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Enkel von alten Großmüttern werden „alt“ geboren

Eine aktuelle Studie unter Leitung der Veterinärmedizinischen Universität Wien untersuchte die Lebenserwartung der Nachkommen von Zebrafinken. Wenn Tiere altern, werden ihre Telomere – kleine Strukturen, die die Chromosomen davor schützen, auszufransen oder sich zu verheddern – kürzer. In einer kürzlich veröffentlichten Studie unter der Leitung der Veterinärmedizinischen Universität Wien wurde untersucht, ob die Auswirkungen des Alters der Mutter bei der Empfängnis auf die Telomere ihrer Nachkommen über eine nachfolgende Generation (Großelterngeneration) bestehen bleiben.

Die Nachkommen älterer Tiere weisen häufig eine geringere Lebenserwartung auf. Dies wird mit einer kürzeren Telomerlänge der Nachkommen in Verbindung gebracht. Bisher war jedoch nicht bekannt, ob eine solche Telomerverkürzung über eine einzige Generation hinaus anhält. In ihrer Mehrgenerationen-Studie mit Zebrafinken untersuchte das Forschungsteam nun Großmütter (Generation 0), Mütter (Generation 1) und deren Kinder (Generation 2).

Höheres Alter der brütenden Großmütter bringt signifikant kürzere Telomere …

Dabei zeigte sich, dass die kürzeren Telomere, die bei den Kindern älterer Großmütter nachgewiesen wurden, auch bei deren Kindern, also der Enkel-Generation, vorhanden sind – und zwar selbst dann, wenn die brütenden Mütter der 2. Generation jung waren. Dieser Effekt war beträchtlich: Die Telomere waren bei den Nachkommen von Großmüttern, die bei der Aufzucht alt waren, um 43 % kürzer als bei den Nachkommen der gleichen Großmütter, die bei der Aufzucht jung waren.

… und eine geringere Lebenserwartung der Enkelgeneration

„Kürzere Telomere zum Zeitpunkt des Flüggewerdens sind bei Zebrafinken mit einer verkürzten Lebensspanne verbunden. Unsere Daten zeigen eindrücklich, dass es notwendig ist, über eine einzelne Generation hinauszublicken, um interindividuelle Unterschiede im Altern und unterschiedliche altersspezifische Reproduktionsanstrengungen zu erklären“, erklärt Studien-Erstautorin Valeria Marasco vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) der Vetmeduni. In der vorliegenden Studie waren die Mütter zum Zeitpunkt der Brut jung, sodass Auswirkungen aufgrund des Alters dieser Mütter ausgeschlossen sind. Laut Marasco wäre es jedoch auch sehr interessant zu wissen, ob sich die Auswirkungen des Alters der Großmutter verstärken, wenn das Alter der Mutter ebenfalls hoch ist.

Verstecktes Erbe erstmals sichtbar gemacht

Die Ergebnisse der Studie machen laut den Forscher:innen erstmals ein verstecktes Erbe sichtbar, das über Generationen hinweg weitergegeben werden kann und sich negativ auf die Lebensspanne und den Fortpflanzungswert der Nachkommen auswirkt. „Evolutionsbiolog:innen und Ökolog:innen müssen deshalb über eine einzelne Generation und die aktuellen Umweltbedingungen hinausblicken, um die Ursachen für interindividuelle Unterschiede bei den Alterungsraten und dem altersspezifischen Reproduktionsaufwand vollständig zu verstehen“, so Marasco.

Besseres Verständnis der Evolution des Alterns und der damit verbundenen Mechanismen

Die Forscherin betont zudem, dass weitere generationenübergreifende Forschung wichtig wäre. Und zwar insbesondere solche, bei der die Lebensspanne und die Fortpflanzungsleistung der Nachkommen sowohl von alten (Groß-)Müttern wie auch von alten (Groß-)Vätern analysiert wird. Dazu Valeria Marasco: „Dadurch ließe sich unser Wissen über die Prozesse verbessern, die der Evolution des Alterns und der Vielfalt der Lebensstrategien innerhalb von Arten zugrunde liegen.“

Der Artikel „Hidden Causes of Variation in Offspring Reproductive Value: Negative Effects of Maternal Breeding Age on Offspring Telomere Length Persist Undiminished Across Multiple Generations“ von Valeria Marasco, Winnie Boner, Kate Griffiths, Shirley Raveh und Pat Monaghan wurde in „Ecology Letters“ veröffentlicht.

Wissenschaftlicher Artikel
 

Jungluchs Janus wurde im Nationalpark Kalkalpen ausgewildert*

Seit einigen Jahren hängt das Luchsbestandstützungprojekt im Nationalpark Kalkalpen am seidenen Faden. Die zu geringe genetische Vielfalt der aktuellen, kleinen Luchspopulation hinterlässt bereits ihre Spuren. Die eng verwandten Luchse zeugen keinen Nachwuchs. Aus diesem Grund wurde Ende Jänner der junge Luchskuder Janus im Nationalpark Kalkalpen ausgewildert. Er ist ein Luchs mit Karpaten-DNA und soll in den kommenden Jahren für Nachwuchs sorgen. Tierärztin Szilvia Kalogeropoulu vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien (FIWI) begleitete Janus während seiner Freilassung.

Luchs Janus ist ein reinrassiger Karpatenluchs, wurde am 22. Mai 2023 geboren und wuchs in einem naturnahen Gehege im Wildkatzendorf Hütscheroda in der Gemeinde Hörselberg-Hainich in Thüringen auf. Die letzten Monate verbrachte er in einem abgeschirmten Auswilderungsgehege. Dort wurde er ohne Menschenkontakt auf ein Leben in der freien Wildbahn vorbereitet. Nachdem er die letzten Überprüfungen bravourös bestand, wurde Janus von der international tätigen Linking Lynx Sourcing Working Group an den Nationalpark Kalkalpen vermittelt. Linking Lynx ist ein Expertinnen- und Experten-Netzwerk, das sich mit der Erhaltung, dem Monitoring und dem Management des Karpatenluchses beschäftigt. Das europäische Zuchtprogramm für den Luchs wird von der EAZA (European Association of Zoos and Aquaria) geleitet.

