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Paradiesvögel: Sex und die wunderbare Mechanik des Rades

Das Rad des zu den Paradiesvögeln zählenden männlichen Reifelvogels bietet einen faszinierenden Anblick, ist es doch kreisrund und gleicht auf den ersten Blick mehr der Blüte einer exotischen Pflanze als dem, was wir als Vogel kennen. Wie die Forscher einer austro-australischen Studie unter Leitung der Veterinärmedizinischen Universität Wien nun erstmals nachweisen konnten, steckt hinter diesem außergewöhnlichen Balzverhalten eine ganz besondere physische Fähigkeit. Diese Gabe unterscheidet die Reifelvögel von allen anderen Vögeln und hat neben dem sichtbaren auch einen hörbaren Effekt. Eine gleichermaßen attraktive wie komplexe Kombination, der potenzielle Partnerinnen schwerlich widerstehen können.

Männliches Imponiergehabe mag anöden, ist nicht nur bei Menschen omnipräsent – und führt häufig zum gewünschten Erfolg. Aus wissenschaftlicher Sicht hat die sexuelle Selektion durch die Wahl des Weibchens die Entwicklung einiger der ausgeklügeltsten Signalverhaltensweisen bei Tieren vorangetrieben. Diese Darbietungen erfordern oft spezialisierte morphologische Anpassungen und können Signale in mehreren Sinnesmodalitäten beinhalten. Außerdem werden visuelle und akustische Signale bei zeitlich strukturierten Balzvorführungen oft präzise choreographiert.

Begnadete Körper: Einzigartige Akrobatik ermöglicht außergewöhnliche visuelle Effekte

Ein ganz besonders raffiniertes Exemplar in dieser Hinsicht sind die Reifelvögel (Gattung Ptiloris). Die Forscher der soeben im „Biological Journal of the Linnean Society“ erschienenen Studie konnten nun erstmals nachweisen, dass diese Paradiesvogelart ihre bemerkenswerte Balzhaltung durch eine Überstreckung des Handgelenks erreicht. „Diese geht weit über die maximale Streckung des Handgelenks aller anderen bekannten Vögel hinaus“, betont Studien-Erstautor Thomas MacGillavry vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) der Vetmeduni die Einzigartigkeit dieser Fähigkeit.

Sound and Vision: Ein imposantes Multimedia-Spektakel mit einem genialen Trick

Die faszinierenden Erkenntnisse reichen aber noch weiter, wie Studien-Erstautor Leonida Fusani, Leiter des KLIVV, erklärt: „Anhand von Videoaufnahmen, die wir im Feld gesammelt haben, konnten wir beobachten, dass diese Hypermobilität für einen Klang erforderlich ist, der nur bei Reifelvögeln vorkommt. In diesem Zusammenhang stellten wir zudem fest, dass das gelbe Innere des Mundes in der dynamischen Phase der Balz-Präsentation gezeigt wird.“ Dieser Laut könnte nicht erzeugt werden, wenn der Schnabel geöffnet ist – diese physische Einschränkung für die Signalgestaltung wird durch den Workaround der Hypermobilität elegant umgangen.

Hinter der schönen Fassade: Nur die eine Sache im Kopf

Schließlich verwendeten die Forscher einen großen morphometrischen Datensatz, um die Muster des sexuellen Dimorphismus in der Flügellänge bei verschiedenen Paradiesvogelarten zu beschreiben und Hinweise auf eine sexuelle Selektion für große und strukturell veränderte Flügel zu finden, die bei der Balz von Reifelvögeln zum Einsatz kommen.

Mit der Summe ihrer Erkenntnisse gelang den Forschern ein großer Schritt – und das, obwohl die allgemeinen Muster des Imponierverhaltens von Reifelvögeln in der Literatur gut beschrieben sind. „Unsere Studie hat gezeigt, dass die untersuchten Balz-Darbietungen mechanisch viel komplizierter sind als bisher angenommen, und unterstreicht, wie die Partnerwahl die Entwicklung extremer Verhaltensweisen und morphologischer Phänotypen vorantreiben kann, die ausschließlich der sexuellen Zurschaustellung dienen“, so Leonida Fusani und Thomas MacGillavry.

Der Artikel „The mechanics of male courtship display behaviour in the Ptiloris riflebirds (Aves: Paradisaeidae)“ von Thomas MacGillavry, Clifford B. Frith und Leonida Fusani wurde in „Biological Journal of the Linnean Society“ veröffentlicht.


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Verhaltensforschung: Neue Erkenntnisse zu Stressreaktionen der Prinzessin von Burundi

Aquarienfreund:innen ist die ostafrikanische Buntbarschart Neolamprologus pulcher als Prinzessin von Burundi geläufig. Wissenschaftlich dient sie im Tiermodell häufig zur Erforschung des Verhaltens – die Veterinärmedizinische Universität Wien zählt hier weltweit zu den führenden Institutionen. Eine Forschungsgruppe um das Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) untersuchte nun, wie die Blockade der Glukokortikoidrezeptoren auf Stress und Verhalten wirkt. Die Ergebnisse der Studie wurden in der renommierten wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Physiology & Behavior“ veröffentlicht.

Konkret gingen die Forscher:innen der Frage nach, ob die sogenannte Stressachse bei der sozialen Buntbarschart Neolamprologus pulcher mit Verhaltensflexibilität in Verbindung steht. Zu diesem Zweck blockierten die Wissenschafter:innen die Glukokortikoidrezeptoren (GR) von erwachsenen N. pulcher pharmakologisch, indem sie einen GR-Antagonisten minimalinvasiv verabreichten. Die Hintergründe dafür erläutert Studien-Erstautor Stefan Fischer vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) der Vetmeduni: „Glukokortikoidrezeptoren (GR) sind wichtige Vermittler der Stressreaktion. Die GR-Blockade verhindert die Erholung nach einem Stressereignis, von dem wir annahmen, dass es die Verhaltensflexibilität beeinträchtigt.“ Nach der Verabreichung des GR-Antagonisten wurden die Fische wiederholt einem Raubtier ausgesetzt und ihre Verhaltensflexibilität anhand einer Umwegaufgabe getestet. Dabei mussten die Fische einen neuen, längeren Weg zum Unterschlupf finden, wenn der kürzeste Weg blockiert war.

Veränderte Angst-Wahrnehmung und weniger Stress-Erholung reduzieren die Verhaltensflexibilität

Während sich die Zeit zum Auffinden des Unterschlupfs bei den Fischen die einen GR-Antagonisten verabreicht bekamen und einer Kontrollgruppe ohne GR-Antagonisten nicht unterschied, zeigten die Fische mit GR-Blockade mehr Fehlversuche bei den Umwegaufgaben als die Kontrollfische. Darüber hinaus ging die schwache Leistung bei den Umwegaufgaben mit einer Zunahme angstbezogener Verhaltensweisen einher. „Das deutet darauf hin, dass die Blockierung von GR die Wahrnehmung von Angst verändert und zu einer verminderten Verhaltensflexibilität führt. Unsere Ergebnisse belegen daher einen möglichen Zusammenhang zwischen der Fähigkeit, sich von Stressoren zu erholen, und der Verhaltensflexibilität bei N. pulcher, was sich möglicherweise auf eine effektive und adaptive Bewältigung von Veränderungen in der Umwelt auswirkt“, so Co-Autor Leonida Fusani vom KLIVV.

Eine spannende Paarung: Wie Stressreaktionen zu Verhaltensflexibilität führen

Verhaltensflexibilität spielt eine wichtige Rolle bei der Art und Weise, wie Tiere mit neuen Situationen umgehen, und physiologische Stressreaktionen sind adaptive und hocheffiziente Mechanismen zur Bewältigung unvorhersehbarer Ereignisse. „Um besser zu verstehen, wie Stress die Verhaltensflexibilität in einem natürlichen Kontext beeinflusst, nahmen wir deshalb direkte Manipulationen der Stressreaktion vor und führten kognitive Tests in ökologisch relevanten Kontexten durch, während bisherige Studien meistens nur unter Laborbedingungen durchgeführt wurden“, betont Stefan Fischer.

Der Artikel „Does the stress axis mediate behavioural flexibility in a social cichlid, Neolamprologus pulcher?“ von Stefan Fischer, Zala Ferlinc, Katharina Hirschenhauser, Barbara Taborsky, Leonida Fusani und Sabine Tebbich wurde in „Physiology & Behavior“ veröffentlicht.


