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Bodenbrüter: Satellitendaten vereinfachen die Qualitätsanalyse von Nistplätzen

Bestände von Bodenbrütern, u.a. Rebhühner (Perdix perdix), nehmen ab. Maßnahmen zur Überwachung des Bruterfolgs sind daher angezeigt. Wie können wir möglichst effizient erfassen wo Nistplätze erhöhten Risiken, wie zum Beispiel Prädation, ausgesetzt sind? Dieser Frage ging eine im „European Journal of Wildlife Research“ erschienene Studie der Veterinärmedizinischen Universität Wien nach. Untersucht wurde dafür die Wahrscheinlichkeit eines Nestraubs. Außerdem fanden die Forscher:innen Hinweise dazu, dass Vögel in mitteleuropäischen Agrarlandschaften selbst die gefährlichsten Nesträuber sein könnten.

Satellitengestützte Messungen der Habitatstruktur sind genauso gut wie lokal von Wissenschafter:innen erfasste Daten, um den Raub (Prädation) an künstlichen Nestern vorherzusagen – so lautet die zentrale Erkenntnis der nun veröffentlichten Studie. Hintergrund der Analyse ist eine besorgniserregende Entwicklung: Die Zahl der am Boden nistenden Vögel ist in ganz Europa drastisch zurückgegangen. Die Verschlechterung der Lebensraumstruktur in landwirtschaftlich genutzten Gebieten ist dafür einer der Hauptgründe. Denn die Habitatstruktur ist nicht nur für die Bereitstellung von Nahrung und geeigneten Mikroklimata von entscheidender Bedeutung, sondern schränkt auch die Nesträuberei ein.

Kostengünstige, zeitsparende und zuverlässige Alternative

Die Bewertung der Lebensraumstruktur durch eine:n Wissenschafter:in vor Ort war in der Vergangenheit die gängigste Methode zur Ermittlung von Gebieten mit geringem Nestraub. Sie ist jedoch aus zeitlichen, finanziellen und logistischen Gründen nur begrenzt anwendbar. Fernerkundungsdaten, die beispielsweise von einem Satelliten aufgezeichnet werden, können diese Probleme lösen. Ein Maß für die „Grünheit“ eines Gebiets ist der normalisierte Differenzvegetationsindex (NDVI), der mit der Lebensraumstruktur korreliert. Die NDVI-Daten stehen weltweit kostenlos für interessierte Nutzer:innen zur Verfügung.

Satellitenmessungen liefern gleich gute Ergebnisse wie lokal erfasste Daten

Zur Validierung der Satellitenmessung führten die Forscher:innen ein Experiment mit künstlichen Nestern durch. Der Versuch lief über drei Jahre (2019, 2020, 2023) in Baden bei Wien, um die Beziehung zwischen NDVI und Nesträubern in einer Agrarlandschaft zu testen. „Dabei verglichen wir, ob der NDVI die Nesträuberei ebenso gut vorhersagen kann wie lokal erfasste Bodenbedeckung oder Vegetationshöhe. Unsere Ergebnisse belegen, dass eine spezielle Kombination an Monatswerten des NDVIs bei der Vorhersage von Nesträuberei gleich gute Ergebnisse bringt“, so Studien-Erstautor Shane D. Morris vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) der Vetmeduni.

Vögel als Nest-Räuber

Die Wahrscheinlichkeit eines Nestraubs nahm mit höheren NDVI-Werten ab, was auf bessere Lebensraumstrukturen hindeutet. Das wird durch die Feststellung gestützt, dass die Prädationswahrscheinlichkeit mit zunehmender Bodenbedeckung – eine lokal erfasste Variable – abnahm. Zusätzlich gewannen die Wissenschaftler:innen eine weitere, spannende Erkenntnis, wie Studien-Letztautorin Claudia Bieber, Leiterin des FIWI, berichtet: „Grund für weiterführende Studien ist, dass wir in offenen Gebieten wie freien Feldern, eine hohe Prädation auf die Gelege gefunden haben. Da Marder und Füchse sehr gezielt Randstrukturen bevorzugen, um auf Beutezug zu gehen, könnte dies ein wichtiger Hinweis sein, dass hier Vögel wesentliche Prädatoren sind.“ Insgesamt zeige die Studie laut Bieber, dass satellitengestützte Messungen der Habitatstruktur ein großes Potenzial haben.

