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Aktuelle Forschungsergebnisse

Was tun mit einem „unsichtbaren“ Mahnmal?

Die unbekannte Geschichte des Kriegerdenkmals an der Vetmeduni

Wer den Innenhof des Rektoratsgebäudes betritt, erblickt die bronzene Figur eines nackten Jünglings, der auf sein zu Boden gesenktes Schwert schaut. Die circa 2 Meter große Skulptur steht auf einem Marmorsockel. Bei dessen näherer Betrachtung lässt sich die folgende Inschrift entziffern: „Unseren heldenmuetigen Opfern des Weltkrieges MCMXIV-MCMXVIII  Krieges MCMXXXIX – MCMXLV“. Es handelt sich somit um ein Kriegerdenkmal, von dem zunächst nur vermutet werden kann, dass es einen historischen Bezug zur heutigen Veterinärmedizinischen Universität Wien aufweist. Denn das Denkmal wird derzeit nicht näher erläutert und wirkt in der Umgebung der Universitätsgebäude, die aus den 1990er-Jahren stammen, seltsam deplatziert.

Obgleich dem Mahnmal gewisse auratische Qualitäten kaum abgesprochen werden können, findet es an der Vetmeduni bislang kaum Beachtung und ist daher gleichsam unsichtbar. Der bronzene Jüngling wirkt wie eine Traumgestalt aus einer fernen Vergangenheit, die mit unserer Gegenwart scheinbar nichts zu tun hat.

Dass Denkmäler zum Inventar des öffentlichen Raums gehören, wurde lange Zeit ebenso kaum widersprochen hingenommen wie das Faktum, dass der Denkmalsturz eine typische Begleiterscheinung des Regimewechsels in politisch turbulenten Zeiten darstellt. In den vergangenen Jahren hat sich dies allerdings deutlich geändert. Im Zuge der Protestbewegungen Rhodes Must Fall (2015) und Black Lives Matter (ab 2013, verstärkt ab 2020) wurden viele Denkmäler zwar als Zeichen repressiver politischer und gesellschaftlicher Strukturen wie des Kolonialismus und der Unterdrückung von Minderheiten wahrgenommen und zunehmend in Frage gestellt. Diese Denkmalstreitigkeiten wollen aber gar keinen Regimewechsel, sondern demokratische Gesellschaften generell demokratischer machen.1

Studenten initieren Kriegerdenkmal

Die Anregung zur Errichtung eines Kriegerdenkmals an der Tierärztlichen Hochschule (TiHo), die erst seit 1975 Veterinärmedizinische Universität Wien heißt, ging im selben Jahr 1923 von der Studentenschaft der TiHo aus. Die Veterinärmediziner nahmen den Vorschlag, ein Kriegerdenkmal zu Ehren der im Krieg gefallenen einstigen Studenten der TiHo zu errichten, einhellig positiv auf.3 Im März 1924 konstituierte sich eine Kommission zur Denkmalerrichtung, die aus Vertretern des Professorenkollegiums, dem Obmann des „Reichsvereins der Tierärzte Österreichs“ und der Studentenschaft bestand. Im Frühjahr des folgenden Jahres lag ein erster Entwurf des Wiener Bildhauers Alfred Hofmann (1879-1958) vor, der „eine in Bronze auszuführende überlebensgrosse [sic!] trauernde Jünglingsgestalt mit gesenktem Schwerte“ vorsah, „die auf einem einen Meter hohen Marmorsockel“ stehen sollte.4

Ehe das Projekt realisiert werden konnte, mussten allerdings erst die notwendigen finanziellen Mittel in Höhe von rund 8.000 Schilling beschafft werden. Um diese aufzubringen, sollten die Studierenden anlässlich ihrer Inskription einen „freiwilligen“ Beitrag in Höhe von 1 Schilling leisten. Die Professoren verpflichteten sich dazu, jeweils einen Beitrag in der Höhe von 10 Schilling zu leisten. Geld sollte ferner unter den Angehörigen der im Krieg ums Leben gekommenen Studenten, durch eine eigene Ansichtskarten- und Bausteinaktion sowie durch ein Konzert zugunsten des „Kriegerdenkmalfonds“ gesammelt werden.5 Die Sammelaktion lief jedoch zunächst nur schleppend an. Dies lässt ein Aufruf des „Reichsvereins der Tierärzte Österreichs“ vermuten, der die mangelnde Spendenbereitschaft seiner Mitglieder wortreich beklagte. Der „Reichsverein“ schob die Schuld daran dem „Einflusse volks- und rassefremder Sittenverderber“ zu, die den „Tanz ums goldene Kalb“ der Solidarität mit dem „deutschen Volke“ vorziehen würden.Es besteht kein Zweifel daran, dass es sich dabei um einen hetzerischen antisemitischen Ausfall handelte, der sich gegen die Juden richtete, die die Standesvertretung der Tierärzteschaft dafür verantwortlich machte, was in der Gesellschaft schiefzulaufen schien.

Historische Fragen

Wenn historische Erinnerungszeichen heute kritisch hinterfragt werden, stellt sich auch die Frage, was mit dem „unsichtbaren“ Mahnmal an der Vetmeduni künftig geschehen soll.

Ehe aber darüber diskutiert wird, ob das Kriegerdenkmal eine geeignete Kontextualisierung erfahren kann, oder ob es versetzt oder gar entfernt werden sollte, gilt es zunächst einige historische Fragen zu klären:

  • Wer waren die Auftraggeber der Errichtung des Denkmals?
  • Welche politischen und ideologischen Motive trieben sie an?
  • Wie wurde das Denkmal zeitgenössisch rezipiert?   