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Von der Transkriptomik zur Saisonalität: Die Genexpression im Gehirn zeigt, wie Vögel während ihrer nächtlichen Wanderungen Energie verbrauchen können

Vogelzüge sind eine der extremsten und energieaufwändigsten Strategien, die sich im Tierreich entwickelt haben. Vor diesem Hintergrund sind die saisonalen Wanderungen bei Vögeln durch eine rasche physiologische und metabolische Umgestaltung gekennzeichnet. Dazu zählt auch die beträchtliche Anhäufung von Fettspeichern und eine Zunahme der Nachtaktivität. Welche Rolle molekulare Grundlagen und Anpassungen des Gehirns dabei spielen, war bislang allerdings kaum bekannt. Eine internationale Studie unter Leitung der Vetmeduni bringt nun Licht ins Dunkel. Das Paper erschien in Scientific Reports.

In ihrer Studie setzten die Forscher:innen Wachteln (Coturnix coturnix) kontrollierten Veränderungen der Tageslänge aus, um die Herbstmigration in den Süden zu simulieren. Danach blockierten sie die Photoperiode, bis die Vögel in die nicht-migratorische Überwinterungsphase eintraten.

Hochregulierung von Genexpressionsnetzwerken während des Vogelzugs

Nun führte das Forschungsteam eine RNA-Sequenzierung ausgewählter Gehirnproben (Hypothalamus) durch, die von Vögeln zu einem standardisierten Zeitpunkt in der Nacht entnommen wurden, wenn die Unruhe am größten und die Körpermasse am höchsten war. „Wir fanden heraus, dass der Zugzustand mit einer Hochregulierung einiger weniger, aber funktionell gut definierter Genexpressionsnetzwerke verbunden war, die am Fetttransport, Protein- und Kohlenhydratstoffwechsel beteiligt sind“, so Valeria Marasco, Studien-Erstautorin und Assistenzprofessorin für Wildtierphysiologie am Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Vetmeduni.

Genexpression folgt der Tageszeit mit einem Maximum während der Nacht

Weitere Analysen, die sich auf Kandidatengene (Apolipoprotein H [APOH], lysosomal assoziiertes Membranprotein-2 [LAMP2]) aus tagsüber bzw. nachts entnommenen Proben aus der gesamten Studienpopulation konzentrierten, ergaben Unterschiede in der Expression dieser Gene in Abhängigkeit von der Tageszeit, wobei die höchsten Expressionswerte bei den nachts entnommenen Proben von Zugvögeln festgestellt wurden. „Außerdem fanden wir klare Belege, dass die Expression von APOH bei den Zugvögeln positiv mit der nächtlichen Aktivität verbunden war. Bei der Kontrollgruppe der Nicht-Zugvögel und bei den tagsüber beprobten Zugvögeln war ein solcher Zusammenhang hingegen nicht zu sehen“, erklären die Studienautoren Steve Smith and Leonida Fusani vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Vetmeduni.  

Expression von Apolipoproteinen als Grundlage nächtlicher Zugbewegungen

Die Ergebnisse liefern laut den Wissenschafter:innen neue experimentelle Beweise dafür, dass hypothalamische Veränderungen in der Expression von Apolipoproteinen, die den zirkulierenden Transport von Lipiden regulieren, wahrscheinlich wichtige regulatorische Aktivatoren für nächtliche Zugbewegungen sind. „Wir gehen davon aus, dass unsere Studie den Weg ebnet für tiefer gehende funktionelle Untersuchungen der saisonalen physiologischen Umstrukturierung, die der Entwicklung des Migrationsphänotyps zugrunde liegt“, so Valeria Marasco. „Das Verständnis der neurologischen und molekularen Substrate durch die stark saisonabhängige Arten wie wandernde und überwinternde Wirbeltiere ihren Energiestoffwechsel saisonal und täglich anpassen können, ist der Schlüssel, wenn wir die Auswirkungen der anhaltenden klimatischen Herausforderungen auf den Lebensverlauf und die Fitness von Organismen verstehen wollen, während wir in die disruptiven Phasen des Anthropozäns eintreten“, so Marasco abschließend.

Der Artikel „Brain gene expression reveals pathways underlying nocturnal migratory restlessness“ von Valeria Marasco, Leonida Fusani, Patricia Haubensak, Gianni Pola und Steve Smith wurde in „Scientific Reports“ veröffentlicht.


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Chorgesänge von Männchen beeinflussen die Fortpflanzung von Vogeldamen

Wirkt der Gesang von Artgenossen auf die Fortpflanzung von Vögeln? Dieser Frage ging eine im „Journal of Ornithology“ erschienene österreichisch-slowakische Studie unter Leitung der Veterinärmedizinischen Universität Wien nach. Dazu wurde das Verhalten der europäischen Teichrohrsänger (Acrocephalus scirpaceus) in einem Experiment mit Hilfe von Gesangsplaybacks untersucht. Dabei zeigte sich, dass die akustische Umwelt, „schöne“ Gesänge von Männchen in der Nachbarschaft eine positive Wirkung auf Fortpflanzungsinvestitionen und Bruterfolg haben.

Zu Beginn der Fortpflanzung sind in der Regel eine Reihe von Entscheidungen zu treffen – zum Beispiel, wo ein Territorium etabliert und ein Partner angelockt wird oder wo ein idealer Brutplatz zur Verfügung steht. Diese Entscheidungen können von der Qualität potenzieller Partner, aber auch von anderen Artgenossen in der Umgebung beeinflusst werden. Bei Vögeln können beispielsweise Gesangsmerkmale wie die Komplexität des Gesangs die Qualität eines Individuums signalisieren.

Playbackexperimente testen die Wirkung von Gesängen

„Neben der Wahl des richtigen Ortes für die Fortpflanzung und dem Anlocken von Partnern vermuten wir, dass die akustische Umwelt zum Beispiel in Form von singenden Nachbarn auch den reproduktiven Aufwand eines Individuums beeinflussen kann“, erklärt Studien-Letztautor Herbert Hoi vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) der Vetmeduni die Forschungshypothese der Studie. Insbesondere die frühe mütterliche Investition, also die Ressourcen, die eine Mutter ihren Embryos in den Eiern mitgibt, ist ein sensibler Faktor, der z. B. auch durch die Qualität und Attraktivität der Männchen beeinflusst werden kann und sich in der Verteilung mütterlicher Ressourcen unter den Nachkommen und schlussendlich auch in der Quältet der Nachkommen widerspiegelt.

„In diesem Zusammenhang untersuchten wir beim Teichrohrsänger, ob die Gesangsqualität von Nachbarn der gleichen Art reproduktive Parameter stimuliert“, so Herbert Hoi. Dazu führten die Wissenschafter:innen im Freiland Playbackexperimente mit Gesängen von hoher und niedriger Komplexität durch mit denen sie unterschiedliche akustische Umwelten simulierten und untersuchten welchen Einfluss diese auf Ansiedlungsentscheidungen, frühe mütterliche Investition und Bruterfolg haben.

 „Schöne“ Vogelgesänge haben eine positive Wirkung

Zwar zeigten die Ergebnisse keinen Unterschied in der Anzahl der Nester und dem Beginn der Eiablage, aber die Nester lagen deutlich näher bei Standorten, an denen hochkomplexe Gesänge zu hören waren. Darüber hinaus war in der Gruppe mit hochkomplexem Gesang ein signifikant höherer Anteil der Eier vollständig dunkel pigmentiert als in der Gruppe mit weniger komplexem Gesang. Außerdem war der Bruterfolg von Nestern in der Nähe von hochkomplexen Gesängen signifikant höher und es gab daher mehr Nachkommen.

Herbert Hoi zieht daraus den folgenden Schluss: „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass das akustische Umfeld, beispielweise in Form von Qualität des Gesangs, nicht nur der des männlichen Partners, sondern auch der von Artgenossen, einen gewissen Einfluss auf die Fortpflanzungsinvestitionen und den Bruterfolg hat. Bei der Investition in die Embryos scheint dieser Einfluss geringer zu sein.“ Aufgrund der Bedeutung von Verlusten an Nachkommen durch Nesträuber könnte es laut Hoi in künftigen Studien interessant sein, die Rolle des Gesangs benachbarter Männchen und deren Bedeutung für die Stimulierung von Verhaltensweisen auch während anderer Reproduktionsphasen zu untersuchen.

Der Artikel „Does complexity of conspecific song influence reproductive decisions and investment in European Common Reed Warblers: an experimental playback approach?“ von Ján Krištofík, Alžbeta Darolová, Lucia Rubáčová und Herbert Hoi wurde in „Journal of Ornithology“ veröffentlicht.


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Neuropeptid Oxytocin macht Mäuseweibchen bei der gemeinsamen Brutpflege sozialer

Das Hormon Oxytocin ist dafür bekannt, dass es eine Reihe von Verhaltensweisen bei Säugetieren – insbesondere bei Weibchen – reguliert. Neben den bekannten Fortpflanzungsfunktionen zeigen Studien an Mäusen, dass im Gehirn, zentral freigesetztes Oxytocin eine Reihe von sozialen Verhaltensweisen beeinflusst. Bei Weibchen umfassen diese beispielsweise soziale Präferenzen für Partner des anderen und des gleichen Geschlechts. Eine unter Beteiligung der Veterinärmedizinischen Universität Wien veröffentlichte österreichisch-britische Studie zeigt nun, dass Mäuseweibchen bei der Aufzucht ihrer Nachkommen von höheren Oxytocin-Werten durch eine verbesserte Zusammenarbeit  profitieren.

