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15.02.2023: Lorenz Khol, Wiener mit Tiroler Wurzeln, will Studierenden im klinischen Jahr Lust auf Wiederkäuermedizin im Westen Österreichs machen. Natürlich fängt er damit schon im ersten Semester an. Er selbst ist mit 20 Jahren in einem Almsommer nicht nur dem Fachgebiet Rind, sondern auch seiner Ehefrau verfallen.

Um den tiermedizinischen Bedürfnissen im alpinen Staatsgebiet von Österreich besser zu begegnen, hat die Vetmeduni Ende 2019 in Kooperation mit der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) eine Außenstelle in Tirol gegründet. Die veterinärmedizinische Ausbildung mit hoher Praxisnähe für den Einsatz im Alpenraum bereichern, angewandte Forschung für die Betriebe leisten und Interessierten das Berufsbild in einer zeitgemäßen Form näherbringen sind ihre drei Hauptaufgaben. Seit Oktober 2022 leitet diese Außenstelle hauptberuflich Lorenz Khol, bisher Universitätsassistent an der Universitätsklinik für Wiederkäuer. Der 46-jährige Wiener mit Tiroler Wurzeln wurde zum Stiftungsprofessor für „Wiederkäuermedizin im Alpenraum“ berufen. Der fünfköpfige Familienrat bei den Khols hat entschieden, dass der Papa vorläufig alleine nach Innsbruck pendelt.

Die Hoftüren öffnen für Praxis und Forschung

Der Fachtierarzt für Rinder und passionierte Bahnfahrer genießt, dass er keine „gewöhnlichen Arbeitstage“ kennt: „Ich mag die Unmittelbarkeit des Jobs in allen Dimensionen.“ Wenn er mit Studierenden oder Kolleg:innen Betriebe besucht, steht er mit Gummistiefeln im Dreck, untersucht Rinder, spricht mit den Halter:innen und setzt dann zum Beispiel ein Forschungsdesign für die betriebliche Praxis auf. Mit einfachen Mitteln und geringen Kosten sollen hier Probleme gelöst werden. Wenn er in der Uniklinik die Handschuhe überstreift, arbeitet er im Operationssaal mit eigenen Händen für das Tierwohl.

Und in der Lehre, ob im Hörsaal oder in der alm- und milchwirtschaftlichen Praxis, sieht er überhaupt die Hauptaufgabe einer Universität: „Wir generieren Wissen und geben es weiter.“ Als Lehrender wurde er von Studierenden und der Universität schon mehrfach ausgezeichnet. Was man in Westösterreich an Tiermedizin braucht, wird man weiterhin in Wien lernen, aber die Spezialisierung im letzten Semester ist künftig auch in Tirol möglich. Für die neue Außenstelle hat Lorenz Khol zwei Module mitkonzipiert: das Hauptmodul „Wiederkäuermedizin im Alpenraum“ für die klinische Rotation und das Nebenmodul „Tiergesundheit, Lebensmittelsicherheit und Almwirtschaft“ als Vertiefung oder Gegenfach. Kooperiert wird künftig neben der AGES auch mit der Universität Innsbruck, bei enger Anbindung an die Vetmeduni. Parallelstrukturen sollen keine aufgebaut werden.

Konkret werden ab dem Sommersemester 2023 jeweils 20 Studierende die Möglichkeit haben, in Kleingruppen Tiroler Tierärzt:innen zu begleiten, um den Berufsalltag in allen Facetten kennenzulernen. So soll dem Mangelberuf in Westösterreich begegnet und rechtzeitig Kontakte geknüpft werden. Wenn heute eine Stelle ausgeschrieben wird, meldet sich nämlich meist niemand oder nur sehr wenige Interessent:innen. Für eine zeitgemäße Ausprägung des fordernden Berufs kann es hilfreich sein, potenzielle Kolleg:innen bereits vor dem Jobeinstieg zu kennen. Gemeinsam ist man weniger allein als jede/r Einzelkämpfer:in mit Dienstzeit von 0 bis 24 Uhr. Die praktizierenden Veterinär:innen in Westösterreich sind aber auch die „Hoftüröffner“ für die angewandte Forschung in den Betrieben für die Betriebe.

alle Fotos: Alena Klinger

Infektionskrankheiten mit Socken bekämpfen

Wie angewandte Forschung im kleinstrukturierten Betrieb aussehen kann, erklärt Lorenz Khol anhand seines Spezialgebiets Paratuberkulose. Die Paratuberkulose ist eine unbehandelbare Darmerkrankung, bei der sich Kälber anstecken, aber nicht einfach diagnostiziert werden können. Die erwachsenen Rinder erkranken, sind aber davor schon infektiös. Der Erreger führt zu chronischem Durchfall, bei dem die Rinder verhungern, obwohl sie laufend fressen.

