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Universität

In Watte gepackt – Wenn Wundstarrkrampf die Muskeln krampfen lässt

Pferde sind die empfänglichste Haustierart für Tetanusinfektionen. Durch harmlos erscheinende Verletzungen gelangen die Bakterien in den Organismus, wie bei Stute Montana.

Stute am Campus der Vetmeduni
Foto: Thomas Suchanek/Vetmeduni

Pferde sind die empfänglichste Haustierart für Tetanusinfektionen. Durch harmlos erscheinende Verletzungen gelangen die Bakterien in den Organismus, wie bei Stute Montana.

Wie ein Bergsteiger hängt Montana in einem Geschirr, das mit faustgroßen Karabinern an einem roten Stahlrahmen befestigt ist. Ihre Ohren sind starr nach hinten gerichtet, aus ihnen quellen weiße Wölkchen hervor. „Watte, um Geräusche zu dämpfen“, erklärt Tierärztin Vicky Frisch die Fotos aus der Patientendokumentation. „Jedes Erschrecken kann weitere Muskelspastiken auslösen.“ Die junge Stute hält den Kopf steif nach vorne gestreckt, die Augen wirken geschlossen. Am Hals wirft die Muskulatur das sandfarbene Fell in strenge Furchen.

Drei Tage zuvor wurde das Pferd in die Universitätsklinik gebracht, Verdacht auf Tetanusinfektion. Vicky Frisch übernahm den Fall gemeinsam mit dem Team der Internen Medizin und der Verdacht erhärtete sich. Die Watte, ein mit dickem Teddyflausch gepolstertes Halfter und die „Sling“ – das Geschirr, in dem die Stute hängt – sind drei der vielen Vorsichtsmaßnahmen, um das Tier aktuell vor sich und der Welt zu schützen. Auf weiteren Bildern ist ein Infusionszugang am Hals der Stute zu sehen, die Mähne sorgfältig weggeflochten. Dann, wie zwei Studentinnen in grauen Klinikoveralls der Stute eine ihrer „Suppen“ in einem babywannengroßen, blauen Silikontopf unter das Maul halten. „Zum Glück konnte sie Flüssigkeit alleine aufnehmen“, sagt Frisch.

Die Inkubationszeit bei Tetanus beträgt in der Regel zwei bis 21 Tage. „Sie kann aber auch Monate andauern, je nach Dosis des Toxins, Verhältnissen in der Wunde und Entfernung zum zentralen Nervensystem“, sagt Jessika-M. Cavalleri. Sie leitet die Abteilung für Innere Medizin in der Universitätsklinik für Pferde und hat in ihrer Laufbahn einfach schon zu viele Tetanusinfektionen gesehen. Einen Impfstoff für Menschen entwickelten Forschende um Emil von Behring 1890 und setzten ihn während des Ersten Weltkriegs bei US-Soldaten ein. Bei Pferden sei die Erkrankung ebenfalls dank einer Impfung, die zu den empfohlenen, sogenannten Core-Impfungen gehört, vermeidbar und glücklicherweise selten geworden, sagt Cavalleri.

Üblicherweise stehen Tetanusinfektionen in Zusammenhang mit kleineren Wunden wie bei einem Nageltritt, einer Nabelentzündung oder Kastrationswunden. Oft erwischt es Fohlen oder Tiere, bei denen der Impfschutz gar nicht oder nicht ausreichend vorhanden ist. Warum gerade Fohlen? „Weil durch eine ungenügende Kolostrumaufnahme keine Antikörper durch die Muttermilch übertragen wurden“, sagt Cavalleri. „Durch den Nabel kommen sie bereits mit einer ‚Wunde‘ auf die Welt, in der sich allgegenwärtige Tetanusbakterien ansiedeln.“


Infektion durch Bodenkeime

Tetanusinfektionen entstehen durch eine anaerobe Wundinfektion. Bakterien des Stamms Clostridium tetani gelangen in den Körper und produzieren unter Sauerstoffausschluss ein Gift (Tetanustoxin), das in den Blutkreislauf gelangt und entlang des zentralen Nervensystems wandert. Die Erreger sind in der Umwelt allgegenwärtig, zum Beispiel in Straßenstaub, Gartenerde oder Tierkot.