In ihrer Studie untersuchten die Wissenschafter:innen verwandte weibliche Hausmäuse (Mus musculus domesticus). Weibliche Hausmäuse können wählen, ob sie ihre Jungen in sogenannten Gemeinschaftsnestern mit einem anderen Weibchen und deren Jungen oder alleine großziehen. In der Studie fanden sie heraus, dass bei der gemeinsamen Aufzucht von Jungtieren kooperierende Mäuse mit höheren zentralen Oxytocinwerten egalitärere und erfolgreichere kooperative Beziehungen haben. „Die Zusammenarbeit von zwei Schwestern mit hohen Oxytocin-Konzentrationen im paraventrikulären Nukleus (PVN) des Hypothalamus resultierte in einem Gemeinschaftsnest in denen die Schwestern gemeinsam mehr Nachwuchs erzeugten, einen gleichmäßigeren Beitrag an der Anzahl der Jungen hatten sowie  einen gleichmäßigeren Anteil der Zeit im Nest verbrachten“, so Studien-Erstautor Stefan Fischer vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) der Vetmeduni.

Einfluss von Oxytocin wirft ein neues Licht auf die Evolution egalitärer sozialer Beziehungen

Allerdings stand Oxytocin im PVN in keinem Zusammenhang mit der Anzahl der abgestillten Nachkommen, wenn diese in einem Einzelnest, ohne Kooperation, aufgezogen wurden. Zudem unterschieden sich die Oxytocin-Werte nicht hinsichtlich der Verfügbarkeit von Nistplätzen oder des sozialen Wettbewerbs mit anderen Gruppen an Mäusen. „Da wir vor diesem Hintergrund die positiven Auswirkungen der Kooperation mit Oxytocin in Verbindung bringen, haben unsere Ergebnisse weitreichende Auswirkungen auf das Verständnis der Evolution egalitärer sozialer Beziehungen“, erklärt Fischer.

Despotisch oder egalitär: Soziale Systeme im Spannungsfeld von Wettbewerb und Kooperation

Grundsätzlich prägen laut Fischer sozialer Wettbewerb und Kooperation die sozialen Systeme von in Gruppen lebenden Tieren. Sozialität findet immer im Spannungsfeld zwischen Wettbewerb und Kooperation statt, wobei der Ausgang ob sich Gruppenmitglieder eher Bekämpfen oder Zusammenarbeiten davon abhängt ob die interagierenden Tiere verwandt sind und welche Vorteile sie von einer Zusammenarbeit beziehungsweise einen Wettbewerb mit anderen Gruppenmitgliedern haben. Diese Spannung spiegelt sich in der unterschiedlichen Verteilung der Vorteile von kooperativem Verhalten zwischen den Gruppenmitgliedern wider. In egalitären sozialen Systemen werden die Vorteile relativ gleichmäßig entsprechend der investierten Anstrengung verteilt, während in despotischen sozialen Systemen die Vorteile eher den dominanten Individuen – auf Kosten der anderen – zukommen. „Unsere Studie ist deshalb von besonderem Interesse, da sie Indizien für Unterschiede in der Balance zwischen egalitärem und despotischem Verhalten liefert, die mit dem zentralen Oxytocinspiegel kooperierender Individuen zusammenhängen. Wenn sich ähnliche Variationen bei anderen sozialen Arten wiederholen, könnte uns dies helfen, die unmittelbaren Faktoren zu verstehen, die egalitäres und despotisches Sozialverhalten beeinflussen, und somit einen umfassenden Einblick in die Vielfalt sozialer Systeme geben“, betont Fischer.

Der Artikel „Egalitarian cooperation linked to central oxytocin levels in communal breeding house mice“ von Stefan Fischer, Callum Duffield, William T. Swaney, Rhiannon L. Bolton, Amanda J. Davidson, Jane L. Hurst und Paula Stockley wurde in „Communications biology“ veröffentlicht.


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Sättigungshormon Ghrelin – was Felsenpinguine hungern lässt

Eine Vielzahl von Tierarten durchläuft längere Fastenzeiten. Während solcher Perioden des Nahrungsentzugs müssen die Tiere ihren Appetit unterdrücken. Das Sättigungssignal-Darmhormon Ghrelin hat in diesem Zusammenhang in Studien über Säugetiersysteme viel Aufmerksamkeit erhalten. Bei Wildvögeln hingegen war das Wissen über das Ghrelin-System und seine Rolle während längerer Fastenzeiten bisher spärlich.

Eine internationale Studie unter Leitung des Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Veterinärmedizinischen Universität Wien (KLIVV) untersuchte dieses Hormon nun in einer soeben erschienenen Studie anhand von Felsenpinguinen. Die Forscher:innen liefern damit einen wichtigen Beitrag, um das Ghrelin-System von Vögeln besser zu verstehen.

Gemeinsam mit Leptin und Insulin ist Ghrelin eines von drei wichtigen Stoffwechselhormonen. Bei Säugetieren wie dem Menschen ist es ein appetitanregendes Peptid, das in der Magenschleimhaut und der Bauchspeicheldrüse produziert wird. Zusätzlich hat das Hormon eine Reihe anderer Wirkungen. Auch die meisten Vogelarten weisen ein Gen auf, das für Ghrelin codiert. Im Gegensatz zu den Säugetieren hemmt Ghrelin bei Vögeln jedoch die Nahrungsaufnahme. Die soeben im Fachjournal „Hormones and Behavior“ erschienene Studie nahm deshalb die Wirkung von Ghrelin während länger dauernder Fastenzeiten von Vögeln genauer unter die Lupe.

Im Fokus: Ghrelin-Konzentration während der Mauser von Felsenpinguinen

In ihrer Studie sammelte das vom KLIVV geleitete Forschungsteam Plasmaproben für Messungen der zirkulierenden Ghrelin-Konzentrationen von erwachsenen Felsenpinguinen (Eudyptes chrysocome chrysocome) während der drei- bis vierwöchigen Mauser, welche die Pinguine jährlich zum Austausch ihres Federkleids wiederholen. „Wir nahmen außerdem Proben von Küken vor und nach der Fütterung sowie von nicht mausernden Erwachsenen“, erklärt Julia Slezacek vom KLIVV der Vetmeduni.

Mauser und Küken: Signifikant unterschiedliche Ghrelin-Werte

Die Ghrelin-Spiegel unterschieden sich nicht signifikant zwischen gefütterten und nicht gefütterten Küken, aber die Vogeljungen hatten im Vergleich zu erwachsenen Tieren signifikant niedrigere Plasmaghrelin-Spiegel. Darüber hinaus wiesen Pinguine in der späten Mauser – also Individuen am Ende der verlängerten Fastenzeit – höhere Ghrelin-Werte auf als nicht mausernde Erwachsene.

Daraus zieht Julia Slezacek vom KLIVV der Vetmeduni den folgenden Schluss: „Bei Pinguinen scheint Ghrelin in verschiedenen Entwicklungsstadien und in verschiedenen Phasen des Jahreszyklus unterschiedlich reguliert zu werden. Die Kontrolle des Hungers durch Ghrelin während der späteren Stadien der Mauser ist sehr plausibel und könnte eine Art Stoppsignal darstellen welches Pinguine davon abhält zu früh in das Meer zurückzukehren wenn ihr Federkleid noch nicht vollständig erneuert ist und eine effiziente Wärmeregulierung noch nicht möglich ist.“ Laut den Forscher:innen tragen die Studienergebnisse angesichts des geringen bzw. fehlenden Wissens über die Funktion von Ghrelin bei Seevögeln und bei fastenden Vögeln im Allgemeinen wesentlich zum Verständnis des Ghrelin-Systems bei Vögeln bei.

Der Artikel „Circulating profile of the appetite-regulating hormone ghrelin during moult-fast and chick provisioning in southern rockhopper penguins (Eudyptes chrysocome chrysocome)“ von Julia Slezacek, Petra Quillfeldt, Hiroyuki Kaiya, Alba Hykollari und Leonida Fusani wurde in „Hormones and Behavior“ veröffentlicht.

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Dorngrasmücken während des Vogelzugs – lieber essen als schlafen

Schlafen ist erholsam und hat unter anderem auf den Stoffwechsel einen erheblichen Einfluss. Inwieweit die Dorngrasmücke (Curruca communis) – ein im Sommer in großen Teilen Europas und im Winter südlich der Sahara heimischer Zugvogel – diesen Fitness-Vorteil während ihrer interkontinentalen Flugreisen nützt, untersuchte eine aktuelle Studie, die unter Leitung der Veterinärmedizinischen Universität Wien entstand. Demnach setzen diese gefiederten Langstreckenreisenden nur teilweise auf die energetischen Vorteile aus dem Schlaf. Stattdessen konzentrieren sie sich eher auf die Nahrungssuche.