Nach eingehenden Untersuchungen und einem einwandfreien Blutbefund wurde Jungluchs Janus in einer Nachtfahrt nach Österreich geholt. Begleitet wurde er von Katrin Vogel vom Wildkatzendorf Hütscheroda, Tierärztin Szilvia Kalogeropoulu vom FIWI sowie Christian Fuxjäger und Josef Schürhagel vom Nationalpark Kalkalpen. „Der Luchs wurde im Rahmen der laufenden Schutzbemühungen zur Wiederherstellung der Wildpopulationen erfolgreich im Nationalpark Kalkalpen ausgewildert. Ausgestattet mit einem Peilsender können wir ihn genau im Auge behalten, um seine Anpassung und sein Überleben im Nationalpark sicherzustellen,“ sagt Szilvia Kalogeropoulu. Und Claudia Bieber, Leiterin des FIWI an der Vetmeduni, fügt hinzu: „Wir, als Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie, freuen uns sehr, dass, wir die Luchsauswilderung durch die Erfahrung und Expertise unserer Wildtiermedizinerinnen erfolgreich unterstützen konnten.“ 


Video: Freilassung von Luchs Janus


*Die Pressemitteilung des Nationalparks Kalkalpen am 31.01.2025: Luchs Janus ausgewildert - kalkalpen.at

Neue Einblicke in die Interaktion von Darm-Mikrobiom und Wirtstieren

Mikrobiome von Lebewesen sind ein Paradebeispiel für symbiotische Beziehungen, da Gast und Wirt gleichermaßen profitieren. Dem Mikrobiom bietet sich als Gast (Symbiont) eine geschützte Lebensumgebung, während dem Wirt gesundheitsförderliche Effekte zugutekommen – so sind beispielsweise bei Tieren wie auch dem Menschen viele Stoffwechselprozesse ohne Mikroorganismen nicht möglich. Eine aktuelle österreichisch-deutsche Studie unter Leitung der Veterinärmedizinischen Universität Wien sowie des Max-Delbrück-Centers for Molecular Medicine in the Helmholtz Association (MDC) untersuchte nun die ökoevolutionäre Dynamik der Wirt-Mikrobiom-Interaktionen anhand von Mäusen.

Nahe verwandte Wirtsarten haben ähnliche Symbionten, aber die Auswirkungen der genetischen Vermischung der Wirte (Hybridisierung) und der Umweltbedingungen auf diese Gemeinschaften sind noch weitgehend unbekannt. „Wir untersuchten deshalb den Einfluss der genetischen Vermischung des Wirts und der Umweltfaktoren auf die prokaryotischen und eukaryotischen Gemeinschaften – Pilze und Parasiten – im Darm der beiden Hausmaus-Unterarten Mus musculus domesticus und M. m. musculus und ihren Hybriden“, erklärt Studienautorin Susana C. M. Ferreira vom Institut für Wildtierkunde und Ökologie der Vetmeduni.

Infektionen und ihre Wirkung auf das Darm-Mikrobiom

Die Forscher:innen verglichen dazu wild lebende, gefangene Mäuse mit gezüchteten Mäusen aus einer kontrollierten Laborumgebung vor und während einer Störung des Mikrobioms durch eine Infektion. Bei wild gefangenen Mäusen sagten Umweltfaktoren die Gesamtzusammensetzung des Mikrobioms sehr deutlich voraus. Der genetische Abstand zwischen den Unterarten beeinflusste die Gesamtzusammensetzung des Mikrobioms und die einzelnen Komponenten – Bakterien, Parasiten und Pilze – erheblich. Zwar hatte die Hybridisierung nur einen schwachen Effekt, sie wirkte sich aber signifikant auf die Zusammensetzung der Pilze aus. „Ähnliche Muster beobachteten wir bei wildlebenden Mäusen, bei denen der genetische Abstand und die Hybridisierung die Zusammensetzung des Mikrobioms beeinflussten, wobei Pilze gegenüber infektionsbedingten Störungen stabiler waren als andere Komponenten des Mikrobioms“, so Ferreira.

Genetische Unterschiede spiegeln sich in der Beziehung von Wirt und Mikrobiom wider

Der genetische Abstand zwischen den Unterarten hat laut Ferreira einen stärkeren und konsistenten Effekt auf die Mikrobiom-Komponenten als die Unterschiede in der erwarteten Heterozygotie – also der Mischerbigkeit in Bezug auf genetische Merkmale – zwischen den Hybriden. „Das deutet darauf hin, dass die Wirtsdivergenz und die Wirtsfilterung eine Schlüsselrolle bei der Mikrobiom-Divergenz spielen, die von Umweltfaktoren beeinflusst wird. Insgesamt lassen unsere Ergebnisse vermuten, dass sich genetische Unterschiede zwischen den Wirten auf die Symbionten-Gemeinschaften im Darm der beiden Hausmaus-Unterarten auswirken und in den Interaktionen zwischen Wirt und Symbionten widerspiegeln“, erklärt Ferreira.
 

Der Artikel „Eco-evolutionary dynamics of host-microbiome interactions in a natural population of closely related mouse subspecies and their hybrids“ von Susana C. M. Ferreira, Víctor Hugo Jarquín-Díaz, Aimara Planillo, Ľudovít Ďureje, Iva Martincová, Stephanie Kramer-Schadt, Sofia K. Forslund-Startceva und Emanuel Heitlinger wurde in „Proceedings B“ veröffentlicht.


