wachsen, und stellen sich auf das Angebot ein“, erklärt Bieber. Die Tiere verschieben die Jungenaufzucht und ziehen sich – falls genügend Fettreserven vorhanden sind – erneut in den Winterschlaf unter der Erde zurück, für über elf Monate. Laut den Forschenden ein Rekord im Tierreich. Eine mögliche Erklärung ist, dass die Siebenschläfer diese Strategie auch einsetzen, um sich vor Fressfeinden zu schützen. „Als Kleinsäuger auf Nahrungssuche nach Beeren und Früchten laufen sie schnell Gefahr, von Eulen, Käuzen oder Mardern gefangen zu werden“, so Ruf. „Es scheint also die beste Lösung, ein Jahr zu verschlafen, bis die Bedingungen wieder optimal für die Jungenaufzucht sind.“

Erinnerungsvermögen nach dem Winterschlaf

Im zweiten Projekt erforscht das Team, wie sich die Ruhephasen auf die kognitiven Fähigkeiten von Siebenschläfern auswirken. Wie ist ihre Orientierung, erinnern sie sich an Wege, die sie zuvor kannten? Die Forschenden nutzen ein Labyrinth, das handaufgezogene Tiere vor und nach dem Winterschlaf durchlaufen. „Für fundierte Ergebnisse braucht es einen langen Atem“, betont Bieber, „wir müssen mehrere Winterschlafperioden abwarten, bis wir wissen, was hier vor sich geht.“ Bisher zeigte sich, dass die Tiere den Weg durch das Labyrinth sehr gut lernen und von anfangs über zehn Minuten nach dem Training in fünf bis zehn Sekunden ins Ziel finden. „Leckerer Obstbrei als Belohnung im Ziel scheint hier die richtige Motivation“, lacht Bieber.

Text: Stephanie Scholz
Dieser Artikel erschien in VETMED Magazin 04/2021


Claudia Bieber studierte Biologie in Marburg an der Lahn, wo sie auch ihre Promotion mit Schwerpunkt Tierökologie absolvierte. 1996 wechselte Bieber an das FIWI, blieb ihrem Forschungstier, dem Siebenschläfer, treu und etablierte eine Zuchtkolonie von Siebenschläfern am Forschungsinstitut. In ihrer weiteren Forschung entdeckte sie die spannenden Zusammenhänge, die gepulst auftretende Nahrungsressourcen auf Lebenszyklusstrategien von Säugetieren haben. Damit wurde auch das Wildschwein, eine Tierart, die ebenfalls an die Verfügbarkeit von Bucheckern und Eicheln angepasst ist, ein weiterer Forschungsschwerpunkt.

Thomas Ruf studierte Biologie an der Universität Marburg, Deutschland, wo er auch promovierte. Nach einem zweijährigen Postdoc-Aufenthalt an der Kent State University in Ohio, USA, begann er zunächst als wissenschaftlicher Assistent an der Universität Marburg, bevor er ans FIWI nach Wien wechselte. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf dem Energiehaushalt von Tieren. Seit 2005 ist er stellvertretender Leiter des Forschungsinstituts für Wildtierkunde und Ökologie. Von 2008 bis 2012 war Ruf Präsident der Internationalen Gesellschaft für Winterschlafforschung, seit 2014 ist er Beiratsmitglied der Themengruppe „Winterschlaf“ der European Space Agency (ESA).