In Tirol läuft seit mehreren Jahren ein erfolgreiches Präventionsprogramm des Tiroler Tiergesundheitsdiensts, bei dem möglichst viele infektiöse Kühe gefunden, aber auch unbetroffene Betriebe sorgfältig erhoben werden. Dafür kommen alle zwei Jahre „Sockentupfer“ zum Einsatz, die Lorenz Khol nicht erfunden, aber für den Zweck mitetabliert hat. Beim tierärztlichen Routinebesuch wird eine „Riesensocke“ für die Arbeit im Stall angezogen, die sich mit Kot vollsaugt. Der Tupfer kann im Labor gut analysiert werden und wenn es infektiöse Tiere gibt, kann im nächsten Schritt die einzelne Kuh identifiziert und eine Ansteckung der Kälber verhindert werden. Das ist es, was der Fachtierarzt für Rinder meint, wenn er von praktikablen Problemlösungen spricht. Er selbst sieht sich als Generalist innerhalb der Wiederkäuermedizin, denn an der Uniklinik hat er täglich mit Schafen, Ziegen, Rindern, aber auch Lamas und Alpakas zu tun – denn „die Neuweltkamele erlebten einen Boom in den vergangenen zehn Jahren“. In der Forschung sind Infektionskrankheiten sein Spezialgebiet und die größte fachliche Tiefe erreicht er hierin bei der Paratuberkulose.

Wiederkäuer in aller Welt

Nun wäre noch die Frage zu klären, wie der Städter auf die Wiederkäuer gekommen ist. „Eigentlich wollte ich mich auf Pferde spezialisieren. Da ich nicht vom Land komme, aber der Meinung bin, dass ein Tierarzt selbst melken können muss, war ich mit 20 einen Sommer in Salzburg auf einer Alm mit Kühen. Mit meiner damaligen Freundin, die heute meine Frau ist. Bei beiden bin ich geblieben“, lacht er. Er wollte immer in die tierärztliche Praxis, griff aber stets beherzt zu, wenn sich Chancen boten, wie beim Doktorat an der Wiederkäuerklinik, bei Forschungsvorhaben, Lehre oder letztlich der Habilitation. So ist er „hängengeblieben“ und hat sich unversehens viele Jahre auf seinen aktuellen Job vorbereitet.

Nicht nur in Österreich, auch beim klinischen Praktikum an der Washington State University (USA), wo die Betriebsgrößen schon mal zwei Zehnerpotenzen größer sind. Bei Studienaufenthalten an der Tierärztlichen Hochschule in Hannover und dem Referenzlabor für Paratuberkulose in Brno (Tschechien). Oder einem Sabbatical an der University of Florida im Fachbereich Large Animal Clinical Sciences, konkret den Food Animal Reproduction and Medicine Services (FARMS) in Gainesville. Was sieht man da, jenseits des Tellerrands? „Ich kann es nur empfehlen, den Schritt hinaus zu wagen. Die Ausbildung an der Vetmeduni kann überall mithalten. Was die Bestandsbetreuung angeht, wird bei den US-Betriebsgrößen jedenfalls viel wirtschaftlicher gedacht als in kleinstrukturierten Betrieben, wo bei zwölf Tieren jedes einen Namen hat sowie Elterntiere und der Charakter bekannt sind“, sagt Lorenz Khol. Der Reiz eines beruflichen Auskommens in dieser Arbeitsumgebung soll nun eben in der Tiroler Außenstelle vermittelt werden.

Kühe als tierärztliche Herausforderung

Kühe sind für Khol in sich ruhende Wesen, die Kraft ausstrahlen. Gerade ihr duldsames Wesen bewirkt, dass sie in sich hinein leiden: „Wenn ein Pferd eine Kolik hat, ist das unübersehbar. Die Kuh senkt den Kopf und wird immer stiller. Ich muss also sehr genau hinschauen und mich bemühen, um ihr rechtzeitig zu helfen“, beschreibt er seine gerne angenommene Herausforderung. Es ist kein Geheimnis, dass nicht alles, was aus Wien kommt, in Tirol spontan Anklang findet. Aber Lorenz Khol schafft Fakten auf der Sachebene und macht mit direkter Kommunikation gute Erfahrungen. Die Stiftungsprofessur ist zunächst auf fünf Jahre eingerichtet und er freut sich darauf, das Thema mit diesem Rückhalt auf ein neues Level zu heben. Wie der Familienrat im tierfreundlichen Wiener Haushalt mit Nachwuchs im Alter von 7, 11 und 14 Jahren weiter entscheidet, ist noch offen: „Wir haben in Wien ein Aquarium, Meerschweinchen und eine ständige Diskussion über einen Hund. Der Hund und das allseits beliebte Skifahren wären Argumente, die ganze Familie nach Tirol zu übersiedeln.“ Lorenz Khol macht jetzt jedenfalls einmal den Anfang.


Text: Astrid Kuffner

Der Beitrag erschien in VETMED 03-04/2022