28.09.2023: Veterinärmedizin ist deutlich mehr als die Behandlung kranker Tiere. Dank modernster Technologien ist es möglich, den tierärztlichen Alltag neu zu denken, Ressourcen effektiver einzusetzen und Arbeitsabläufe zu optimieren. Ziel dabei ist immer die Prävention von Krankheiten, die Verbesserung des Tierwohls und damit eine nachhaltige Nutztierhaltung und Lebensmittelsicherheit. Die Vetmeduni setzt in der Weiterentwicklung des tierärztlichen Berufsstandes aktuell viele Maßnahmen: Das vom Land Niederösterreich geförderte Forschungsprojekt HOLSTEIN verfolgt das Ziel, die Tiergesundheit mittels moderner Technologien zu verbessern. Mit dem neuen Wintersemester startet auch das neue Masterstudium „Digitalisierung im Tiergesundheitsmanagement“ (Precision Animal Health). Ebenfalls neu ins Leben gerufen ist das vom FWF geförderte Doktoratskolleg „PLFDoc – Precision Livestock Farming“, eine Kooperation zwischen Vetmeduni, TU Wien und FH Oberösterreich.
Die Veterinärmedizinische Universität Wien (Vetmeduni) ist Pionierin in der Erforschung komplexer Zusammenhänge zwischen Menschen, Tier und Umwelt. Sie nimmt eine Schlüsselrolle bei allen Fragen rund um Tiergesundheit, Tierwohl, Lebensmittelsicherheit und Zoonosen ein, also bei Krankheiten, die – wie zuletzt bei Corona – zwischen Tieren und Menschen übertragen werden können. In Forschung und Lehre setzt sie vermehrt auf die Analyse von Big Data, Digitalisierung und das Potenzial neuer Technologien. „Veterinärmedizin ist deutlich mehr als die Behandlung kranker Tiere. Sie ist eine unverzichtbare Voraussetzung für Tiergesundheit, Lebensmittelsicherheit und damit auch für die Gesundheit der Menschen. Durch den Einsatz digitaler Technologien und künstlicher Intelligenz in der Tiermedizin möchten wir die Entwicklung des tierärztlichen Berufsstands vorantreiben“, so Petra Winter, Rektorin der Vetmeduni. „Nur durch das Zusammenwirken von Wissenschaft und Praxis in den Bereichen Landwirtschaft, IT, Technik und Veterinärmedizin können wir den Beruf fit für die Zukunft machen, nur dann ist er den wachsenden Herausforderungen der Zeit gewachsen. Ohne die Veterinärmedizin gibt es keine adäquate Reaktion auf die neuen Gefahren durch den Klimawandel – sowohl im Bereich der Zoonosen, als auch in der Nutztierhaltung. Nur mit der Veterinärmedizin kann das Wohlergehen von Mensch, Tier und Umwelt gesichert werden.“
eHealth@vetmed für die Zukunft des tierärztlichen Berufs
Aus diesem Grund hat die Vetmeduni nicht nur die Anzahl der Studienplätze beim Diplomstudium Veterinärmedizin um 10 Prozent auf 223 Plätze erhöht, sondern auch ihre Expertise und Kompetenzen für Zukunftstechnologien und digitale Innovationen erweitert. Peter M. Roth, Professor für Computational Medicine und Leiter des gleichnamigen Instituts an der Vetmeduni, nimmt hier eine Schlüsselposition ein. Er ist auch für das Programm eHealth@vetmed verantwortlich, bei dem untersucht wird, wie und welche Technologien eine moderne und zukunftsorientierte Veterinärmedizin gewährleisten können. Damit soll mittelfristig nicht nur die Nutztiergesundheit verbessert werden, sondern auch der Beruf Nutztierpraktiker:in moderner und attraktiver werden. Denn mit der Verwendung moderner Technologien kann die tägliche Arbeit erleichtert und interessanter gestaltet werden und gleichzeitig wird eine bessere Planbarkeit und zeitliche Flexibilisierung der Arbeit ermöglicht. Neben rein technischen und veterinärmedizinischen Themen werden dabei auch rechtliche und sozioökonomische Aspekte untersucht: Die beste technische Lösung wird nicht in der Praxis ankommen, wenn es bei den Stakeholdern nicht die notwendige Akzeptanz dafür gibt.