Wissenschaftlicher Artikel
 

03.02.2025

50 kleine Weihnachtsbäume sorgen für große Freude*

Übergabe der Bäume vom Weihnachtsmarkt Schloss Schönbrunn an das Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) der Vetmeduni

Die Weihnachtszeit mag vorüber sein, doch die einst festlich geschmückten Nadelbäume, die den Weihnachtsmarkt Schloss Schönbrunn umrahmten, setzen ihre Reise fort. Am 08. Januar 2025 wurden die 50 weihnachtlichen Tannen, die während der Adventzeit den Weihnachtsmarkt Schloss Schönbrunn zierten, an das Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI), der Veterinärmedizinischen Universität Wien am Wilhelminenberg übergeben. Dort finden die Hirsche und andere Wildtiere der Forschungseinrichtung großen Gefallen an den Bäumen, die als Futter und Spielmaterial dienen.

Die 50 Nadelbäume kamen dieses Jahr aus dem südlichen Waldviertel, direkt vom Jauerling, vor das Schloss Schönbrunn. Josef Reithner, Obmann der Niederösterreichischen Christbaumbauern selbst, war für die diesjährige Charge verantwortlich. Diese schönen Nadelbäume, die einen wesentlichen Beitrag zur festlichen Atmosphäre des Weihnachtsmarkts Schloss Schönbrunn leisteten und Besucher:innen viel Freude bereiteten, werden nun nachhaltig weiterverwendet und bereichern den Alltag der Tiere im FIWI. „Die Weitergabe dieser Weihnachtsbäume zeigt, wie festliche Dekoration und Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen können“, so Katrin Edtmeier, Geschäftsführerin von Imperial Markets. Die Übergabe fand auf dem Gelände des Forschungsinstituts für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) statt und sorgte für eine willkommene Abwechslung im Alltag der Tiere.

„Derzeit leben 22 Hirschkühe am FIWI, acht davon sind erst 2024 geboren und per Hand aufgezogen worden. Das Weihnachtsfest ist auch für die Tiere am FIWI etwas Besonderes. Nadelbäume, die nach dem Fest keine Verwendung mehr finden, sind für die Hirschkühe eine schmackhafte Mahlzeit und Beschäftigung. Dieses Zusatzfutter gibt es allerdings nur portionsweise. Denn zu viel des Guten ist auch für die Tiere nicht gut. Weiters achten wir darauf, dass die Bäume frei von Dekorationsresten oder sonstigen Verschmutzungen sind”, sagt Claudia Bieber, Leiterin des Forschungsinstituts für Wildtierkunde und Ökologie der Vetmeduni.

Die Aktion ist ein weiteres Beispiel für die nachhaltigen Ansätze, die der Weihnachtsmarkt Schloss Schönbrunn verfolgt. In nur zwei Tagen, am 10.01.2025, wird dann der große Weihnachtsbaum, der aus dem Salzkammergut von den Österreichischen Bundesforsten zur Verfügung gestellt wurde, vom Weihnachtsmarkt Schloss Schönbrunn feierlich an den Tiergarten Schönbrunn übergeben – die beiden Baumübergaben sind ein symbolischer Abschluss der Weihnachtszeit, der allen Beteiligten ein Lächeln schenkt.

* Pressemitteilung von Allegria & Imperial Markets, 08.01.2025

Posterpreis für Valeska von Mitzlaff- Science Day 2024

Valeska von Mitzlaff, die im Forschungsfeld der Conservation Medicine des Forschungsinstituts für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) ihre Diplomarbeit macht, hat den 2. Preis (Jury der Wissenschaftsjournalist:innen) im Posterwettbewerb am Vetmeduni Science Day 2024 gewonnen. Ihr Poster zum Thema "Evaluating the applicability of 8OHdG as indicator of animal welfare in white rhinoceroses" hat sie zuvor auf dem renommierten World Veterinary Association Congress 2024 in Kapstadt präsentiert.

Die Umsiedlung von Nashörnern, auch als Translokation bezeichnet, ist ein wichtiges Instrument zum Schutz dieser bedrohten Tierart. Doch die Methode birgt Herausforderungen: Der Transport verursacht oft erheblichen Stress, der das Wohlbefinden der Tiere beeinträchtigen und den Erfolg solcher Maßnahmen gefährden kann.

Eine aktuelles Forschungsprojekt am FIWI, in Kollaboration mit der University of Pretoria, widmet sich der Frage, wie das Wohlbefinden der Tiere während des Transports besser überwacht und geschützt werden kann. Die Forscher:innen untersuchen, ob der Biomarker 8-OHdG zur Bewertung von Stress und Tierwohl bei Nashorn-Translokationen eingesetzt werden kann. Ziel ist es, durch bessere Stresskontrolle die Erfolgschancen von Umsiedlungen zu erhöhen und den Tieren eine möglichst schonende Behandlung zu ermöglichen.

Die Ergebnisse dieser Studie könnten dazu beitragen, die Schutzmaßnahmen für Nashörner noch effektiver zu gestalten und langfristig ihren Fortbestand zu sichern.

Bodenbrüter: Satellitendaten vereinfachen die Qualitätsanalyse von Nistplätzen

Bestände von Bodenbrütern, u.a. Rebhühner (Perdix perdix), nehmen ab. Maßnahmen zur Überwachung des Bruterfolgs sind daher angezeigt. Wie können wir möglichst effizient erfassen wo Nistplätze erhöhten Risiken, wie zum Beispiel Prädation, ausgesetzt sind? Dieser Frage ging eine im „European Journal of Wildlife Research“ erschienene Studie der Veterinärmedizinischen Universität Wien nach. Untersucht wurde dafür die Wahrscheinlichkeit eines Nestraubs. Außerdem fanden die Forscher:innen Hinweise dazu, dass Vögel in mitteleuropäischen Agrarlandschaften selbst die gefährlichsten Nesträuber sein könnten.