In ihrer Studie untersuchten Forscher:innen aus Italien und Österreich bei der Dorngrasmücke die Beziehung zwischen Schlafverhalten und -haltung, Stoffwechselzustand und Energieerhaltungsstrategien während des Vogelzugs. Die Feldarbeit wurde auf der Insel Ponza durchgeführt, rund 50 km vor der Westküste Italiens gelegen und ein bedeutender Zwischenlandeplatz an einer der wichtigsten Zugrouten für paläarktische Sperlingsvögel.

Metabolische Vorteile aus dem Schlaf werden nicht voll ausgeschöpft

„Wir konnten bestätigen, dass das Schlafen in gebückter Haltung zu Energieeinsparungen im Stoffwechsel führt, was in einer geringeren Wachsamkeit und einer damit verbundenen höheren Gefährdung durch Raubtiere resultiert. Allerdings zeigten die Dorngrasmücken keine Veränderungen ihres Schlafverhaltens als Reaktion auf die Menge der gespeicherten Energiereserven“, umreißt Ivan Maggini vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) der Vetmeduni die zentralen Forschungsergebnisse.

Dies deutet laut Maggini darauf hin, dass die Singvögel die metabolischen Vorteile des Schlafs zumindest in der beobachteten Phase ihres Zuges nicht voll ausschöpfen. „Wir vermuten, dass Dorngrasmücken für eine optimale Energieakkumulation und zur Maximierung der Effizienz bei ihren Zwischenlandungen der Nahrungssuche gegenüber dem Schlaf den Vorzug geben“, so der Forscher.

Wichtige neue Erkenntnisse für den Naturschutz

Die dahinter stehenden ökologischen Ursachen erfordern laut den Forscher:innen weitere Studien und einen vergleichenden Ansatz. Vor allem auch deshalb, da bislang nur Langstrecken-Zugvögel untersucht wurden, so dass bisher unbekannt ist, wie Arten mit kürzeren Wanderungen mit dem Schlaf umgehen. Generell sind Studien zum Schlaf von Bedeutung für den Naturschutz, da sie zeigen, wie Zugvögel die verschiedenen Rastplätze nutzen. Dazu Maggini: „Diese Erkenntnisse sind unerlässlich, um die Lebensbedingungen an diesen Rastplätzen zu erhalten und zu verbessern, da davon das Überleben zahlreicher Vogelarten abhängt.“

Schlaf ist während des Vogelzugs überlebenswichtig

Rastplätze, an denen sich die Vögel ausruhen und ihre Energiereserven wieder auffüllen, spielen eine wichtige Rolle bei der Bewältigung der mit dem Vogelzug verbundenen Herausforderungen. Der Schlaf gilt zwar für alle Organismen als lebenswichtig, doch während der Migration, wo das Energiemanagement zu einer Überlebensfrage wird, gewinnt er noch an Bedeutung – dies konnten bereits vorangehende Studien wissenschaftlich eindeutig belegen.

Der Artikel „Sleep Posture Influences Metabolic Rate and Vigilance in the Common Whitethroat (Curruca Communis)“ von Maia Pastres, Ivan Maggini, Massimiliano Cardinale, Leonida Fusani und Andrea Ferretti wurde in „Integrative and Comparative Biology“ veröffentlicht.
 

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Die Macht der Wiederholung: Sie entscheidet über die Dominanz von Teichrohrsängern

Die Art des Gesangs von Vögeln ist wichtig für die Partnerwahl. Das ist bekanntes Wissen aus der Verhaltensforschung. Doch wie steht es um die Bedeutung des Vogelgesangs für die Konkurrenz zwischen männlichen Vögeln? Mit einem Playback-Experiment ging eine internationale, von der Veterinärmedizinischen Universität Wien geleitete Studie, anhand von Teichrohrsängern (Acrocephalus scirpaceus) – ein heimischer Singvogel, der in Afrika südlich der Sahara überwintert – dieser Frage nach. Demnach vermitteln monotone Vogellieder Dominanz. Stereotype Schreihälse sind also im Vorteil?

In der Verhaltensforschung wurde die Virtuosität (Komplexität) mit der ein Vogelmännchen seinen Gesang vorträgt bereits vor langem als ein wichtiges Kriterium bei der Partnerwahl der Weibchen identifiziert. Demgegenüber ist die Rolle des Gesangs bei Interaktionen zwischen Rivalen weniger klar – und man weiß sehr wenig darüber, welche Gesangsmerkmale speziell bei der Revierverteidigung und Auseinandersetzungen zwischen Männchen wichtig sind.

Eine Möglichkeit unmissverständlich und mit Nachdruck seine Standpunkte und Ansichten an den „Mann“ (Adressaten) zu bringen, ist die zu transportierende „Message“ immer wieder zu wiederholen. Auch bei uns Menschen werden Wiederholungen eingesetzt, um Aussagen mehr Nachdruck zu verleihen, sie glaubhafter zu machen. Bei Teichrohrsängern erhöhen Männchen ihre Gesangskomplexität, um den Weibchen zu imponieren, während sie diese bei Revierstreitigkeiten reduzieren. Eine Möglichkeit, die Komplexität des Gesangs zu reduzieren, wird durch die Wiederholung einzelner Silben erreicht. In ihrer kürzlich veröffentlichten Studie untersuchte das Wissenschaftsteam deshalb die Bedeutung der Wiederholung von Silben bei territorialen Disputen mit Rivalen.

Playback-Experiment mit unterschiedlich häufiger Silbenwiederholung

Als Hypothese ihrer Untersuchung gingen die Forscher:innen davon aus, dass die Wiederholung von Silben die allgemeine Kampffähigkeit, den aggressiven Status oder die Angriffsbereitschaft eines Männchens signalisiert. Dazu Studien-Letztautor Herbert Hoi vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) der Vetmeduni: „In einem Playback-Experiment untersuchten wir die Verhaltensreaktion von unverpaarten, territorialen Teichrohrsänger-Männchen auf zwei gleichzeitig singende Eindringlinge, wobei sich der Gesang der beiden durch Playbacks simulierten Eindringlinge im Ausmaß der Silbenwiederholungen unterschied.“

Eine deutliche Verhaltensreaktion: Wer sich wiederholt, demonstriert Dominanz

Die Reaktion des Revierinhabers wurde anhand mehrerer Verhaltensparameter ermittelt. Die Ergebnisse zeigten, dass die Komplexität des Gesangs keine Rolle dabei spielt, ob sich die Männchen prinzipiell an das Playback heranwagen, beziehungsweise, wie nahe sie herankommen. Es stellte sich jedoch heraus, dass sich Revierinhaber schneller näherten und signifikant länger in der Nähe des komplexen Playbackgesanges, also jenem mit wenig Wiederholungen, bleiben.

„Diese schwächere Reaktion auf den Gesang mit viel wiederholten Silben deutet darauf hin, dass territoriale Männchen durch den aggressiven Charakter dieses Gesangstyps stärker eingeschüchtert werden“, so Herbert Hoi. Da die sonstigen Unterschiede der Reaktion, in Relation zu den im Playback-Experiment extrem divergierenden Gesangsmerkmalen, jedoch eher schwach ausgeprägt waren, wäre es laut Hoi für künftige Studien interessant, den sozialen Status, sowie die Motivation derjenigen Männchen zu erforschen, die die Nähe eines Artgenossen suchen, der den einen oder den anderen Gesangstyp verkörpert.

Der Artikel „Is syllable repetitions a song parameter important for male-male interactions in Eurasian reed warbler (Acrocephalus scirpaceus)?“ von Alžbeta Darolová, Ján Krištofík, Lucia Rubáčová, Felix Knauer und Herbert Hoi wurde in „Biologia“ veröffentlicht.


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Community-Projekt StadtWildTiere erlaubt unbekannte Einblicke in die Welt von städtischen Wildtieren

Beginnend in Zürich (Schweiz) wurde das Projekt StadtWildTiere seither auf insgesamt 13 Städte in – einschließlich Wien und Berlin – Österreich, Deutschland und der Schweiz ausgeweitet. Auf einer gemeinsamen Online-Plattform werden Beobachtungen zufälliger Begegnungen mit Wildtieren in städtischer Nachbarschaft gesammelt. In Österreich kann über die Website stadtwildtiere.at gemeldet werden. Eine soeben veröffentlichte internationale Studie unter Beteiligung der Veterinärmedizinischen Universität Wien untersuchte nun den Nutzen dieser länderübergreifenden Initiative.

