Von einer harmlosen Wunde zum Wundstarrkrampf
Montana hatte ebenfalls eine vermeintlich harmlose Wunde – eine Verletzung der Huf-Lederhaut, die sich als Hufeiterung ausbildete. „Der wurde behandelt und es war alles gut“, sagt Tierärztin Vicky Frisch. Zwei Wochen später zeigte die Stute aber neue Symptome. „An einem Freitag rief die Besitzerin mich an und beschrieb, dass das Pferd sehr steif ist, das Maul nicht mehr öffnen kann und dass sie nichts mehr sieht, weil das Auge zu ist.“ Der Haustierarzt sprach den Verdacht einer Tetanusinfektion aus und gab Antitoxin, weil sich herausstellte, dass das Tier keinen aktuellen Impfschutz hatte. Auch Vicky Frisch vermutete eine Tetanusinfektion.
In der Klinik angekommen stellte das Team die Diagnose Tetanus. „Montana konnte zwar noch gehen, aber sie war sehr steif“, sagt Vicky Frisch. „Die Ohren waren dauerhaft nach hinten gerichtet, der Hals unbeweglich, steif nach vorne, und sie bekam das Maul nicht mehr auf. Das ist dann wirklich fest, fest zu. Man kriegt das auch mit der Hand nicht mehr auf.“ Bei Mensch und Tier bildet sich bei einer Tetanusinfektion zudem das typische Tetanusgesicht aus. Ein unheimliches „Lächeln“, das aus der Anspannung der Muskulatur resultiert und sich auch bei Montana zeigte.
Der wichtigste Schritt in der Behandlung von Tetanuspatienten ist die Gabe des Antitoxins. „Da gibt man zu Beginn eine sehr hohe Dosis“, sagt Vicky Frisch. Danach muss der Körper selbst ran. Dies hängt mit dem Mechanismus der Tetanusinfektion zusammen. Freischwimmendes Toxin im Blut wird durch das Antitoxin unschädlich gemacht. Alles, was sich bereits am Rückenmark festgesetzt hat, wird davon nicht erreicht. „Das bekommt man da auch nicht mehr weg“, sagt Frisch mit einer Mischung aus Verzweiflung und Faszination, setzt aber hinzu: „Das Erstaunliche ist, dass die Nervenzellen es fertigbringen, sich zu regenerieren. Es dauert allerdings einige Zeit, bis dieser Prozess beginnt.“
Und genau darauf warteten die Tierärztinnen bei Montana. Zehn Tage verbrachte sie nahezu regungslos in ihrem Bergsteigergeschirr, abgeschirmt von der Außenwelt. Alle Maßnahmen der Tierärzt:innen waren Beiwerk, um die Nebenwirkungen zu verringern: Infusionen und Medikamente, unter ihnen Muskelrelaxanzien und Antibiotika. Dazu regelmäßige Checks der Blutwerte und Temperatur, ab und zu ein Ultraschall der Lunge, weil eine leichte Lungenentzündung aufgetreten war. „Meist eine Nebenwirkung des Verschluckens“, erklärt Frisch. „Wir therapieren vor allem symptomatisch und achten darauf, dass das Tier genügend Flüssigkeit und Nahrung zu sich nimmt. Aber ansonsten fassen wir das Tier so wenig wie möglich an. Deswegen war es auch gut, dass wir keine Sonde zur Ernährung schieben mussten.“
Kämpfermentalität auf dem Weg der Besserung
Nach zwei Wochen in der Klinik machte sich vorsichtiger Optimismus unter den Tierärztinnen breit: Montana kaute immer besser. Ihr Gesamtzustand hatte sich so sehr gesteigert, dass sie aus der Sling genommen werden konnte. „Eine echte Kämpfermentalität“, kommentierte Oberärztin Phebe de Heus.
Nach und nach setzten die Tierärztinnen die Medikamente ab, während Montanas Körper sich selbst weiter heilte. Bei einem Besuch kurz vor ihrer Entlassung macht die junge Stute Anstalten, aus der Box zu entwischen, und spielt dann gelangweilt mit einer ihrer Suppenschüsseln. „Typisch Pferdeteenager“, sagt Tierärztin Vicky Frisch, während sie den Gesundheitszustand dokumentiert.
Bewertungsskala zur Schwere der Erkrankung
Mit dem klinischen Graduierungssystem nach Kay und Knottenbelt wird die Schwere der Erkrankung bei Pferden mit Tetanusinfektion bestimmt. Sie reicht von Grad 1 (milde Symptome wie Nickhautvorfall oder steifes Gangbild) bis Grad 4 (terminal, Pferd kann nicht mehr aufstehen, Trinken und Fressen sind nicht mehr möglich).
Tetanusimpfung als Prophylaxe
Die Tetanusimpfung gehört bei Pferden zu den empfohlenen Impfungen (sogenannte Core-Impfungen), die in den ersten zwei Lebensjahren nach einem festgelegten Schema erfolgt. Alle zwei bis drei Jahre wird eine Auffrischung empfohlen. Bei nicht geimpfter Mutterstute bzw. fehlender Kolostrumaufnahme (Erstmilch) oder erwiesener geringer Antikörpermenge im Fohlen erfolgt die erste Impfung gegen Tetanus bereits im vierten Lebensmonat.
Weitere Informationen zum Impfschema beim Pferd