Satellitengestützte Messungen der Habitatstruktur sind genauso gut wie lokal von Wissenschafter:innen erfasste Daten, um den Raub (Prädation) an künstlichen Nestern vorherzusagen – so lautet die zentrale Erkenntnis der nun veröffentlichten Studie. Hintergrund der Analyse ist eine besorgniserregende Entwicklung: Die Zahl der am Boden nistenden Vögel ist in ganz Europa drastisch zurückgegangen. Die Verschlechterung der Lebensraumstruktur in landwirtschaftlich genutzten Gebieten ist dafür einer der Hauptgründe. Denn die Habitatstruktur ist nicht nur für die Bereitstellung von Nahrung und geeigneten Mikroklimata von entscheidender Bedeutung, sondern schränkt auch die Nesträuberei ein.

Kostengünstige, zeitsparende und zuverlässige Alternative

Die Bewertung der Lebensraumstruktur durch eine:n Wissenschafter:in vor Ort war in der Vergangenheit die gängigste Methode zur Ermittlung von Gebieten mit geringem Nestraub. Sie ist jedoch aus zeitlichen, finanziellen und logistischen Gründen nur begrenzt anwendbar. Fernerkundungsdaten, die beispielsweise von einem Satelliten aufgezeichnet werden, können diese Probleme lösen. Ein Maß für die „Grünheit“ eines Gebiets ist der normalisierte Differenzvegetationsindex (NDVI), der mit der Lebensraumstruktur korreliert. Die NDVI-Daten stehen weltweit kostenlos für interessierte Nutzer:innen zur Verfügung.

Satellitenmessungen liefern gleich gute Ergebnisse wie lokal erfasste Daten

Zur Validierung der Satellitenmessung führten die Forscher:innen ein Experiment mit künstlichen Nestern durch. Der Versuch lief über drei Jahre (2019, 2020, 2023) in Baden bei Wien, um die Beziehung zwischen NDVI und Nesträubern in einer Agrarlandschaft zu testen. „Dabei verglichen wir, ob der NDVI die Nesträuberei ebenso gut vorhersagen kann wie lokal erfasste Bodenbedeckung oder Vegetationshöhe. Unsere Ergebnisse belegen, dass eine spezielle Kombination an Monatswerten des NDVIs bei der Vorhersage von Nesträuberei gleich gute Ergebnisse bringt“, so Studien-Erstautor Shane D. Morris vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) der Vetmeduni.

Vögel als Nest-Räuber

Die Wahrscheinlichkeit eines Nestraubs nahm mit höheren NDVI-Werten ab, was auf bessere Lebensraumstrukturen hindeutet. Das wird durch die Feststellung gestützt, dass die Prädationswahrscheinlichkeit mit zunehmender Bodenbedeckung – eine lokal erfasste Variable – abnahm. Zusätzlich gewannen die Wissenschaftler:innen eine weitere, spannende Erkenntnis, wie Studien-Letztautorin Claudia Bieber, Leiterin des FIWI, berichtet: „Grund für weiterführende Studien ist, dass wir in offenen Gebieten wie freien Feldern, eine hohe Prädation auf die Gelege gefunden haben. Da Marder und Füchse sehr gezielt Randstrukturen bevorzugen, um auf Beutezug zu gehen, könnte dies ein wichtiger Hinweis sein, dass hier Vögel wesentliche Prädatoren sind.“ Insgesamt zeige die Studie laut Bieber, dass satellitengestützte Messungen der Habitatstruktur ein großes Potenzial haben.

Der Artikel „Satellite-derived measures of habitat structure perform as well as locally recorded measures in predicting predation on artificial nests in central European agricultural landscapes“ von Shane D. Morris, Larissa Bosseler, Aldin Selimovic und Claudia Bieber wurde in „European Journal of Wildlife Research“ veröffentlicht.

Wissenschaftlicher Artikel

Von der Transkriptomik zur Saisonalität: Die Genexpression im Gehirn zeigt, wie Vögel während ihrer nächtlichen Wanderungen Energie verbrauchen können

Vogelzüge sind eine der extremsten und energieaufwändigsten Strategien, die sich im Tierreich entwickelt haben. Vor diesem Hintergrund sind die saisonalen Wanderungen bei Vögeln durch eine rasche physiologische und metabolische Umgestaltung gekennzeichnet. Dazu zählt auch die beträchtliche Anhäufung von Fettspeichern und eine Zunahme der Nachtaktivität. Welche Rolle molekulare Grundlagen und Anpassungen des Gehirns dabei spielen, war bislang allerdings kaum bekannt. Eine internationale Studie unter Leitung der Vetmeduni bringt nun Licht ins Dunkel. Das Paper erschien in Scientific Reports.

In ihrer Studie setzten die Forscher:innen Wachteln (Coturnix coturnix) kontrollierten Veränderungen der Tageslänge aus, um die Herbstmigration in den Süden zu simulieren. Danach blockierten sie die Photoperiode, bis die Vögel in die nicht-migratorische Überwinterungsphase eintraten.

Hochregulierung von Genexpressionsnetzwerken während des Vogelzugs

Nun führte das Forschungsteam eine RNA-Sequenzierung ausgewählter Gehirnproben (Hypothalamus) durch, die von Vögeln zu einem standardisierten Zeitpunkt in der Nacht entnommen wurden, wenn die Unruhe am größten und die Körpermasse am höchsten war. „Wir fanden heraus, dass der Zugzustand mit einer Hochregulierung einiger weniger, aber funktionell gut definierter Genexpressionsnetzwerke verbunden war, die am Fetttransport, Protein- und Kohlenhydratstoffwechsel beteiligt sind“, so Valeria Marasco, Studien-Erstautorin und Assistenzprofessorin für Wildtierphysiologie am Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Vetmeduni.