In den 1920er-Jahren war das Thema Totenehrung an den Universitäten und Hochschulen hoch aktuell. So wurde 1923 an der Universität Wien das Denkmal „Siegfriedskopf“ aufgestellt, welches ihrer im Ersten Weltkrieg gestorbenen Studierenden und Lehrenden gedenken sollte. Die Initiative war von der Deutschen Studentenschaft (DSt) Österreichs ausgegangen, die deutschnational, antidemokratisch und antisemitisch ausgerichtet war.2

1926: Feierliche Enthüllung des Denkmals 

Die feierliche Enthüllung des Denkmals, der neben Bundespräsident Dr. Michael Hainisch auch der Vertreter des deutschen Gesandten in Wien, Graf Dönhoff, beiwohnte, erfolgte schließlich am 30. Oktober 1926. Die Wiener akademische Sängerschaft Ghibellinen intonierte „Körner‘s Schlachtgesang“, und der Wiener Historiker Heinrich Kretschmayr hielt die Festrede, die dem Tod der Studierenden im Krieg einen historischen Sinn verleihen sollte: Nachdem das Habsburgerreich zerfallen und anstelle des kleindeutschen Wilhelminischen Kaiserreichs in Deutschland eine demokratische Republik gegründet worden sei, gelte es jetzt, „ein drittes Reich, größer als das Bismarcksche, kein kleindeutsches, ein großdeutsches Reich […] einzurichten und zu schaffen.“7 Diesen „gesamtdeutschen“ Gedanken verknüpfte Kretschmayr mit dem tradierten Reichsmythos – ein geschichtspolitisches Konstrukt, das mit dem nationalsozialistischen Mythos des „Dritten Reiches“ nicht identisch war, von diesem aber für dessen expansionistischen Zwecke leicht integriert und instrumentalisiert werden konnte.

Zum Mythos des Friedensdenkmals

Neben der Beschwörung der wieder anzustrebenden großdeutschen Einheit, die nach dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918 vermeintlich verlorengegangen war, und den antisemitischen Tiraden, die die Vorbereitung der Denkmalserrichtung begleiteten, fällt noch etwas auf: eine unverhüllte Drohung, die der Vertreter der „deutschen Studentenschaft“ cand. med. vet. G. Wanggo anlässlich der Denkmalsenthüllung gegen „tausenderlei Feinde“ aussprach: „Es möge der Tag kommen, an welchem wir fähig sind, das gesenkte Schwert zu erheben, die vielen Opfer des Krieges zu sühnen.“8 Dies ist deshalb bemerkenswert, weil das Kriegerdenkmal heute bisweilen als „Friedensdenkmal“ gilt, das von Bertha von Suttners Aufruf „Die Waffen nieder!“ inspiriert gewesen sei.9

Bei dem Kriegerdenkmal an der Vetmeduni Wien handelt es sich jedoch keineswegs um ein „Friedensdenkmal“. Zwar senkt der nackte Jüngling sein Schwert zu Boden, und er hält offenbar trauernd inne. Deutschnationaler Opferkult, Heroisierung der Gefallenen und politische und antisemitische Aggression gingen aber Hand in Hand: Die Enthüllung des Kriegerdenkmals an der Tierärztlichen Hochschule war somit selbst ein eminent politischer Akt, bei dem die toten Studenten, derer dabei gedacht worden sollte, für politische Zwecke missbraucht wurden. Heute sind wir dazu aufgerufen, das im historischen Vakuum „unsichtbar“ schwebende Denkmal gleichsam archäologisch aufzudecken. Denn erst wenn die verschütteten Erinnerungsschichten vollständig aufgedeckt werden, lassen sich geeignete Maßnahmen setzen, um diesem Erinnerungszeichen gerecht zu werden.

Von Univ.-Prof. Dr. Alexander Pinwinkler, Zeithistoriker


1 Tanja Schult, Rezensionsessay: Denkmäler und Denkmalstürze in Demokratien, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-133116 (27.06.2024).

2 Herbert Posch, Denkmal „Siegfriedskopf“, https://geschichte.univie.ac.at/de/artikel/denkmal-siegfriedskopf (28.06.2024).

3 Historisches Archiv der Veterinärmedizinischen Universität Wien, Archiv Nr. 1.5.2.27, Sitzungsprotokolle 1923/24, 07.12.1923, 21.03.1924.

4 Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA), Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA), Unterr. allg. (1848-1940). Tierärztliche Hochschule: Bau 1923-1940, Sig 9B1, Kt. 1678, Rektor Schnürer an das Bundesministerium für Unterricht, 23.05.1925.

5 Historisches Archiv der Veterinärmedizinischen Universität Wien, Archiv Nr. 1.5.2.28, Sitzungsprotokolle 1924/25, 24.04.1925, 05.06.1925.

6 Unser Kriegerdenkmal, in: Deutschösterreichische tierärztliche Wochenschrift. Amtliche Fachschrift des Reichsvereines der Tierärzte Österreichs, 8. Jg., Nr. 5, 1. März 1926.

7 Feier der Enthüllung des Kriegerdenkmales, in: Wiener Tierärztliche Monatsschrift, S. 696-702.

8 Ebd., S. 702.

9 Austria-Forum, Hofmann, Alfred, öffentliche Arbeitenhttps://austria-forum.org/af/Community/Zeitgenössische_Bildende_Kunst/Hofmann%2C_Alfred/Texte/Öffentliche_Arbeiten (01.07.2024).