Der Artikel „Satellite-derived measures of habitat structure perform as well as locally recorded measures in predicting predation on artificial nests in central European agricultural landscapes“ von Shane D. Morris, Larissa Bosseler, Aldin Selimovic und Claudia Bieber wurde in „European Journal of Wildlife Research“ veröffentlicht.

Wissenschaftlicher Artikel

Von der Transkriptomik zur Saisonalität: Die Genexpression im Gehirn zeigt, wie Vögel während ihrer nächtlichen Wanderungen Energie verbrauchen können

Vogelzüge sind eine der extremsten und energieaufwändigsten Strategien, die sich im Tierreich entwickelt haben. Vor diesem Hintergrund sind die saisonalen Wanderungen bei Vögeln durch eine rasche physiologische und metabolische Umgestaltung gekennzeichnet. Dazu zählt auch die beträchtliche Anhäufung von Fettspeichern und eine Zunahme der Nachtaktivität. Welche Rolle molekulare Grundlagen und Anpassungen des Gehirns dabei spielen, war bislang allerdings kaum bekannt. Eine internationale Studie unter Leitung der Vetmeduni bringt nun Licht ins Dunkel. Das Paper erschien in Scientific Reports.

In ihrer Studie setzten die Forscher:innen Wachteln (Coturnix coturnix) kontrollierten Veränderungen der Tageslänge aus, um die Herbstmigration in den Süden zu simulieren. Danach blockierten sie die Photoperiode, bis die Vögel in die nicht-migratorische Überwinterungsphase eintraten.

Hochregulierung von Genexpressionsnetzwerken während des Vogelzugs

Nun führte das Forschungsteam eine RNA-Sequenzierung ausgewählter Gehirnproben (Hypothalamus) durch, die von Vögeln zu einem standardisierten Zeitpunkt in der Nacht entnommen wurden, wenn die Unruhe am größten und die Körpermasse am höchsten war. „Wir fanden heraus, dass der Zugzustand mit einer Hochregulierung einiger weniger, aber funktionell gut definierter Genexpressionsnetzwerke verbunden war, die am Fetttransport, Protein- und Kohlenhydratstoffwechsel beteiligt sind“, so Valeria Marasco, Studien-Erstautorin und Assistenzprofessorin für Wildtierphysiologie am Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Vetmeduni.

Genexpression folgt der Tageszeit mit einem Maximum während der Nacht

Weitere Analysen, die sich auf Kandidatengene (Apolipoprotein H [APOH], lysosomal assoziiertes Membranprotein-2 [LAMP2]) aus tagsüber bzw. nachts entnommenen Proben aus der gesamten Studienpopulation konzentrierten, ergaben Unterschiede in der Expression dieser Gene in Abhängigkeit von der Tageszeit, wobei die höchsten Expressionswerte bei den nachts entnommenen Proben von Zugvögeln festgestellt wurden. „Außerdem fanden wir klare Belege, dass die Expression von APOH bei den Zugvögeln positiv mit der nächtlichen Aktivität verbunden war. Bei der Kontrollgruppe der Nicht-Zugvögel und bei den tagsüber beprobten Zugvögeln war ein solcher Zusammenhang hingegen nicht zu sehen“, erklären die Studienautoren Steve Smith and Leonida Fusani vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Vetmeduni.  

Expression von Apolipoproteinen als Grundlage nächtlicher Zugbewegungen

Die Ergebnisse liefern laut den Wissenschafter:innen neue experimentelle Beweise dafür, dass hypothalamische Veränderungen in der Expression von Apolipoproteinen, die den zirkulierenden Transport von Lipiden regulieren, wahrscheinlich wichtige regulatorische Aktivatoren für nächtliche Zugbewegungen sind. „Wir gehen davon aus, dass unsere Studie den Weg ebnet für tiefer gehende funktionelle Untersuchungen der saisonalen physiologischen Umstrukturierung, die der Entwicklung des Migrationsphänotyps zugrunde liegt“, so Valeria Marasco. „Das Verständnis der neurologischen und molekularen Substrate durch die stark saisonabhängige Arten wie wandernde und überwinternde Wirbeltiere ihren Energiestoffwechsel saisonal und täglich anpassen können, ist der Schlüssel, wenn wir die Auswirkungen der anhaltenden klimatischen Herausforderungen auf den Lebensverlauf und die Fitness von Organismen verstehen wollen, während wir in die disruptiven Phasen des Anthropozäns eintreten“, so Marasco abschließend.