StadtWildTiere sammelt Sichtungen von Wildtieren in Städten, um das Bewusstsein der Einwohner:innen für die biologische Vielfalt in städtischen Gebieten in ganz Mitteleuropa zu schärfen. Zudem dient die Sammlung von Daten als Grundlage für wissenschaftliche Analysen. Weiters sollen mit Hilfe des durch die Bürger:innen gesammelten Wissens die Natur und Biodiversität in städtischen Gebieten gefördert werden.

Klimawandel, Wechselwirkungen: Community-Projekt deckt Verborgenes erstmals auf

Die Stadtökologie ist noch ein junges Feld und städtische Wildtierpopulationen standen bisher nicht im Fokus von Studien. „StadtWildTiere ermöglicht es uns, bisher verborgene Muster und zeitliche Trends zu erkennen, z. B. im Rahmen der städtischen Verdichtung und des Wärmeinseleffekts, insbesondere im Hinblick auf den Klimawandel. Damit kann die Initiative auch als Sensor für die zukünftigen Wechselwirkungen zwischen Mensch und Wildtieren dienen“, erklärt Studien-Coautorin Theresa Walter vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Vetmeduni.

Wichtige Grundlagen für Entscheidungen auf politischer Ebene

Langfristig schlagen die Wissenschafter:innen vor, dass Projekte wie StadtWildTiere eine Basis für ein vergleichendes, internationales Monitoring schaffen sollten, um die bestehenden Wissenslücken über städtische Wildtierpopulationen zu schließen. Die daraus gewonnenen Daten weisen laut Studien-Coautor Richard Zink vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) der Vetmeduni weit über die Wissenschaft hinaus: „Dieses Wissen ist auch für politische Entscheidungsträger:innen und Wildtiermanager:innen von entscheidender Bedeutung, um die richtigen Strategien und Maßnahmen zu etablieren. Insbesondere betrifft das auch die Frage, wie sich die biologische Vielfalt in Städten wirksam verbessern lässt.“

Der Artikel „StadtWildTiere – added value and impact of transnational urban wildlife community science projects“ von Madeleine Geiger, Anouk Lisa Taucher, Sandra Gloor, Mirco Lauper, Sarah Kiefer, Sophia E. Kimmig, Janette Siebert, Theresa Walter, Richard Zink, Fabio Bontadina und Daniel Hegglin wurden in „Frontiers in Ecology and Evolution“ veröffentlicht.


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StadtWildTiere Österreich

EUFLYNET: eine COST-Aktion zur Erforschung und Erhaltung von ziehenden Landvögeln

Die Zahl der Zugvögel, insbesondere derjenigen, die nach Afrika südlich der Sahara fliegen, geht in ihrem gesamten Verbreitungsgebiet zurück. Die Erhaltung dieser Arten stellt aufgrund der großen geografischen Ausdehnung ihrer Lebensräume eine gewaltige Herausforderung dar. Um diese Vögel wirksam zu schützen, ist es von entscheidender Bedeutung, die Herausforderungen zu verstehen, denen sie nicht nur in ihren Brutgebieten, sondern auch entlang ihrer Zugrouten und in ihren Überwinterungsgebieten begegnen. Bedauerlicherweise ist unser Wissen oft durch unzureichende Forschungsmöglichkeiten in einem Großteil ihres Verbreitungsgebiets begrenzt. Um diese Lücke zu schließen, ist es notwendig, ein solides Netzwerk kollaborativer Untersuchungen entlang der Zugrouten einzurichten und die Forschungskapazitäten in den Gebieten, in denen sie derzeit unzureichend sind, zu erweitern. Anschließend müssen die wichtigsten Interessengruppen einbezogen werden, um die Erhaltungsmaßnahmen zu verwirklichen.

Mit der Initiierung der COST-Aktion EUFLYNET unter der Leitung von Dr. Ivan Maggini vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung an der Vetmeduni wurde ein wichtiger Schritt getan. Die von der EU finanzierte COST-Aktion (Collaboration for Science & Technology) zielt darauf ab, die Vernetzung und den Wissenstransfer zu fördern. Das im Oktober 2023 gestartete EUFLYNET wird vier Jahre lang die Forschung koordinieren und den Wissensaustausch zwischen Wissenschaftler:innen erleichtern, die ein breites Spektrum europäischer Zugvogelarten untersuchen. Das Netzwerk hat bereits 160 Mitglieder aus 37 Ländern und ist für den weiteren Ausbau gerüstet. Die erste persönliche EUFLYNET-Versammlung fand vom 28. Februar bis 1. März 2024 in Jastarnia (Polen) statt. Etwa 100 Teilnehmer:innen berieten über gemeinsame Vorhaben und erhielten Schulungen zu einschlägigen Themen wie statistische Modellierung, Radiotracking und Analyse von Tracking-Daten. Wir sind auf die nächsten Maßnahmen im Rahmen dieser wichtigen Aktion überaus gespannt! Weitere Informationen finden Sie auf der Website der Aktion: www.euflynet.eu.

Wiener Forschungsteam entwickelt neuen Test, um die kognitiven Fähigkeiten von Fischen zu untersuchen

Der ostafrikanische Tanganjikasee ist weltweit für seine bunten Zierfische bekannt. Die Prinzessin von Tanganjika See (Neolamprologus pulcher), einer der beliebtesten dieser kleinen Buntbarsche, wurde nun von einen Wissenschaftsteam der Veterinärmedizinischen Universität Wien untersucht. Ziel war die erstmalige Entwicklung eines einfachen Tests, um die kognitiven Fähigkeiten für ein breites Spektrum von Fischen in ihrem natürlichen Lebensraum zu erforschen.

Die kognitiven Fähigkeiten variieren innerhalb und zwischen den Arten. Wissenschafter:innen schlagen mehrere Hypothesen vor, um diese Variation zu erklären. Zwei der bekanntesten Hypothesen zur Evolution der Kognition stellen einerseits die zunehmende soziale Komplexität und andererseits die Komplexität des Lebensraums mit höheren kognitiven Fähigkeiten in Zusammenhang.

Mehrere Studien haben die aus diesen beiden Hypothesen abgeleiteten Vorhersagen getestet, doch nur selten unter natürlichen Bedingungen mit Wildtieren und überhaupt nicht anhand von freilebenden Fischen. „Dies ist jedoch von besonderer Bedeutung, wenn wir kognitive Fähigkeiten mit fitnessrelevanten Faktoren verknüpfen wollen, um die Evolution der Kognition besser zu verstehen“, betont Studien-Erstautor Arne Jungwirth vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) der Veterinärmedizinischen Universität Wien.

Erster Test zur Untersuchung der kognitiven Fähigkeiten von Fischen in ihrem natürlichen Lebensraum

Die größte Hürde bei der Bewertung der kognitiven Fähigkeiten in freier Wildbahn bestand bisher laut den Forscher:innen darin, einen geeigneten Aufbau zu finden, der unter Feldbedingungen einfach zu handhaben ist. Als Ziel setzte sich das Forschungsteam einen möglichst einfachen Test, der außerdem bei einer Vielzahl von Fischen in ihrem natürlichen Lebensraum eingesetzt werden kann.

Wie dies gelang, erklärt Studien-Letztautor Stefan Fischer vom KLIVV: „Wir entwickelten einen Umweg-Test, bei dem die Fische um ein Hindernis herumschwimmen mussten, damit sie eine Futterbelohnung erreichen.“ Indem die Verhaltensforscher:innen den Schwierigkeitsgrad der Aufgabe veränderten, bestätigten sie, dass dieses Verfahren ein gültiger Test ist um die kognitiven Fähigkeiten von wild lebenden Gruppen von Neolamprologus pulcher zu untersuchen.

Hypothesenprüfung bringt uneinheitliche Ergebnisse

Anschließend überprüften sie die spezifischen Vorhersagen der beiden Haupthypothesen zur kognitiven Entwicklung unter Verwendung der schwierigsten Testkonfiguration. „Insbesondere untersuchten wir die Unterschiede in den kognitiven Fähigkeiten von Gruppen unterschiedlicher Größe, die unterschiedlich komplexe Lebensräume bewohnen. Beide Hypothesen ließen sich im Rahmen dieser ersten Pilotstudie jedoch nicht eindeutig verifizieren“, so Arne Jungwirth. Allerdings betonen die Wissenschafter:innen, dass die von ihnen entwickelte Versuchsanordnung die Möglichkeit eröffnet, eine ganze Reihe von Forschungsfragen zu beantworten. Dazu Stefan Fischer: „Wir erwarten, dass der von uns entwickelte Test zu einem besseren Verständnis der Evolution kognitiver Fähigkeiten in der freien Natur beiträgt.“

Der Artikel „Estimating Cognitive Ability in the Wild: Validation of a Detour Test Paradigm Using a Cichlid Fish (Neolamprologus pulcher)“ von Arne Jungwirth, Anna Horsfield, Paul Nührenberg und Stefan Fischer wurde in „Fishes“ veröffentlicht.

