15.06.2023: Die Winter in nördlichen Breiten sind hart. Um Nahrungsknappheit und Kälte zu überleben, reduzieren viele Vögel und Säugetiere ihren Energiebedarf im Winter durch Absenken des Stoffwechsels (Hypometabolismus) und der Körpertemperatur. Dieses Phänomen ist vor allem von Winterschläfern bekannt. Es wird durch die Photoperiode – also durch die Veränderung der Tages- und Nachtlänge – gesteuert. Das Ausmaß des Hypometabolismus und der Abnahme der Körpertemperatur wird bei Winterschläfern aber auch von der Nahrung beeinflusst, und zwar durch die Zufuhr essenzieller mehrfach ungesättigter Fettsäuren. Ob ähnliche Effekte auch bei nicht-winterschlafenden großen Säugetieren zu finden sind, untersuchte nun ein Team der Veterinärmedizinischen Universität Wien an Rothirschen. Die Studie wurde als Coverstory in der renommierten Fachzeitschrift „Animals“ veröffentlicht.
Mit ihrer experimentellen Studie bestätigt das Forschungsteam zum ersten Mal, dass saisonale Veränderungen der Körpertemperatur und der daraus resultierende, geringe Energieverbrauch auch bei nicht winterschlafenden Säugetieren durch denselben Mechanismus wie bei Winterschläfern gesteuert werden – und zwar durch die Veränderung der Photoperiode.
Melatonin und Nahrung als experimentelle Trigger
Dazu fütterten die Forscher:innen erwachsene Rothirsch-Weibchen (Cervus elaphus) mit Pellets, die entweder mit Linolsäure oder -Linolensäure angereichert waren und simulierten Perioden mit reichhaltigem und eingeschränktem Nahrungsangebot. Das entscheidende Experiment zur Rolle der Photoperiode für physiologische und verhaltensbedingte saisonale Veränderungen war die künstliche Zufuhr von Melatonin im Sommer, einem Hormon, dass natürlicherweise in der täglichen Dunkelphase ausgeschüttet wird und so die Tageslänge in ein physiologisches Signal umsetzt. Die Hirsche waren mit Datenloggern ausgestattet, die Herzfrequenz, Körpertemperatur sowie Bewegungsaktivität aufzeichneten. Darüber hinaus wurden die Tiere regelmäßig gewogen und ihre tägliche Aufnahme von Futterpellets gemessen.
Kurze Tage sind wesentlich für physiologische Veränderungen
„Durch die experimentelle Erhöhung der Menge an Melatonin bereits im Frühsommer auf Werte, die etwa dreimal so hoch waren wie der Winterhöchstwert, induzierten wir Wochen im Voraus einen Winterphänotyp bei allen gemessenen Merkmalen. Wir schließen daraus, dass Rothirsche bei kurzen Tageslängen den Energieaufwand für die Thermoregulierung reduzieren, eine Reaktion, die durch ein eingeschränktes Futterangebot verstärkt wird“, erklärt der Studienleiter Walter Arnold vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) der Vetmeduni. Die Versorgung mit essentiellen Fettsäuren über die Nahrung beeinflusste dagegen die saisonale Anpassung der Rothirsche nur marginal.
Umfassender Mechanismus, der in vielen Tierarten wirkt
Wissenschaftlich ist bekannt, dass zahlreiche Arten, die Regionen mit strengen Wintern bewohnen, saisonale Zyklen physiologischer und Verhaltensmerkmale mit Tiefpunkten im Winter aufweisen. „Es scheint, dass diese Zyklen allgegenwärtig von einem alten endogenen Rhythmus gesteuert werden, der durch die Photoperiode jahreszeitlich synchronisiert wird. Dieser Mechanismus ist für die rechtzeitige Vorbereitung nicht nur von Winterschläfern, sondern auch von vielen anderen Arten auf die tiefgreifende Veränderung der Lebensbedingungen durch die Jahreszeiten verantwortlich,“ so Walter Arnold.
Der Artikel „The Influence of Photoperiod, Intake of Polyunsaturated Fatty Acids, and Food Availability on Seasonal Acclimatization in Red Deer (Cervus elaphus)“ von Kristina Gasch, Manuela Habe, Julie Sophie Krauss, Johanna Painer-Gigler, Gabrielle Stalder und Walter Arnold wurde in „Animals“ veröffentlicht.
Wissenschaftlicher Artikel