Genexpression folgt der Tageszeit mit einem Maximum während der Nacht

Weitere Analysen, die sich auf Kandidatengene (Apolipoprotein H [APOH], lysosomal assoziiertes Membranprotein-2 [LAMP2]) aus tagsüber bzw. nachts entnommenen Proben aus der gesamten Studienpopulation konzentrierten, ergaben Unterschiede in der Expression dieser Gene in Abhängigkeit von der Tageszeit, wobei die höchsten Expressionswerte bei den nachts entnommenen Proben von Zugvögeln festgestellt wurden. „Außerdem fanden wir klare Belege, dass die Expression von APOH bei den Zugvögeln positiv mit der nächtlichen Aktivität verbunden war. Bei der Kontrollgruppe der Nicht-Zugvögel und bei den tagsüber beprobten Zugvögeln war ein solcher Zusammenhang hingegen nicht zu sehen“, erklären die Studienautoren Steve Smith and Leonida Fusani vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Vetmeduni.  

Expression von Apolipoproteinen als Grundlage nächtlicher Zugbewegungen

Die Ergebnisse liefern laut den Wissenschafter:innen neue experimentelle Beweise dafür, dass hypothalamische Veränderungen in der Expression von Apolipoproteinen, die den zirkulierenden Transport von Lipiden regulieren, wahrscheinlich wichtige regulatorische Aktivatoren für nächtliche Zugbewegungen sind. „Wir gehen davon aus, dass unsere Studie den Weg ebnet für tiefer gehende funktionelle Untersuchungen der saisonalen physiologischen Umstrukturierung, die der Entwicklung des Migrationsphänotyps zugrunde liegt“, so Valeria Marasco. „Das Verständnis der neurologischen und molekularen Substrate durch die stark saisonabhängige Arten wie wandernde und überwinternde Wirbeltiere ihren Energiestoffwechsel saisonal und täglich anpassen können, ist der Schlüssel, wenn wir die Auswirkungen der anhaltenden klimatischen Herausforderungen auf den Lebensverlauf und die Fitness von Organismen verstehen wollen, während wir in die disruptiven Phasen des Anthropozäns eintreten“, so Marasco abschließend.

Der Artikel „Brain gene expression reveals pathways underlying nocturnal migratory restlessness“ von Valeria Marasco, Leonida Fusani, Patricia Haubensak, Gianni Pola und Steve Smith wurde in „Scientific Reports“ veröffentlicht.


Wissenschaftlicher Artikel

Neuerscheinung: Ökologie der Wildvogelkrankheiten

Der Schwerpunkt des Buches "Ökologie der Wildvogelkrankheiten", herausgegeben von Sasan Fereidouni, liegt auf der Ökologie der wichtigsten Infektionskrankheiten wildlebender Vogelwirte, insbesondere derjenigen mit hoher Morbidität und Mortalität. Die Krankheitsökologie ist ein wichtiger wissenschaftlicher Ansatz zur Untersuchung der Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen lebenden Organismen, ihrer Umwelt und potenziellen Krankheitserregern. Vögel haben eine große Artenvielfalt und die ganz besondere Fähigkeit zu fliegen und zu wandern. Sie ziehen über große Entfernungen und teilen sich Ökosysteme mit anderen Tieren und sogar mit Menschen. Sie sind die wichtigste natürliche Quelle für verschiedene Krankheitserreger mit zoonotischem Potenzial. Die Wechselwirkungen zwischen Vögeln und Krankheitserregern verändern sich zunehmend aufgrund der kontinuierlichen anthropogenen Störungen von Lebensräumen und Ökosystemen. Mit dem verstärkten Klimawandel und den verbesserten Umweltbedingungen für Vektoren sowie der höheren Anfälligkeit der Vogelwirte aufgrund der gleichzeitigen Exposition gegenüber Umweltstressoren (z. B. Kontamination, Nahrungsmangel usw.) steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens neuer Infektionen und ihrer Ausbreitung in neue Gebiete enorm. Die Covid-19-Pandemie hat gezeigt, dass vernachlässigte ökologische und epidemiologische Interaktionen zwischen Wildtieren, Haustieren und Menschen für die globale Gesundheit von größter Bedeutung sind.

Das Buch verfolgt einen anderen Ansatz zum Verständnis der komplexen und vielschichtigen Wechselwirkungen zwischen verschiedenen ökologischen Faktoren bei den wichtigsten Infektionskrankheiten von Wildvögeln. Es liefert wertvolle Daten für Studenten und alle, die sich mit Vogelarten beschäftigen, darunter Biolog:innen, Forscher:innen, Naturschützer:innen und politische Entscheidungsträger:innen.

"Kamele - kostbare Gefährten". Vom Leben der Natur auf Ö1

Geschätzte Nutztiere. Die Tierärztin Pamela Burger spricht über Kamele und ihre Beziehung zum Menschen. Teil 1: Angepasst und wertvoll

Sie sind an Ökosysteme angepasst, wo andere Nutztiere kaum überleben. Kamele - ein Oberbegriff für eine Säugetierfamilie aus der Ordnung der Paarhufer - leben in extremen Klimazonen. Und in vielen Ländern der Welt, von der Mongolei über Marokko bis nach Peru, helfen sie mit, den Lebensunterhalt von Menschen zu sichern. Ihre Milch, ihr Fleisch, aber auch ihre Nutzung als Reit- und Tragtier machen sie seit ihrer Domestizierung vor tausenden von Jahren zu kostbaren Gefährten der Menschen.

Die zweihöckrigen Trampeltiere und die einhöckrigen Dromedare werden auch "Wüstenschiffe" genannt, denn sie können große Entfernungen unter extremen Bedingungen zurücklegen. Dromedare geben auch in Trockenzeiten bis zu sechs Mal mehr Milch als heimische Rinder, und die Wolle von Alpakas und Lamas wird zu hohen Preisen gehandelt und sichert insbesondere Frauen ein Einkommen. Kamele sind Prestigeobjekte - und sichern vielen Menschen gleichzeitig das Überleben.