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Quecksilber gefährdet Giftfrosch-Nachwuchs in Amazonien

Quecksilber ist ein Umweltschadstoff, der aufgrund seiner Toxizität und der Risiken für wild lebende Tiere und die menschliche Gesundheit weltweit Anlass zu Besorgnis gibt – das betont auch die Weltgesundheitsorganisation WHO. Das Umweltgift findet sich gerade auch an abgelegenen, naturbelassenen Orten wie dem Amazonas und gefährdet die dortige Tierwelt. Das zeigt eine aktuelle internationale Studie unter Leitung des Konrad-Lorenz-Instituts für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) der Veterinärmedizinischen Universität Wien anhand des Giftfrosches Dendrobates tinctorius.

Der handwerkliche Goldabbau (Artisanal and small-scale gold mining; ASGM) ist zu einer großen Bedrohung für die südamerikanischen Wälder geworden. Diese Technik der Goldgewinnung ist eine wesentliche Ursache für die Entwaldung in kleinem Maßstab und der größte Verursacher von Quecksilber-Emissionen in die Atmosphäre und in Süßwassersysteme weltweit. Frühere Studien haben bereits die Auswirkungen der Quecksilber-Akkumulation auf verschiedene aquatische Ökosysteme und Organismen aufgezeigt. Die Folgen für andere Systeme wie kleine wasserspeichernde Pflanzenstrukturen (Phytotelmata) und die darin lebenden Organismen blieben jedoch bisher unbemerkt.

Aquatische Kinderstuben von Dendrobates tinctorius im Fokus

Ein vom KLIVV der Vetmeduni geleitetes Forschungsteam (Studien-Erstautorin Lia Schlippe-Justicia; Studien-Letztautorin Bibiana Rojas) untersuchte diese Thematik nun in Französisch-Guyana am dort beheimateten Pfeilgiftfrosch Dendrobates tinctorius. Im Fokus standen dabei Phytotelmata. Dies sind kleine Tümpel, beispielsweise im Wurzelbereich von Pflanzen, sowie andere aquatische Mikroumgebungen, z. B. Wasser in Dosen, die von Menschen weggeworfen wurden.

Hohe Quecksilber-Belastungen von klein auf

In diesen typischen Aufzuchtstätten der Kaulquappen von Dendrobates tinctorius fanden die Forscher:innen hohe Quecksilber-Konzentrationen. „In 17 % der Fälle konnten wir sehr hohe Quecksilber-Konzentrationen vor allem in der Nähe zu bekannten ASGM-Standorten nachweisen. Allerdings konnten wir keinen Einfluss der Quecksilber-Konzentration auf die Anzahl der Kaulquappen in einem bestimmten Tümpel feststellen“, so Lia Schlippe-Justicia. Kaulquappen wurden zudem in Tümpeln mit extrem hohen Konzentrationen von bis zu 8,68 ppm gefunden, was laut Schlippe darauf schließen lässt, dass „D. tinctorius-Väter Tümpel mit hohen Quecksilber-Konzentrationen für die Kaulquappenablage nicht zu meiden scheinen.“

Negative Auswirkungen auf die körperliche Entwicklung

Eine deutlich negative Auswirkung auf die Amphibien konnte das Forschungsteam ebenfalls dokumentieren, wie Bibiana Rojas berichtet: „Kaulquappen wiesen in späteren Entwicklungsstadien eine schlechtere Körperkondition auf, wenn sie in Tümpeln mit höheren Quecksilber-Konzentrationen aufwuchsen. Dies unterstreicht die Notwendigkeit weiterer Feld- und experimenteller Studien, die die Auswirkungen der Quecksilber-Kontamination auf die Entwicklung und das Verhalten der Kaulquappen sowie die allgemeine Erhaltung der biologischen Vielfalt in Amazonien untersuchen.“

Der Artikel „Poison in the nursery: Mercury contamination in the tadpole-rearing sites of an Amazonian frog“ von Lia Schlippe-Justicia, Jérémy Lemaire, Carolin Dittrich, Martin Mayer, Paco Bustamante und Bibiana Rojas wurde in „Science of the Total Environment“ veröffentlicht.

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Mast vor Vogelwanderungen verändert die Immunität von Zugvögeln

Während ihren Wanderungen sind Zugvögel zahlreichen Krankheitserregern ausgesetzt. Ein funktionierendes Immunsystem ist deshalb bei ihren Flügen in neue Umgebungen von entscheidender Bedeutung. Allerdings ist die Immunität energetisch kostspielig und steht in Konkurrenz zu anderen wichtigen physiologischen Prozessen. In einer aktuellen Studie untersuchten Forscher:innen der Veterinärmedizinischen Universität Wien anhand von Wachteln, inwieweit bereits die Mast vor den Vogelwanderungen die angeborene Immunität beeinflusst.

Wissenschaftlich belegt ist der Umstand, dass die Immunität von Vögeln bei ihren anstrengenden, oft tausende Kilometer weiten Zugflügen häufig geschwächt wird. Weitgehend unbekannt ist bisher jedoch, ob und wie sich die Immunität während der schnellen Anhäufung von Energiespeichern zur Vorbereitung auf die Migration verändert.

Forscher:innen der Vetmeduni und der Poznań University of Life Science in Polen untersuchten dies nun anhand von Wachteln (Coturnix coturnix). Dazu lösten die Forscher:innen durch kontrollierte Veränderungen des Tageslichts eine prämigratorische Mästung aus und untersuchten regelmäßig die Veränderungen bei drei Markern der angeborenen Immunität – Leukozyten-Coping-Kapazität (LCC), Hämagglutinations- sowie Hämolyse-Titer. Zusätzlich wurde die Körperzusammensetzung, und zwar Magermasse und Fettmasse, gemessen.

Wichtige Immunindikatoren ändern sich während der Mastphase deutlich

Alle drei Marker zeigten ähnliche Veränderungen im Verlauf der prämigratorischen Mästung. Dazu Studienerstautor Marcin Tobolka vom Department für Zoologie der Poznań University of Life Science: „Die LCC-Antworten, die Hämagglutinations- und die Hämolyse-Titer waren in der mittleren Mastphase im Durchschnitt höher als in der Hochmastphase, hier waren die Werte ähnlich hoch wie vor Beginn der prämigratorischen Ausmast. In der mittleren Mastphase stellten wir fest, dass die Vögel, die einen größeren Fettanteil aufwiesen, niedrigere LCC-Spitzenwerte und Hämolysetiter hatten. Umgekehrt wiesen zu diesem Zeitpunkt der Mast die Vögel mit einem höheren Anteil an Magermasse die höchsten LCC-Spitzenwerte auf.“

Laut den Wissenschafter:innen deuten die Ergebnisse darauf hin, dass sich die Immunindikatoren von Zugvögeln innerhalb eines Zeitraums von acht Wochen ändern, wenn sie Energievorräte für die Migration ansammeln. „Wir vermuten, dass dies auf konkurrierende oder gegensätzliche Prozesse zwischen der Umgestaltung des Stoffwechsels und der Funktion des angeborenen Immunsystems zurückzuführen sein könnte“, erklärt Valeria Marasco vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie.

Wesentlicher Einfluss auf das angeborene Immunsystem

Dass der Prozess der prämigratorischen Mast mit ähnlichen dynamischen Veränderungen der LCC-Spitzenwerte sowie der Hämagglutinations- und Hämolyse-Titer verbunden ist, ist laut den Wissenschafter:innen von großer Bedeutung. Denn diese drei Immunindikatoren sind integrale Bestandteile des angeborenen Immunsystems, das schnell und wirksam gegen ein breites Spektrum von Krankheitserregern vorgeht, auch ohne vorherige Exposition. „Dieser Aspekt ist im Zusammenhang mit der Migration von Tieren von entscheidender Bedeutung, da die Fähigkeit, schnell auf verschiedene Bedrohungen zu reagieren, für die Fitness entscheidend ist“, betont Marasco. Laut den Studienautor:innen sind nun weitere Studien erforderlich, um detaillierte Informationen über den Umbau des Immunsystems während der energetisch anspruchsvollsten Phasen im Lebenszyklus von Zugvögeln zu erhalten.               

Der Artikel „Controlled expression of avian pre-migratory fattening influences indices of innate immunity“ von Marcin Tobolka, Zuzanna Zielińska, Leonida Fusani, Nikolaus Huber, Ivan Maggini, Gianni Pola, Valeria Marasco wurde in „Biology Open“ veröffentlicht.
 