 

Wundstarrkrampf

Pferde, Schafe und Menschen zählen zu den empfindlichsten Spezies gegenüber dem Tetanustoxin. Etwa 68 Prozent der Pferde sterben nach einer Tetanusinfektion, beim Menschen versterben rund 20 Prozent der Patient:innen nach Komplikationen. Der geläufige Name „Wundstarrkrampf“ leitet sich von der krampfartigen Kontraktion jeglicher Muskulatur im Körper nach der Toxikoinfektion ab. Achtung! Keine Immunität nach überstandener Erkrankung!

Dauerhaft angespannte Muskulatur

Cavalleri erklärt die Wirkungsweise des Toxins wie eine unterbrochene Leitung. Das sogenannte Tetanospasmin wird in der Wunde von den Bakterien produziert und wandert in die Nervenzellen des Rückenmarks und Hirnstamms, wo es sich festsetzt und die Hemmung der Motorneuronen blockiert. „Dadurch spannen sich die Muskeln dauerhaft an und bekommen keinen Befehl mehr zum Loslassen“, sagt Cavalleri.

Im klinischen Bild zeigen Pferde mit einer Tetanusinfektion daher vor allem angespannte Muskulatur, Übererregbarkeit, vermehrtes Speicheln, aufgeblähte Nüstern und einen angstvollen Blick. Dazu kommen steife Ohren, Probleme beim Kauen und Schlucken oder das Aufstoßen, die Regurgitation von Futter über die Nüstern sowie eine erschwerte Atmung. „Die Tiere nehmen mit Fortschreiten der Erkrankung eine sogenannte ‚Sägebockstellung‘ ein“, erklärt Cavalleri. „Die Beine sind steif in den Boden gestemmt, der Hals starr nach vorne gerichtet.“ In freier Wildbahn soll der Sägebock verhindern, dass sie unkontrolliert umfallen. Denn dies birgt ein hohes Verletzungsrisiko und die Tiere kommen nicht mehr hoch, was wiederum die Atmung erschwert. In der Klinik kommen die Tetanuspatienten daher in die Sling – wie Montana. Zeigt eine Behandlung keinen Erfolg oder wird die Tetanusinfektion nicht erkannt, ersticken die meisten Tiere, weil sie durch die immer stärker werdenden Muskelkrämpfe nicht mehr atmen können. Auch Dehydration oder Niereninsuffizienz können tödliche Folgen sein.

Von einer harmlosen Wunde zum Wundstarrkrampf

Montana hatte ebenfalls eine vermeintlich harmlose Wunde – eine Verletzung der Huf-Lederhaut, die sich als Hufeiterung ausbildete. „Der wurde behandelt und es war alles gut“, sagt Tierärztin Vicky Frisch. Zwei Wochen später zeigte die Stute aber neue Symptome. „An einem Freitag rief die Besitzerin mich an und beschrieb, dass das Pferd sehr steif ist, das Maul nicht mehr öffnen kann und dass sie nichts mehr sieht, weil das Auge zu ist.“ Der Haustierarzt sprach den Verdacht einer Tetanusinfektion aus und gab Antitoxin, weil sich herausstellte, dass das Tier keinen aktuellen Impfschutz hatte. Auch Vicky Frisch vermutete eine Tetanusinfektion.

In der Klinik angekommen stellte das Team die Diagnose Tetanus. „Montana konnte zwar noch gehen, aber sie war sehr steif“, sagt Vicky Frisch. „Die Ohren waren dauerhaft nach hinten gerichtet, der Hals unbeweglich, steif nach vorne, und sie bekam das Maul nicht mehr auf. Das ist dann wirklich fest, fest zu. Man kriegt das auch mit der Hand nicht mehr auf.“ Bei Mensch und Tier bildet sich bei einer Tetanusinfektion zudem das typische Tetanusgesicht aus. Ein unheimliches „Lächeln“, das aus der Anspannung der Muskulatur resultiert und sich auch bei Montana zeigte.