Durch den Klimawandel und die damit verbundene zunehmende Trockenheit hat die Bedeutung von Kamelen weiter zugenommen und sie als unentbehrliche und nachhaltige Nutztiere in den Focus von Wirtschaft und Wissenschaft gerückt.

Nicht verwunderlich, dass sich die weltweite Population an Kamelen in den letzten beiden Jahrzehnten fast verdoppelt hat, von 22 Millionen Tieren im Jahr 2000 auf 39 Millionen Tiere 2021. Rund 87 Prozent dieser Kamele leben in Afrika, etwa 13 Prozent in Asien. Um ihre große wirtschaftliche, kulturelle und soziale Bedeutung heute und insbesondere für die Zukunft zu unterstreichen, wurde das Jahr 2024 von den Vereinten Nationen zum "internationalen Jahr der Kamele" erklärt, wie Pamela Burger vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie an der Veterinärmedizinischen Universität Wien erläutert.

https://oe1.orf.at/programm/20240603/759782/Kamele-kostbare-Gefaehrten-1 

 

Neuer digitaler Filter erleichtert die Gewinnung von sauberen Herzfrequenzdaten

In der Natur aufgezeichnete Herzfrequenzdaten von Tieren sind oft mit störenden Geräuschen befrachtet. Diese Rohdaten müssen deshalb von diesen unerwünschten Umwelteinflüssen bereinigt werden, um saubere Daten zu gewinnen. Am Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) der Veterinärmedizinischen Universität Wien wurde mit dem „R Package Boxfilter“ ein neuartiger digitaler Filter entwickelt, der die Herzfrequenzen anhand von Datendichten filtert und bisherigen Methoden überlegen ist. Auch eine Anwendung auf andere Messdaten wie Temperatur und Blutdruck ist laut den Forscher:innen möglich.

In den letzten Jahrzehnten hat das Interesse an Langzeitaufzeichnungen der Herzfrequenz, insbesondere bei freilebenden Tieren, zugenommen. Dieser Trend ist vor allem darauf zurückzuführen, dass der größte Teil des Gewebestoffwechsels auf der Sauerstoffzufuhr durch das Herz beruht. Daher dient die Herzfrequenz als Indikator für den Energieverbrauch bei Tieren.

Die Herzfrequenz oder andere physiologische Variablen, die bei Menschen und Tieren mit Hilfe von Loggern aufgezeichnet werden, enthalten jedoch häufig Rauschen, insbesondere durch verschiedene Umwelteinflüsse. Solche Messungen werden von Hand oder durch Filter eliminiert, die Variablen auf der Grundlage der Form oder Frequenz des Signals ausschließen. Manche Ausreißer werden auch deshalb ausgeschieden, weil sie in großer Entfernung von den echten Daten auftreten.

R Package Boxfilter eliminiert irrelevantes Rauschen

Ein Team der Vetmeduni hat nun einen digitalen Filter entwickelt, um genauer und effizienter als bisher saubere Daten zu gewinnen. Thomas Ruf vom FIWI, der das dem Filter zugrunde liegende Computerprogramm geschrieben hat, erklärt die Funktionsweise: „Der von uns entwickelte R Package Boxfilter ermöglicht es den Benutzer:innen, Rauschen zu eliminieren, indem es die Anzahl der nahen Nachbarn innerhalb eines gleitenden Fensters zählt. Je nach gewähltem Grenzwert wird ein Brennpunkt mit einem geringen Anteil an Nachbarn als Rauschen ausgeschieden.“

Auch für die Anwendung auf weitere Messwerte gut geeignet

Alle drei für die Datenbereinigung genützten Parameter – Fensterbreite und -höhe sowie der Cut-off-Wert – können automatisch berechnet werden. Entscheidend für die Qualität der Enddaten ist laut den Wissenschafter:innen die Wahl des Cut-off-Werts, ab dem Datenpunkte verworfen werden. Wie das menschliche Auge bevorzugt der Filter Punkte, die Teil eines Musters sind, wie z. B. ein dichtes Band, und verwirft isolierte Werte. Der Boxfilter kann auch auf andere Messwerte als die Herzfrequenz angewendet werden, wie Körpertemperatur, Blutdruck oder Schlafparameter.

Für die Entwicklung des Filters sammelten die Forscher:innen die Herzfrequenzen von Wildschweinen und evaluierten den Boxfilter. Gefördert wurde die Entwicklung des R Package Boxfilters von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG sowie von den Bundesländern Niederösterreich und Wien.

Der Artikel „Filtering heart rates using data densities: The boxfilter R package“ von Thomas Ruf, Claudio Signer, Walter Arnold, Sebastian G. Vetter und Claudia Bieber wurde in „Methods in Ecology and Evolution“ veröffentlicht.

 

Wissenschaftlicher Artikel

 

Community-Projekt StadtWildTiere erlaubt unbekannte Einblicke in die Welt von städtischen Wildtieren

Beginnend in Zürich (Schweiz) wurde das Projekt StadtWildTiere seither auf insgesamt 13 Städte in – einschließlich Wien und Berlin – Österreich, Deutschland und der Schweiz ausgeweitet. Auf einer gemeinsamen Online-Plattform werden Beobachtungen zufälliger Begegnungen mit Wildtieren in städtischer Nachbarschaft gesammelt. In Österreich kann über die Website stadtwildtiere.at gemeldet werden. Eine soeben veröffentlichte internationale Studie unter Beteiligung der Veterinärmedizinischen Universität Wien untersuchte nun den Nutzen dieser länderübergreifenden Initiative.

StadtWildTiere sammelt Sichtungen von Wildtieren in Städten, um das Bewusstsein der Einwohner:innen für die biologische Vielfalt in städtischen Gebieten in ganz Mitteleuropa zu schärfen. Zudem dient die Sammlung von Daten als Grundlage für wissenschaftliche Analysen. Weiters sollen mit Hilfe des durch die Bürger:innen gesammelten Wissens die Natur und Biodiversität in städtischen Gebieten gefördert werden.