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Nacktmulle und ihre molekularen Tricks Alter und Krebs zu bremsen

Aufgrund ihrer hohen Lebenserwartung eignen sich Nacktmulle besonders gut, um Mechanismen, die die Zellfunktionen aufrechterhalten und die Alterung verlangsamen, zu erforschen. Diese Ergebnisse könnten relevant sein, um die Alterung und die Entstehung von Krebs beim Menschen weiter zu beleuchten. Eine internationale Studie unter Beteiligung der Veterinärmedizinischen Universität Wien (Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung; KLIVV) liefert nun anhand der Nacktmulle und ihres Darmtrakts wichtige neue Erkenntnisse, wie adulte Stammzellen auf die langfristige Gewebeerhaltung wirken.

Nacktmulle (Heterocephalus glaber) sind ganz besondere Säugetiere. Die maximal 15 Zentimeter kleinen Tiere leben in großen unterirdischen Bauten und Kolonien von bis zu 300 Tieren in den Halbwüsten Ostafrikas und sind die einzige Art der Gattung Heterocephalus. Sie sind nicht nur äußerst sozial, auch ihre Lebenserwartung ist ungewöhnlich hoch und übertrifft die anderer Nagetiere deutlich. Aufgrund dieser Eigenschaft bieten sie Wissenschafter:innen eine einzigartige Gelegenheit zu erforschen, wie die Evolution die Aktivität adulter Stammzellen (ASC) und die Gewebefunktion mit zunehmender Lebenserwartung beeinflusst hat.

Bei Säugetieren und anderen multizellulären Organismen erfordert die langfristige Aufrechterhaltung der Gewebehomöostase eine strenge Regulierung der Aktivität der adulten Stammzellen, um eine effiziente Reparatur und Regeneration zu gewährleisten. In Säugetiergeweben mit hohem Umsatz wie dem Darm wird das Gleichgewicht in erster Linie durch die kontinuierliche Teilung und Differenzierung der ASC und den anschließenden Zelltod (Apoptose) der reifen Zellen gesteuert. Das längere Überleben von ASC setzt sie einem erhöhten Risiko für Mutationen aus und verringert ihre Fitness, was sich im Alter und bei Krankheiten wie Krebs zeigt.

Darmtrakt mit zahlreichen zellulären Besonderheiten

Vor diesem Hintergrund untersuchte das Wissenschaftsteam den Darmtrakt von Nacktmullen und verglich ihre Darm-ASCs (Lgr5+) mit denen von Mäusen und Menschen. Dazu Dustin J. Penn vom KLIVV der Vetmeduni: „In vivo fanden wir bei Nacktmullen einen erweiterten Pool von Lgr5+-Zellen. Diese Zellen weisen speziell an der Kryptenbasis (Lgr5+CBC) im Vergleich zu denen von wilden Hausmäusen langsamere Teilungsraten auf, haben aber einen ähnlichen Umsatz wie menschliche Lgr5+CBC-Zellen. Anstatt in die Ruhephase (G0) einzutreten, reduzieren die Lgr5+CBC-Zellen von Nacktmullen ihre Teilungsraten durch eine Verlängerung der G1- und/oder G2-Phasen des Zellzyklus.“

Darüber hinaus beobachteten die Forscher:innen einen höheren Anteil differenzierter Zellen in Nacktmullen, die der Darmschleimhaut einen besseren Schutz und eine bessere Funktion verleihen. „Die Darmschleimhaut von Nacktmullen ist in der Lage, jedes chemische Ungleichgewicht in der Darm-Umgebung effizient zu erkennen und eine robuste pro-apoptotische, anti-proliferative Reaktion innerhalb der Stamm-/Progenitorzellzone auszulösen“, erklärt Studien-Co-Autor Dustin J. Penn vom KLIVV der Vetmeduni.

Weniger Krebs: Evolutionäre Anpassungen verringern das Auftreten altersbedingter Erkrankungen

Ihre Studie zur Charakterisierung des Darmtrakts von Nacktmullen ergänzt laut den Forscher:innen die wachsende Zahl von Belegen, dass diese bemerkenswerten Tiere einzigartige Anpassungen entwickelt haben, die eine langfristige Aufrechterhaltung der Gewebehomöostase ermöglichen und – als sekundäre Folge – das Auftreten von altersbedingten Krankheiten wie Krebs verringern. Die Entwicklung einer größeren Reserve von ASC in allen Gewebetypen bei Nacktmullen erleichtert die effiziente Erhaltung des Gewebes in einer Umgebung mit hohem oxidativem und mechanischem Stress, verringert die Wahrscheinlichkeit der Fixierung schädlicher Mutationen aufgrund einer verstärkten Selektion gegen schädliche Varianten und verlangsamt die klonale Expansion, die beim Altern zu beobachten ist. Die niedrigeren ASC-Teilungsraten im Darm von Nacktmullen – wie beim Menschen – verhindern zudem wahrscheinlich eine proliferative Erschöpfung der ASC, was für eine höhere Lebenserwartung erforderlich ist.

Der Artikel „Adult stem cell activity in naked mole rats for long-term tissue maintenance“ von Shamir Montazid, Sheila Bandyopadhyay, Daniel W. Hart, NanGao, Brian Johnson, Sri G. Thrumurthy, Dustin J. Penn, Bettina Wernisch, Mukesh Bansal, Philipp M. Altrock, Fabian Rost, Patrycja Gazinska, Piotr Ziolkowski, Bu’Hussain Hayee, Yue Liu, Jiangmeng Han, Annamaria Tessitore, Jana Koth, Walter F. Bodmer, James E. East, Nigel C. Bennett, Ian Tomlinson und Shazia Irshad wurde in „Nature Communications“ veröffentlicht.

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Schwanzwedeln – klares Zeichen mit unklarem Ursprung

Hunde zeigen durch Wedeln Sympathie und Freude. Doch wie hat sich das rhythmische Hin und Her des Hundeschwanzes entwickelt? Die Antwort ist alles andere als eindeutig. Denn das Schwanzwedeln ist ein auffälliges, aber wissenschaftlich schwer fassbares Verhalten. Bisher wurden ihm wissenschaftlich unterschiedliche Bedeutungen zugeschrieben, was zu fragmentarischen und widersprüchlichen Antworten führte. Eine soeben im Fachjournal Biology Letters veröffentlichte internationale Review-Studie unter Beteiligung des Konrad-Lorenz-Instituts für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) der Veterinärmedizinischen Universität Wien zeigt diese Problematik auf – und liefert gleichzeitig neue Erklärungsansätze, um endlich einen strukturierten theoretischen Rahmen zu entwickeln.

In ihrer Review fassen die Studienautor:innen die bestehenden Forschungsarbeiten zu den Mechanismen, der Entwicklung, der Evolution und der Funktion des Schwanzwedelns bei Haushunden (Canis familiaris) zusammen und zeigen auf, wo die Ergebnisse konvergieren oder divergieren. Als Lösung dieser Diskrepanz schlagen die Wissenschafter:innen vor, dieses Verhalten von seinen evolutionären Wurzeln her zu untersuchen.

Zwei neue Hypothesen zur Erklärung, wie das Schwanzwedeln entstand

Dazu stellen sie zwei Hypothesen auf, die sein häufigeres Auftreten im Vergleich zu anderen, nahe verwandten Hundeartigen (Caniden) wie Wölfen erklären sollen. Demnach könnte das Schwanzwedeln während des Domestizierungsprozesses auf zwei Wegen entstanden sein: Entweder als Nebenprodukt der Selektion für andere Eigenschaften, wie z. B. Gelehrigkeit, oder als eine Eigenschaft, die direkt vom Menschen ausgewählt wurde, der sich von sich wiederholenden und rhythmischen Bewegungen angezogen fühlt.

Giulia Cimarelli und ihre Kolleg:innen vom Domestikations-Lab (KLIVV) der Vetmeduni sehen dies als wichtigen Ausgangspunkt neuer Studien: „Wir laden dazu ein, diese Hypothesen durch neurokognitive Studien sowohl an Hunden als auch an Menschen zu testen und so nicht nur ein Schlüsselverhalten von Hunden, sondern auch die Evolutionsgeschichte charakteristischer menschlicher Eigenschaften, wie die Vorliebe für und die Wahrnehmung und Erzeugung von rhythmischen Reizen, zu beleuchten.“

Ein Paradebeispiel der Hund-Mensch-Kommunikation

Haushunde sind die am weitesten verbreiteten Fleischfresser der Welt: Mit einer geschätzten Population von einer Milliarde sind sie fast überall vertreten, wo Menschen leben. Durch das enge Zusammenleben interagieren Menschen in vielen Zusammenhängen direkt mit Hunden und müssen verschiedene Signale verwenden, um effektiv zu kommunizieren. Visuell liefern insbesondere die Position und das Wedeln des Schwanzes leicht zu beobachtende Informationen, die der Mensch nutzt, um auf den inneren Zustand des Hundes zu schließen. „Das Schwanzwedeln ist wohl eine der auffälligsten Verhaltensweisen von Tieren, die der Mensch beobachten kann“, so Giulia Cimarelli.