Der wichtigste Schritt in der Behandlung von Tetanuspatienten ist die Gabe des Antitoxins. „Da gibt man zu Beginn eine sehr hohe Dosis“, sagt Vicky Frisch. Danach muss der Körper selbst ran. Dies hängt mit dem Mechanismus der Tetanusinfektion zusammen. Freischwimmendes Toxin im Blut wird durch das Antitoxin unschädlich gemacht. Alles, was sich bereits am Rückenmark festgesetzt hat, wird davon nicht erreicht. „Das bekommt man da auch nicht mehr weg“, sagt Frisch mit einer Mischung aus Verzweiflung und Faszination, setzt aber hinzu: „Das Erstaunliche ist, dass die Nervenzellen es fertigbringen, sich zu regenerieren. Es dauert allerdings einige Zeit, bis dieser Prozess beginnt.“

Und genau darauf warteten die Tierärztinnen bei Montana. Zehn Tage verbrachte sie nahezu regungslos in ihrem Bergsteigergeschirr, abgeschirmt von der Außenwelt. Alle Maßnahmen der Tierärzt:innen waren Beiwerk, um die Nebenwirkungen zu verringern: Infusionen und Medikamente, unter ihnen Muskelrelaxanzien und Antibiotika. Dazu regelmäßige Checks der Blutwerte und Temperatur, ab und zu ein Ultraschall der Lunge, weil eine leichte Lungenentzündung aufgetreten war. „Meist eine Nebenwirkung des Verschluckens“, erklärt Frisch. „Wir therapieren vor allem symptomatisch und achten darauf, dass das Tier genügend Flüssigkeit und Nahrung zu sich nimmt. Aber ansonsten fassen wir das Tier so wenig wie möglich an. Deswegen war es auch gut, dass wir keine Sonde zur Ernährung schieben mussten.“

 

Kämpfermentalität auf dem Weg der Besserung

Nach zwei Wochen in der Klinik machte sich vorsichtiger Optimismus unter den Tierärztinnen breit: Montana kaute immer besser. Ihr Gesamtzustand hatte sich so sehr gesteigert, dass sie aus der Sling genommen werden konnte. „Eine echte Kämpfermentalität“, kommentierte Oberärztin Phebe de Heus.

Nach und nach setzten die Tierärztinnen die Medikamente ab, während Montanas Körper sich selbst weiter heilte. Bei einem Besuch kurz vor ihrer Entlassung macht die junge Stute Anstalten, aus der Box zu entwischen, und spielt dann gelangweilt mit einer ihrer Suppenschüsseln. „Typisch Pferdeteenager“, sagt Tierärztin Vicky Frisch, während sie den Gesundheitszustand dokumentiert.

 

Bewertungsskala zur Schwere der Erkrankung

Mit dem klinischen Graduierungssystem nach Kay und Knottenbelt wird die Schwere der Erkrankung bei Pferden mit Tetanusinfektion bestimmt. Sie reicht von Grad 1 (milde Symptome wie Nickhautvorfall oder steifes Gangbild) bis Grad 4 (terminal, Pferd kann nicht mehr aufstehen, Trinken und Fressen sind nicht mehr möglich).

 

Tetanusimpfung als Prophylaxe 

Die Tetanusimpfung gehört bei Pferden zu den empfohlenen Impfungen (sogenannte Core-Impfungen), die in den ersten zwei Lebensjahren nach einem festgelegten Schema erfolgt. Alle zwei bis drei Jahre wird eine Auffrischung empfohlen. Bei nicht geimpfter Mutterstute bzw. fehlender Kolostrumaufnahme (Erstmilch) oder erwiesener geringer Antikörpermenge im Fohlen erfolgt die erste Impfung gegen Tetanus bereits im vierten Lebensmonat.

Weitere Informationen zum Impfschema beim Pferd

 

Text: Stephanie Scholz
Fotos: Michael Bernkopf/Vetmeduni, Thomas Suchanek/Vetmeduni
Grafik: Matthias Moser/Vetmeduni
 

Der Beitrag erschien in VETMED 01/2024