Klimawandel, Wechselwirkungen: Community-Projekt deckt Verborgenes erstmals auf

Die Stadtökologie ist noch ein junges Feld und städtische Wildtierpopulationen standen bisher nicht im Fokus von Studien. „StadtWildTiere ermöglicht es uns, bisher verborgene Muster und zeitliche Trends zu erkennen, z. B. im Rahmen der städtischen Verdichtung und des Wärmeinseleffekts, insbesondere im Hinblick auf den Klimawandel. Damit kann die Initiative auch als Sensor für die zukünftigen Wechselwirkungen zwischen Mensch und Wildtieren dienen“, erklärt Studien-Coautorin Theresa Walter vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Vetmeduni.

Wichtige Grundlagen für Entscheidungen auf politischer Ebene

Langfristig schlagen die Wissenschafter:innen vor, dass Projekte wie StadtWildTiere eine Basis für ein vergleichendes, internationales Monitoring schaffen sollten, um die bestehenden Wissenslücken über städtische Wildtierpopulationen zu schließen. Die daraus gewonnenen Daten weisen laut Studien-Coautor Richard Zink vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) der Vetmeduni weit über die Wissenschaft hinaus: „Dieses Wissen ist auch für politische Entscheidungsträger:innen und Wildtiermanager:innen von entscheidender Bedeutung, um die richtigen Strategien und Maßnahmen zu etablieren. Insbesondere betrifft das auch die Frage, wie sich die biologische Vielfalt in Städten wirksam verbessern lässt.“

Der Artikel „StadtWildTiere – added value and impact of transnational urban wildlife community science projects“ von Madeleine Geiger, Anouk Lisa Taucher, Sandra Gloor, Mirco Lauper, Sarah Kiefer, Sophia E. Kimmig, Janette Siebert, Theresa Walter, Richard Zink, Fabio Bontadina und Daniel Hegglin wurden in „Frontiers in Ecology and Evolution“ veröffentlicht.


Wissenschaftlicher Artikel

StadtWildTiere Österreich

Hirsche passen Physiologie der Muskeln an Jahreszeit an

Am Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) der Vetmeduni ging man in einer aktuellen Studie der Frage nach, wie Rothirsche sich auf zellulärer Ebene auf den Winter vorbereiten. Im Fokus standen biochemische Kälteanpassungen in der Muskulatur und deren Steuerung. Die Studie wurde vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung Österreichs (FWF) finanziert und erbrachte bahnbrechende Erkenntnisse mit allgemeiner Bedeutung für Säugetiere.

In den Membranen von Muskelzellen befinden sich Schlüsselenzyme der Muskelfunktion. Wie alle biochemischen Vorgänge ist die Aktivität dieser Enzyme temperaturabhängig. Ein zu kalter Muskel ist deshalb nur eingeschränkt funktionstüchtig. Wie Rothirsche im Winter ausreichend bewegungsfähig bleiben, trotz niedrigerer Temperatur vor allem in äußeren Körperteilen, war die zentrale Fragestellung dieses Projekts.

Um saisonale zelluläre Veränderungen feststellen zu können, wurde den Tieren im Winter und im Sommer unter Narkose mittels Biopsie eine geringe Menge an Muskelgewebe entnommen. Im Labor bestimmten die Wissenschafter:innen anschließend die Fettsäurezusammensetzung der Zellmembranen und die Aktivität von Schlüsselenzymen. Mit den Ergebnissen gelang es grundlegende Zusammenhänge aufzuklären. Dazu der Projektleiter Walter Arnold: „Wir konnten feststellen, dass die Aktivität wichtiger Enzyme des Muskelstoffwechsels von der Konzentration bestimmten Fettsäuren in den Zellmembranen beeinflusst wird. Zusammen mit jahreszyklischen Veränderungen der Genexpressionen bestimmen die saisonalen Veränderungen der Fettsäureumgebung die maximal mögliche Aktivität membranständiger Enzyme.“

Die zweite Untersuchungsfrage war, wie die jahreszyklischen Veränderungen in Zellmembranen zustande kommen. Ein denkbarer Grund war eine unterschiedliche Zufuhr mehrfach ungesättigter Fettsäuren mit der Nahrung, da diese von Säugetieren nicht synthetisiert werden können. Eine weitere Möglichkeit war die Steuerung durch die Tageslänge, deren Veränderung im Jahresverlauf wohlbekannte andere saisonale Reaktionen auslöst, wie den Wechsel vom Sommer- ins Winterfell. Beide Hypothesen wurden mit einem ausgeklügelten Experiment untersucht. Den Tieren wurde das ganze Jahr über Futter mit unterschiedlichen Konzentrationen essenzieller Fettsäuren verabreicht und die Wahrnehmung der Tageslänge wurde im letzten Versuchsjahr manipuliert. Das gelang mit der Verabreichung des Hormons Melatonin, dass natürlicherweise nur nachts und deshalb vermehrt im Winter ausgeschüttet wird. Die künstliche Erhöhung des Melatoninspiegels im Blut ab Juni führte bereits im August zur Wende in den Winterzustand, deutlich erkennbar am vorzeitigen Wechsel ins Winterfell und ebenso nachweisbar in den Muskelzellen. Die Zufuhr essenzieller Fettsäuren hatte dagegen so gut wie keinen Einfluss auf jahreszeitliche Veränderungen.

Fazit: Durch saisonale Anpassungen auf zellulärer Ebene ist es den Hirschen möglich, trotz der besonders in den Beinen niedrigeren Körpertemperatur ausreichende Muskelfunktion zu erhalten. Mit der durch geringere Wärmeproduktion erzielten Energieeinsparung überstehen sie Nahrungsknappheit und Kälte des Winters, ohne ihre Fluchtfähigkeit zu sehr zu beeinträchtigen.