Der Artikel „Brain gene expression reveals pathways underlying nocturnal migratory restlessness“ von Valeria Marasco, Leonida Fusani, Patricia Haubensak, Gianni Pola und Steve Smith wurde in „Scientific Reports“ veröffentlicht.


Wissenschaftlicher Artikel

Neuerscheinung: Ökologie der Wildvogelkrankheiten

Der Schwerpunkt des Buches "Ökologie der Wildvogelkrankheiten", herausgegeben von Sasan Fereidouni, liegt auf der Ökologie der wichtigsten Infektionskrankheiten wildlebender Vogelwirte, insbesondere derjenigen mit hoher Morbidität und Mortalität. Die Krankheitsökologie ist ein wichtiger wissenschaftlicher Ansatz zur Untersuchung der Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen lebenden Organismen, ihrer Umwelt und potenziellen Krankheitserregern. Vögel haben eine große Artenvielfalt und die ganz besondere Fähigkeit zu fliegen und zu wandern. Sie ziehen über große Entfernungen und teilen sich Ökosysteme mit anderen Tieren und sogar mit Menschen. Sie sind die wichtigste natürliche Quelle für verschiedene Krankheitserreger mit zoonotischem Potenzial. Die Wechselwirkungen zwischen Vögeln und Krankheitserregern verändern sich zunehmend aufgrund der kontinuierlichen anthropogenen Störungen von Lebensräumen und Ökosystemen. Mit dem verstärkten Klimawandel und den verbesserten Umweltbedingungen für Vektoren sowie der höheren Anfälligkeit der Vogelwirte aufgrund der gleichzeitigen Exposition gegenüber Umweltstressoren (z. B. Kontamination, Nahrungsmangel usw.) steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens neuer Infektionen und ihrer Ausbreitung in neue Gebiete enorm. Die Covid-19-Pandemie hat gezeigt, dass vernachlässigte ökologische und epidemiologische Interaktionen zwischen Wildtieren, Haustieren und Menschen für die globale Gesundheit von größter Bedeutung sind.

Das Buch verfolgt einen anderen Ansatz zum Verständnis der komplexen und vielschichtigen Wechselwirkungen zwischen verschiedenen ökologischen Faktoren bei den wichtigsten Infektionskrankheiten von Wildvögeln. Es liefert wertvolle Daten für Studenten und alle, die sich mit Vogelarten beschäftigen, darunter Biolog:innen, Forscher:innen, Naturschützer:innen und politische Entscheidungsträger:innen.

"Kamele - kostbare Gefährten". Vom Leben der Natur auf Ö1

Geschätzte Nutztiere. Die Tierärztin Pamela Burger spricht über Kamele und ihre Beziehung zum Menschen. Teil 1: Angepasst und wertvoll

Sie sind an Ökosysteme angepasst, wo andere Nutztiere kaum überleben. Kamele - ein Oberbegriff für eine Säugetierfamilie aus der Ordnung der Paarhufer - leben in extremen Klimazonen. Und in vielen Ländern der Welt, von der Mongolei über Marokko bis nach Peru, helfen sie mit, den Lebensunterhalt von Menschen zu sichern. Ihre Milch, ihr Fleisch, aber auch ihre Nutzung als Reit- und Tragtier machen sie seit ihrer Domestizierung vor tausenden von Jahren zu kostbaren Gefährten der Menschen.

Die zweihöckrigen Trampeltiere und die einhöckrigen Dromedare werden auch "Wüstenschiffe" genannt, denn sie können große Entfernungen unter extremen Bedingungen zurücklegen. Dromedare geben auch in Trockenzeiten bis zu sechs Mal mehr Milch als heimische Rinder, und die Wolle von Alpakas und Lamas wird zu hohen Preisen gehandelt und sichert insbesondere Frauen ein Einkommen. Kamele sind Prestigeobjekte - und sichern vielen Menschen gleichzeitig das Überleben.

Durch den Klimawandel und die damit verbundene zunehmende Trockenheit hat die Bedeutung von Kamelen weiter zugenommen und sie als unentbehrliche und nachhaltige Nutztiere in den Focus von Wirtschaft und Wissenschaft gerückt.