Ein bedeutender Meilenstein von eHealth@vetmed wurde bereits Ende 2022 erreicht, als das Land Niederösterreich eine Förderung für das Forschungsprojekt HOLSTEIN zugesichert hat. HOLSTEIN steht für „Holistischer Ansatz zur nachhaltigen Sicherstellung der Nutztiergesundheit in Niederösterreich“, wobei der Begriff holistisch zum Ausdruck bringen soll, dass präventive und kurative Ansätze parallel verfolgt werden. „Ziel ist es, vorhandene Daten aus landwirtschaftlichen Betrieben, aber auch aus tierärztlichen Praxen so zusammenzuführen und darzustellen, dass Tierärzt:innen bereits im Vorfeld möglichst gut strukturierte Informationen zu Betrieb und Tieren erhalten können. Nach einer Pilotphase auf der VetFarm im niederösterreichischen Kremesberg, einer auf Nutztiere spezialisierten Außenstelle der Vetmeduni, ist eine Ausrollung in ausgewählten Regionen geplant,“ so Peter M. Roth.
Die Datenbasis aus diesem Forschungsprojekt soll in weiterer Folge nicht nur die Diagnosen und Behandlungen durch die Tierärzt:innen unterstützen, sondern auch ein Notfallvermittlungssystem ermöglichen, das einen Beitrag zur Sicherstellung der tiermedizinischen Versorgung leisten kann. Ziel so eines Systems ist es, die tierärztliche Versorgung auch an Wochenenden, in der Nacht und in entlegenen Gegenden zu gewährleisten und gleichzeitig die Landtierärzt:innen durch eine effizientere Ressourceneinteilung und -nutzung zu entlasten und damit den Beruf attraktiver zu machen.
Und weil Wissenschaft kein Selbstzweck ist, soll sie über die forschungsgeleitete Lehre auch rasch Einzug in die Praxis finden. Den Anfang macht das neue Masterstudium „Digitalisierung im Tiergesundheitsmanagement“ (Precision Animal Health), das mit diesem Wintersemester beginnt. Das Studium ist für jene Studierenden ausgelegt, die Interesse daran haben, sich an der Schnittstelle zwischen Tierhaltung und Tierproduktion, Tiergesundheit und Tiermedizin sowie den modernen informationsgestützten Technologien weiterzubilden.
Fitness-Tracker für die Tiergesundheit
Auf den Einsatz modernster digitaler Technologien in der Veterinärmedizin setzt auch das neue Doktoratskolleg „PLFDoc – Precision Livestock Farming“, das durch den Wissenschaftsfonds FWF finanziert wird. Es ist ein Kooperationsprojekt der Vetmeduni, der Technischen Universität Wien sowie der Fachhochschule Oberösterreich (Campus Hagenberg). PLF steht für „durch digitale Technologien unterstützte Nutztierhaltung“ und in diesem interdisziplinären Ausbildungsprogramm erarbeiten Doktorand:innen ab 1. Oktober 2023 eine Lösung, die zu einer nachhaltigen Nutztierhaltung beiträgt. „Unser Forschungsschwerpunkt liegt in der anwendungsorientierten Grundlagenforschung, insbesondere in der Anwendung von Methoden der Erklärbaren Künstlichen Intelligenz (Explainable Artificial Intelligence, XAI) sowie der Bild- und Videoanalyse (Computer Vision, CV), die zur Überwachung von Nutztierbeständen genutzt werden sollen“, erklärt Michael Iwersen, Experte für Digitalisierung in der Milchviehhaltung und Leiter des Doktoratskollegs an der Vetmeduni.
Krankheiten bei Nutztieren vorab erkennen, die Geburt eines Kalbes vorhersagen oder die individuelle Wasser- und Futteraufnahme bei Kühen und Schweinen zu überwachen: Sensor-Technologien wie z. B. Computer Vision und neue Erkenntnisse der Datenwissenschaften bieten die Möglichkeit, den Gesundheitsstatus und das Wohlbefinden – sowohl der gesamten Herde als auch einzelner Tiere – kontinuierlich und in Echtzeit im Blick zu haben. Auf diese Weise kann gezielt und frühzeitig gegengelenkt und die Gesundheit und das Wohlbefinden der Tiere aufrecht erhalten werden. Das ist nicht nur für Landwirt:innen und Tierärzt:innen von Bedeutung, sondern auch hinsichtlich des Tierwohls und der Lebensmittelsicherheit von gesellschaftlicher Relevanz. Durch den interdisziplinären Ansatz erhalten die Doktorand:innen eine Ausbildung in einer Vielzahl von Bereichen, die von der Veterinärmedizin und Agrarwissenschaften über Verhaltensbiologie bis zu den Daten- und Ingenieurswissenschaften reichen.