Der Artikel „Why do dogs wag their tails?“ von Silvia Leonetti, Giulia Cimarelli, Taylor A. Hersh und Andrea Ravignani wurde in „Biology letters“ veröffentlicht.  

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Erfolgreiche Vogel-Flirts: Weniger ist mehr

Balzen will gelernt sein und am erfolgreichsten sind nicht unbedingt die größten Angeber. Alternative Flirt-Strategien sind durchaus erfolgsversprechend. Zum Beispiel macht subtiles, spielerisches Verhalten wie eine vordergründige Schüchternheit neugierig und kann bei potenziellen Sexual-Partnerinnen das Interesse erhöhen. Was sehr menschlich klingt, analysierte nun eine aktuelle Studie des Konrad-Lorenz-Instituts für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) der Veterinärmedizinischen Universität Wien anhand der Vogelbalz. Veröffentlicht wurde die Review in der renommierten britischen Fachzeitschrift „Proceedings of the Royal Society B“.

Für ihre Forschungsarbeit analysierte das dreiköpfige Wissenschaftler-Team bereits veröffentlichte Studien zur Vogelbalz. Demnach dominiert in der Forschung zur sexuellen Selektion die Vorstellung, dass bei der Partnerwahl die stärksten, beeindruckendsten und ausgefallensten Balzhandlungen zum Erfolg führen – diese würden die Qualität des Braut-Werbenden am besten widerspiegeln.

Subtil schlägt brachial

Laut den Verhaltensforschern ist die Balz allerdings oft zeitlich strukturiert und enthält verschiedene Elemente mit unterschiedlichem Grad an Intensität und Auffälligkeit. „So sind zum Beispiel sehr intensive Bewegungen oft mit subtileren Komponenten wie statischen Körperhaltungen oder Versteckspielen gekoppelt“, erklärt Thomas MacGillavry.  In diesem Zusammenhang bezeichnen die Wissenschaftler solche subtilen Darstellungsmerkmale als „schüchtern“, da sie Informationen über die maximalen Darstellungsfähigkeiten zurückhalten.

Drei Hypothesen zum Erfolgsgeheimnis der gefiederten „Shy guys“

Das Forschungsteam untersuchte die Rolle von Intensitätsvariationen innerhalb zeitlich dynamischer Darbietungen und präsentiert drei Hypothesen für die Evolution von „scheuem“ Balzverhalten. Dazu Giovanni Spezie: „Zunächst gehen wir auf die Hypothese der Bedrohungsreduktion ein, die auf sexuellen Zwang und sexuelle Autonomie als wichtige Aspekte der sexuellen Selektion hinweist. Dann schlagen wir vor, dass Variationen in der Größe der Darstellung bereits bestehende Wahrnehmungsvorlieben für zeitliche Kontraste ausnutzen.“ Als dritte Hypothese formulieren die Wissenschaftler die Idee, dass das Zurückhalten von Informationen die Neigung der Empfänger ausnutzen kann, Informationslücken zu füllen – dieses Phänomen nennen sie „curiosity bias“, also das Wecken von Neugier bei den potenziellen Sexual-Partnerinnen.

Neue Denkanstöße für ein besseres Verständnis des Balzverhaltens

„Ähnlich wie in der menschlichen Musik oder im Theater können Balzvorführungen echte Darbietungen sein, bei denen verschiedene Elemente zusammenwirken, um das Publikum zu verführen, Spannung aufzubauen, zu überraschen und zu erregen. Die Art und Weise, wie sich solche Darbietungen im Rahmen einer Balz entfalten, stellt eine vielversprechende und neue Richtung für die Erforschung des Balzverhaltens dar“, so Leonida Fusani, Leiter des Konrad-Lorenz-Instituts für Vergleichende Verhaltensforschung der Vetmeduni. Dass solche Aspekte bislang in der Forschung unterrepräsentiert sind, liegt laut den Wissenschaftlern daran, dass Verhaltensweisen in der Verhaltensforschung traditionell in ihre Bestandteile zerlegt und nicht gesamthaft gesehen werden – eine Analyse, die möglicherweise eben nicht den tatsächlichen Wechselwirkungen während einer Balz entspricht.

Der Artikel „When less is more: coy display behaviours and the temporal dynamics of animal courtship“ von Thomas MacGillavry, Giovanni Spezie und Leonida Fusani wurde in „Proceedings of the Royal Society B“ veröffentlicht.
 

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Fotos: Dominic Chaplin

Unterbringung von Mäuseweibchen verändert die Anziehungskraft der männlichen Balzgesänge

Männliche Hausmäuse erzeugen komplexe Ultraschalltöne (ultrasonic vocalizations, USVs), insbesondere während der Balz und der Paarung. Diese Laute ähneln dem Vogelgesang, obwohl wir sie nicht hören können, weil sie oberhalb des Frequenzbereichs des menschlichen Gehörs liegen (>20 kHz). Diese männlichen Balzgesänge kommen gut an, allerdings nur wenn Weibchen nicht allein sind. Das zeigt eine aktuelle Studie des Konrad-Lorenz-Instituts für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) der Vetmeduni.

In ihrer Studie führten die Wissenschafter:innen ein Playback-Experiment mit wild lebenden weiblichen Hausmäusen (Mus musculus musculus) durch. Sie ließen die Mäuseweibchen zwischen einem Bereich mit einem Lautsprecher, der Aufnahmen von männlichen USVs abspielte, und einem anderen Bereich mit einer Kontrollaufnahme ohne männliche USVs wählen.

Dabei wurde getestet, ob die Anziehungskraft der Weibchen auf männliche USVs durch drei Faktoren beeinflusst wird: soziale Erfahrung – dazu wurden die Weibchen allein oder mit einem anderen Weibchen gehalten, neonatale väterliche Exposition – nach der Geburt wurden die Weibchen mit oder ohne ihren Vater aufgezogen, sowie sexuelle Empfänglichkeit – die Wissenschafter:innen kontrollierten während der Studie, ob die Weibchen in Brunst waren oder nicht. Frühere Studien deuten darauf hin, dass sich Mäuseweibchen aufgrund dieser drei Faktoren von männlichen USVs unterschiedlich stark angezogen fühlen.

Frauenrunden wirken positiv, Vaterbeziehung spielt keine Rolle

„Wir stellten fest, dass sich die Weibchen zu männlichen USVs hingezogen fühlten. Allerdings nur, wenn sie mit einem anderen Weibchen zusammen untergebracht waren. Einsame Weibchen, die einzeln untergebracht waren, zeigten die entgegengesetzte Reaktion und schienen männliche USVs sogar zu meiden. Es ist unklar, warum die Einzelunterbringung der Weibchen ihre Vorlieben für männliche Balzgesänge umkehrte. Allerdings könnten sie dadurch vorsichtiger sein, wenn sie sich einem unbekannten Männchen nähern,“ erklärt  Sarah M. Zala vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) der Vetmeduni

„Zudem fanden wir heraus, dass die Weibchen männliche USVs stärker bevorzugten, wenn sie nicht in Östrus (die Brunst bei Mäusen) waren, und insbesondere, wenn die Weibchen nicht in Östrus und nicht einzeln untergebracht waren“, erklärt Co-Autor Dustin Penn vom KLIVV. "Dieser Brunst-Effekt stimmt mit einer früheren Studie an Labormäusen überein", betont er, "aber wir haben keine Erklärung dafür." Schließlich hatte die frühe Exposition gegenüber einem Vater keinen Einfluss auf die Vorliebe der Weibchen für männliche USVs.

Soziale Erfahrung und Sexualzyklus machen den Unterschied

In Summe deuten die Forschungsresultate darauf hin, dass die Anziehungskraft der Weibchen auf männliche USVs von ihrer sozialen Erfahrung (Unterbringung) und dem Östrus-Stadium – also ob die Weibchen in Brunst sind oder nicht – abhängt. Diese Ergebnisse dürften die Erforschung der genetischen Kontrolle von Hörverlust erleichtern, die häufig mit Labormäusen durchgeführt wird. Lauten den Forscher:innen zeigen die Studienergebnisse, wie scheinbar unwichtige Faktoren wie die soziale Unterbringung und der Sexualzyklus das Verhalten von Mäusen beeinflussen können, obwohl diese und viele andere derartige Variablen in der Regel nicht in wissenschaftlichen Arbeiten erwähnt werden. Diese Ergebnisse geben Anlass zur Sorge, dass nicht berichtete Variablen möglicherweise zur "Replikationskrise" in der Wissenschaft beitragen.

Der Artikel „Attraction of female house mice to male ultrasonic courtship vocalizations depends on their social experience and estrous stage“ von Jakob Beck, Bettina Wernisch, Teresa Klaus, Dustin J. Penn und Sarah M. Zala wurde in „PLOS ONE“ veröffentlicht.

Wissenschaftlicher Artikel

2023-10-30