Nicht verwunderlich, dass sich die weltweite Population an Kamelen in den letzten beiden Jahrzehnten fast verdoppelt hat, von 22 Millionen Tieren im Jahr 2000 auf 39 Millionen Tiere 2021. Rund 87 Prozent dieser Kamele leben in Afrika, etwa 13 Prozent in Asien. Um ihre große wirtschaftliche, kulturelle und soziale Bedeutung heute und insbesondere für die Zukunft zu unterstreichen, wurde das Jahr 2024 von den Vereinten Nationen zum "internationalen Jahr der Kamele" erklärt, wie Pamela Burger vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie an der Veterinärmedizinischen Universität Wien erläutert.

https://oe1.orf.at/programm/20240603/759782/Kamele-kostbare-Gefaehrten-1 

 

Neuer digitaler Filter erleichtert die Gewinnung von sauberen Herzfrequenzdaten

In der Natur aufgezeichnete Herzfrequenzdaten von Tieren sind oft mit störenden Geräuschen befrachtet. Diese Rohdaten müssen deshalb von diesen unerwünschten Umwelteinflüssen bereinigt werden, um saubere Daten zu gewinnen. Am Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) der Veterinärmedizinischen Universität Wien wurde mit dem „R Package Boxfilter“ ein neuartiger digitaler Filter entwickelt, der die Herzfrequenzen anhand von Datendichten filtert und bisherigen Methoden überlegen ist. Auch eine Anwendung auf andere Messdaten wie Temperatur und Blutdruck ist laut den Forscher:innen möglich.

In den letzten Jahrzehnten hat das Interesse an Langzeitaufzeichnungen der Herzfrequenz, insbesondere bei freilebenden Tieren, zugenommen. Dieser Trend ist vor allem darauf zurückzuführen, dass der größte Teil des Gewebestoffwechsels auf der Sauerstoffzufuhr durch das Herz beruht. Daher dient die Herzfrequenz als Indikator für den Energieverbrauch bei Tieren.

Die Herzfrequenz oder andere physiologische Variablen, die bei Menschen und Tieren mit Hilfe von Loggern aufgezeichnet werden, enthalten jedoch häufig Rauschen, insbesondere durch verschiedene Umwelteinflüsse. Solche Messungen werden von Hand oder durch Filter eliminiert, die Variablen auf der Grundlage der Form oder Frequenz des Signals ausschließen. Manche Ausreißer werden auch deshalb ausgeschieden, weil sie in großer Entfernung von den echten Daten auftreten.

R Package Boxfilter eliminiert irrelevantes Rauschen

Ein Team der Vetmeduni hat nun einen digitalen Filter entwickelt, um genauer und effizienter als bisher saubere Daten zu gewinnen. Thomas Ruf vom FIWI, der das dem Filter zugrunde liegende Computerprogramm geschrieben hat, erklärt die Funktionsweise: „Der von uns entwickelte R Package Boxfilter ermöglicht es den Benutzer:innen, Rauschen zu eliminieren, indem es die Anzahl der nahen Nachbarn innerhalb eines gleitenden Fensters zählt. Je nach gewähltem Grenzwert wird ein Brennpunkt mit einem geringen Anteil an Nachbarn als Rauschen ausgeschieden.“

Auch für die Anwendung auf weitere Messwerte gut geeignet

Alle drei für die Datenbereinigung genützten Parameter – Fensterbreite und -höhe sowie der Cut-off-Wert – können automatisch berechnet werden. Entscheidend für die Qualität der Enddaten ist laut den Wissenschafter:innen die Wahl des Cut-off-Werts, ab dem Datenpunkte verworfen werden. Wie das menschliche Auge bevorzugt der Filter Punkte, die Teil eines Musters sind, wie z. B. ein dichtes Band, und verwirft isolierte Werte. Der Boxfilter kann auch auf andere Messwerte als die Herzfrequenz angewendet werden, wie Körpertemperatur, Blutdruck oder Schlafparameter.

Für die Entwicklung des Filters sammelten die Forscher:innen die Herzfrequenzen von Wildschweinen und evaluierten den Boxfilter. Gefördert wurde die Entwicklung des R Package Boxfilters von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG sowie von den Bundesländern Niederösterreich und Wien.