Diese Studie bietet faszinierende Einblicke in die erstaunlichen Anpassungsmechanismen von Hirschen und legt nahe, dass ähnliche Phänomene auch bei anderen Säugetieren vorhanden sind, einschließlich des Menschen. Die Erkenntnisse haben somit weitreichende Auswirkungen auf das grundlegende Verständnis der evolutionären Anpassung an saisonal veränderliche Lebensbedingungen.

Der Artikel „Summer fades, deer change: Photoperiodic control of cellular seasonal acclimatization of skeletal muscle“ von Kristina Gasch, Alba Hykollari, Manuela Habe, Patricia Haubensak, Johanna Painer-Gigler, Steve Smith, Gabrielle Stalder und Walter Arnold wurde in „iScience“ veröffentlicht.
 

Wissenschaftlicher Artikel 

Transport-Stress bringt das Mikrobiom von Nashörnern aus der Balance

Gefährdete Wildtiere müssen oft über weite Strecken hinweg transportiert werden. Ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Veterinärmedizinischen Universität Wien untersuchte nun in einer explorativen Studie anhand von Nashörnern (Rhinocerotidae), wie sich solche erzwungenen, aber notwendigen Reisen auf die Darmgesundheit und das Tierwohl der Dickhäuter auswirken. Demnach führen die Transporte und der damit verbundene Stress zu einem Ungleichgewicht des Mikrobioms, was in weiterer Folge zur Entstehung von Krankheiten führen kann.

Umsiedlungen von Nashörnern werden häufig zu Erhaltungszwecken – also aus Tierschutzgründen – durchgeführt. Allerdings setzen diese Transporte die Tiere einer Vielzahl von Stressfaktoren aus, wie  z. B. längeres Fasten, Gefangenschaft, neue Umgebung usw. Dieser Stress kann die Zusammensetzung der Darmmikrobiota (Mikrobiom) verändern, was sich auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Tiere auswirken kann. Insbesondere können die Nashörner nach einer Umsiedlung Magersucht, Durchfall und eine Darmentzündung (Enterokolitis) entwickeln.

DNA-Analyse zur Bestimmung der Folgen eines Tiertransports

Ziel der soeben veröffentlichten Studie war es, den Einfluss von Alter, Geschlecht und Umsiedlung auf die Zusammensetzung der bakteriellen Mikrobiota im Kot von Nashörnern zu untersuchen. Dazu wurden Kotproben von Nashörnern beim Fang (n = 16) und nach einem mehr als 30-stündigen Straßentransport (n = 7) gesammelt. Aus diesen Proben wurde DNA isoliert und analysiert. „Die Resultate unterschieden sich nicht zwischen Nashörnern unterschiedlichen Alters und Geschlechts. Allerdings gab es einen signifikanten Unterschied zwischen Kotproben, die beim Fang und nach dem Transport gesammelt wurden“, so Studien-Leiterin Friederike Pohlin vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) der Vetmeduni.

„Schlechte“ Bakterien werden mehr, Zahl der guten „Bakterien“ sinkt

Die häufigsten Bakterienstämme in den beim Fang gesammelten Proben waren Firmicutes und Bacteroidetes (85,76 %), vertreten durch die Familien LachnospiraceaeRuminococcaceae und Prevotellaceae. Die Baktierienstämme Proteobacteria und Actinobacteria nahmen in ihrer relativen Häufigkeit vom Fang bis nach dem Transport zu und umfassten potenziell pathogene Bakterienfamilien wie Enterobacteriaceae und Pseudomonadaceae. Wichtige Kommensalen – also „gute“ Bakterien – wie SpirochaetesFibrobacteres und Lachnospiraceae nahmen in ihrer relativen Häufigkeit ab.

Dazu Friederike Pohlin: „Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die mit dem Fang und Transport verbundenen Stressfaktoren bei Nashörnern eine unausgewogene Zusammensetzung der fäkalen Mikrobiota verursachen, die zu potenziell infektiösen Darmerkrankungen führen kann. Dieses Ungleichgewicht kann durch die Ausbreitung normalerweise harmloser Krankheitserreger, die vermehrte Ausscheidung von Krankheitserregern oder eine erhöhte Anfälligkeit für neue Krankheitserreger entstehen.“

Einfache Maßnahmen können Tierwohl und -gesundheit deutlich verbessern

Laut dem wissenschaftlichen Team der Studie sind nun weitere Schritte erforderlich, um die klinischen Auswirkungen dieser Veränderungen in der Zusammensetzung der fäkalen Mikrobiota besser zu verstehen: „Insbesondere geht es darum, festzustellen, ob die Veränderungen dauerhaft oder vorübergehend sind. Außerdem müssen wir Möglichkeiten finden, diesen Veränderungen entgegenzuwirken, um die transportbedingte Morbidität und Mortalität bei umgesiedelten Nashörnern zu verringern“.

Vor allem einfach umzusetzende Maßnahmen zur Unterstützung und Stabilisierung einer ausgewogenen Darmmikrobiota während des Transports – wie z. B. die Bereitstellung von ausreichend Wasser und Nahrung in regelmäßigen Abständen oder die Verabreichung von Probiotika – sollten laut den Forscher:innen dringend untersucht werden.

Der Artikel „Capture and transport of white rhinoceroses (Ceratotheriumsimum) cause shifts in their fecal microbiota composition towards dysbiosis“ von Friederike Pohlin, Carolin Frei, Leith C.R. Meyer, Franz-Ferdinand Roch, Narciso M. Quijada, Beate Conrady, Viktoria Neubauer, Markus Hofmeyr, Dave Cooper, Gabrielle Stalder und Stefanie U. Wetzels wurde in „Conservation Physiology“ veröffentlicht.

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