Der Artikel „Filtering heart rates using data densities: The boxfilter R package“ von Thomas Ruf, Claudio Signer, Walter Arnold, Sebastian G. Vetter und Claudia Bieber wurde in „Methods in Ecology and Evolution“ veröffentlicht.

 

Wissenschaftlicher Artikel

 

Community-Projekt StadtWildTiere erlaubt unbekannte Einblicke in die Welt von städtischen Wildtieren

Beginnend in Zürich (Schweiz) wurde das Projekt StadtWildTiere seither auf insgesamt 13 Städte in – einschließlich Wien und Berlin – Österreich, Deutschland und der Schweiz ausgeweitet. Auf einer gemeinsamen Online-Plattform werden Beobachtungen zufälliger Begegnungen mit Wildtieren in städtischer Nachbarschaft gesammelt. In Österreich kann über die Website stadtwildtiere.at gemeldet werden. Eine soeben veröffentlichte internationale Studie unter Beteiligung der Veterinärmedizinischen Universität Wien untersuchte nun den Nutzen dieser länderübergreifenden Initiative.

StadtWildTiere sammelt Sichtungen von Wildtieren in Städten, um das Bewusstsein der Einwohner:innen für die biologische Vielfalt in städtischen Gebieten in ganz Mitteleuropa zu schärfen. Zudem dient die Sammlung von Daten als Grundlage für wissenschaftliche Analysen. Weiters sollen mit Hilfe des durch die Bürger:innen gesammelten Wissens die Natur und Biodiversität in städtischen Gebieten gefördert werden.

Klimawandel, Wechselwirkungen: Community-Projekt deckt Verborgenes erstmals auf

Die Stadtökologie ist noch ein junges Feld und städtische Wildtierpopulationen standen bisher nicht im Fokus von Studien. „StadtWildTiere ermöglicht es uns, bisher verborgene Muster und zeitliche Trends zu erkennen, z. B. im Rahmen der städtischen Verdichtung und des Wärmeinseleffekts, insbesondere im Hinblick auf den Klimawandel. Damit kann die Initiative auch als Sensor für die zukünftigen Wechselwirkungen zwischen Mensch und Wildtieren dienen“, erklärt Studien-Coautorin Theresa Walter vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Vetmeduni.

Wichtige Grundlagen für Entscheidungen auf politischer Ebene

Langfristig schlagen die Wissenschafter:innen vor, dass Projekte wie StadtWildTiere eine Basis für ein vergleichendes, internationales Monitoring schaffen sollten, um die bestehenden Wissenslücken über städtische Wildtierpopulationen zu schließen. Die daraus gewonnenen Daten weisen laut Studien-Coautor Richard Zink vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) der Vetmeduni weit über die Wissenschaft hinaus: „Dieses Wissen ist auch für politische Entscheidungsträger:innen und Wildtiermanager:innen von entscheidender Bedeutung, um die richtigen Strategien und Maßnahmen zu etablieren. Insbesondere betrifft das auch die Frage, wie sich die biologische Vielfalt in Städten wirksam verbessern lässt.“

Der Artikel „StadtWildTiere – added value and impact of transnational urban wildlife community science projects“ von Madeleine Geiger, Anouk Lisa Taucher, Sandra Gloor, Mirco Lauper, Sarah Kiefer, Sophia E. Kimmig, Janette Siebert, Theresa Walter, Richard Zink, Fabio Bontadina und Daniel Hegglin wurden in „Frontiers in Ecology and Evolution“ veröffentlicht.


Wissenschaftlicher Artikel

StadtWildTiere Österreich

Hirsche passen Physiologie der Muskeln an Jahreszeit an

Am Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) der Vetmeduni ging man in einer aktuellen Studie der Frage nach, wie Rothirsche sich auf zellulärer Ebene auf den Winter vorbereiten. Im Fokus standen biochemische Kälteanpassungen in der Muskulatur und deren Steuerung. Die Studie wurde vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung Österreichs (FWF) finanziert und erbrachte bahnbrechende Erkenntnisse mit allgemeiner Bedeutung für Säugetiere.

In den Membranen von Muskelzellen befinden sich Schlüsselenzyme der Muskelfunktion. Wie alle biochemischen Vorgänge ist die Aktivität dieser Enzyme temperaturabhängig. Ein zu kalter Muskel ist deshalb nur eingeschränkt funktionstüchtig. Wie Rothirsche im Winter ausreichend bewegungsfähig bleiben, trotz niedrigerer Temperatur vor allem in äußeren Körperteilen, war die zentrale Fragestellung dieses Projekts.

Um saisonale zelluläre Veränderungen feststellen zu können, wurde den Tieren im Winter und im Sommer unter Narkose mittels Biopsie eine geringe Menge an Muskelgewebe entnommen. Im Labor bestimmten die Wissenschafter:innen anschließend die Fettsäurezusammensetzung der Zellmembranen und die Aktivität von Schlüsselenzymen. Mit den Ergebnissen gelang es grundlegende Zusammenhänge aufzuklären. Dazu der Projektleiter Walter Arnold: „Wir konnten feststellen, dass die Aktivität wichtiger Enzyme des Muskelstoffwechsels von der Konzentration bestimmten Fettsäuren in den Zellmembranen beeinflusst wird. Zusammen mit jahreszyklischen Veränderungen der Genexpressionen bestimmen die saisonalen Veränderungen der Fettsäureumgebung die maximal mögliche Aktivität membranständiger Enzyme.“

Die zweite Untersuchungsfrage war, wie die jahreszyklischen Veränderungen in Zellmembranen zustande kommen. Ein denkbarer Grund war eine unterschiedliche Zufuhr mehrfach ungesättigter Fettsäuren mit der Nahrung, da diese von Säugetieren nicht synthetisiert werden können. Eine weitere Möglichkeit war die Steuerung durch die Tageslänge, deren Veränderung im Jahresverlauf wohlbekannte andere saisonale Reaktionen auslöst, wie den Wechsel vom Sommer- ins Winterfell. Beide Hypothesen wurden mit einem ausgeklügelten Experiment untersucht. Den Tieren wurde das ganze Jahr über Futter mit unterschiedlichen Konzentrationen essenzieller Fettsäuren verabreicht und die Wahrnehmung der Tageslänge wurde im letzten Versuchsjahr manipuliert. Das gelang mit der Verabreichung des Hormons Melatonin, dass natürlicherweise nur nachts und deshalb vermehrt im Winter ausgeschüttet wird. Die künstliche Erhöhung des Melatoninspiegels im Blut ab Juni führte bereits im August zur Wende in den Winterzustand, deutlich erkennbar am vorzeitigen Wechsel ins Winterfell und ebenso nachweisbar in den Muskelzellen. Die Zufuhr essenzieller Fettsäuren hatte dagegen so gut wie keinen Einfluss auf jahreszeitliche Veränderungen.

Fazit: Durch saisonale Anpassungen auf zellulärer Ebene ist es den Hirschen möglich, trotz der besonders in den Beinen niedrigeren Körpertemperatur ausreichende Muskelfunktion zu erhalten. Mit der durch geringere Wärmeproduktion erzielten Energieeinsparung überstehen sie Nahrungsknappheit und Kälte des Winters, ohne ihre Fluchtfähigkeit zu sehr zu beeinträchtigen.

Diese Studie bietet faszinierende Einblicke in die erstaunlichen Anpassungsmechanismen von Hirschen und legt nahe, dass ähnliche Phänomene auch bei anderen Säugetieren vorhanden sind, einschließlich des Menschen. Die Erkenntnisse haben somit weitreichende Auswirkungen auf das grundlegende Verständnis der evolutionären Anpassung an saisonal veränderliche Lebensbedingungen.

Der Artikel „Summer fades, deer change: Photoperiodic control of cellular seasonal acclimatization of skeletal muscle“ von Kristina Gasch, Alba Hykollari, Manuela Habe, Patricia Haubensak, Johanna Painer-Gigler, Steve Smith, Gabrielle Stalder und Walter Arnold wurde in „iScience“ veröffentlicht.
 

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Transport-Stress bringt das Mikrobiom von Nashörnern aus der Balance

Gefährdete Wildtiere müssen oft über weite Strecken hinweg transportiert werden. Ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Veterinärmedizinischen Universität Wien untersuchte nun in einer explorativen Studie anhand von Nashörnern (Rhinocerotidae), wie sich solche erzwungenen, aber notwendigen Reisen auf die Darmgesundheit und das Tierwohl der Dickhäuter auswirken. Demnach führen die Transporte und der damit verbundene Stress zu einem Ungleichgewicht des Mikrobioms, was in weiterer Folge zur Entstehung von Krankheiten führen kann.

Umsiedlungen von Nashörnern werden häufig zu Erhaltungszwecken – also aus Tierschutzgründen – durchgeführt. Allerdings setzen diese Transporte die Tiere einer Vielzahl von Stressfaktoren aus, wie  z. B. längeres Fasten, Gefangenschaft, neue Umgebung usw. Dieser Stress kann die Zusammensetzung der Darmmikrobiota (Mikrobiom) verändern, was sich auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Tiere auswirken kann. Insbesondere können die Nashörner nach einer Umsiedlung Magersucht, Durchfall und eine Darmentzündung (Enterokolitis) entwickeln.

DNA-Analyse zur Bestimmung der Folgen eines Tiertransports

Ziel der soeben veröffentlichten Studie war es, den Einfluss von Alter, Geschlecht und Umsiedlung auf die Zusammensetzung der bakteriellen Mikrobiota im Kot von Nashörnern zu untersuchen. Dazu wurden Kotproben von Nashörnern beim Fang (n = 16) und nach einem mehr als 30-stündigen Straßentransport (n = 7) gesammelt. Aus diesen Proben wurde DNA isoliert und analysiert. „Die Resultate unterschieden sich nicht zwischen Nashörnern unterschiedlichen Alters und Geschlechts. Allerdings gab es einen signifikanten Unterschied zwischen Kotproben, die beim Fang und nach dem Transport gesammelt wurden“, so Studien-Leiterin Friederike Pohlin vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) der Vetmeduni.

„Schlechte“ Bakterien werden mehr, Zahl der guten „Bakterien“ sinkt

Die häufigsten Bakterienstämme in den beim Fang gesammelten Proben waren Firmicutes und Bacteroidetes (85,76 %), vertreten durch die Familien LachnospiraceaeRuminococcaceae und Prevotellaceae. Die Baktierienstämme Proteobacteria und Actinobacteria nahmen in ihrer relativen Häufigkeit vom Fang bis nach dem Transport zu und umfassten potenziell pathogene Bakterienfamilien wie Enterobacteriaceae und Pseudomonadaceae. Wichtige Kommensalen – also „gute“ Bakterien – wie SpirochaetesFibrobacteres und Lachnospiraceae nahmen in ihrer relativen Häufigkeit ab.

Dazu Friederike Pohlin: „Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die mit dem Fang und Transport verbundenen Stressfaktoren bei Nashörnern eine unausgewogene Zusammensetzung der fäkalen Mikrobiota verursachen, die zu potenziell infektiösen Darmerkrankungen führen kann. Dieses Ungleichgewicht kann durch die Ausbreitung normalerweise harmloser Krankheitserreger, die vermehrte Ausscheidung von Krankheitserregern oder eine erhöhte Anfälligkeit für neue Krankheitserreger entstehen.“

Einfache Maßnahmen können Tierwohl und -gesundheit deutlich verbessern

Laut dem wissenschaftlichen Team der Studie sind nun weitere Schritte erforderlich, um die klinischen Auswirkungen dieser Veränderungen in der Zusammensetzung der fäkalen Mikrobiota besser zu verstehen: „Insbesondere geht es darum, festzustellen, ob die Veränderungen dauerhaft oder vorübergehend sind. Außerdem müssen wir Möglichkeiten finden, diesen Veränderungen entgegenzuwirken, um die transportbedingte Morbidität und Mortalität bei umgesiedelten Nashörnern zu verringern“.

Vor allem einfach umzusetzende Maßnahmen zur Unterstützung und Stabilisierung einer ausgewogenen Darmmikrobiota während des Transports – wie z. B. die Bereitstellung von ausreichend Wasser und Nahrung in regelmäßigen Abständen oder die Verabreichung von Probiotika – sollten laut den Forscher:innen dringend untersucht werden.

Der Artikel „Capture and transport of white rhinoceroses (Ceratotheriumsimum) cause shifts in their fecal microbiota composition towards dysbiosis“ von Friederike Pohlin, Carolin Frei, Leith C.R. Meyer, Franz-Ferdinand Roch, Narciso M. Quijada, Beate Conrady, Viktoria Neubauer, Markus Hofmeyr, Dave Cooper, Gabrielle Stalder und Stefanie U. Wetzels wurde in „Conservation Physiology“ veröffentlicht.

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