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  • Alumni-Porträts
Vorhang auf für Ihre Karriere!

Absolvent:innen der Vetmeduni als Interviewpartner:innen gesucht!

Verraten Sie uns mehr über Ihren Berufseinstieg, Ihre Stationen, Ihre (Um)Wege und Ihre Motivation. Unsere Studierenden und Leser:innen freuen sich, wenn Sie uns teilhaben lassen an Ihren Erfahrungen.
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Unsere Alumni im Gespräch:

Claudia Amort

In mir ist immer noch eine Wissenschaftlerin

Claudia Amort (25) arbeitet als medizinische Illustratorin. Die Südtirolerin studierte Biomedizin an der Vetmeduni und im Master Scientific Illustration. Im Interview erzählt die Alumna, wie sie sich als Selbständige organisiert und im Job künstlerische Freiheit und Konventionen zusammenspielen.

Steckbrief:

Fachgebiet: Medizinische Illustration
Position: selbständige Illustratorin bei Studio Amort www.studioamort.com 
Derzeitiger Standort: Südtirol


Wordrap:

Ich war an der Vetmeduni ... von 2018 bis 2021
Mein Tipp an Absolvent:innen der Vetmeduni ... Sich Zeit nehmen, um herauszufinden, was sie machen möchten und verschiedene Sachen ausprobieren. Zudem Mut und Durchhaltevermögen, um den eigenen Weg zu gehen.
Mein Lieblingsort an der Vetmeduni ... das Biotop

VETMED: Wie haben Sie das Zeichentalent letztlich zum Beruf gemacht?

Claudia Amort: Ich habe schon als Kind gerne gezeichnet und mein erster Berufswunsch war Künstlerin. Ich wollte aber auch immer genau wissen, wie der Körper funktioniert. Nach der Matura habe ich mich zunächst dieser zweiten Leidenschaft zugewandt und Biomedizin an der Vetmeduni studiert. In meiner Freizeit habe ich weiter gezeichnet und auch im Bachelor gab es reichlich Gelegenheiten zum Beispiel bei Präsentationen – auch beim Lernen war ich immer sehr visuell, mit Mindmaps und kleinen Zeichnungen. Von dem Beruf, den ich jetzt mache, der Kunst und Wissenschaft verbindet, habe ich erst im vorletzten Semester erfahren.

VETMED: Was ist passiert und wie sah die weitere Ausbildung zur wissenschaftlichen Illustratorin aus?

Amort:  Bis zum 5. Semester war ich überzeugt davon, Forscherin zu werden. Der neue Traumberuf ist mir durch Zufall vor die Füße gefallen. Auf Social Media hat ein Mädchen von ihrem Studium in den USA erzählt und was sie da so macht. Klar, dass ich in der Nacht darauf Ausbildungen gesucht habe. Es gibt nicht so viele Schulen dafür, einige in den USA und in Kanada, in Großbritannien und eben in den Niederlanden. An der Zuyd Hogeschool in Maastricht hat mich der Fokus auf Mensch und Tier interessiert. Weil dort nur acht Studierende im Jahr betreut werden, kann das Studium gut an die eigene berufliche Zielsetzung angepasst werden. Das Aufnahmeverfahren war natürlich kompetitiv: mit einer Mappe, einem Interview und einem Praxisauftrag, der binnen zwei Tagen abzugeben war.

VETMED: Hat Sie das Bachelorstudium gut auf den Beruf vorbereitet? Was konnten Sie im Master ergänzen?

Amort: Ja, ich war fachlich gut vorbereitet, weil im Biomedizin Bachelor breit gefächert Themen angesprochen werden. Das hilft mir in meiner Arbeit. Nicht zu vergessen die Soft Skills: nach den vielen Präsentationen im Studium habe ich kein Problem damit, vor einer Gruppe von Menschen zu reden. Wir hatten auch Kurse für Zeitmanagement und als Studierende lernt man ja generell selber zu denken, Verantwortung zu übernehmen und sich auf die eigenen Fähigkeiten zu verlassen.

In Maastricht kam das Künstlerische dazu und auch das Unternehmerische: ein Budget erstellen, Rechnungen schreiben, Kunden finden, Marketing und Positionierung, aber auch der Umgang mit unzufriedenen Kund:innen. Wobei dabei haben mir vermutlich auch meine Ferialjobs in der Hotellerie geholfen. Da lernt man sich auf Leute einzustellen, Bedürfnisse zu erkennen und mit ihnen zu reden. Es braucht Durchhaltevermögen und ich habe mich an lange Arbeitszeiten gewöhnt.

VETMED: Was ist der Unterschied zwischen einer Zeichnung und einer medizinischen Illustration?

Amort: Am wichtigsten ist, dass was ich zeichne akkurat, detailgetreu und wissenschaftlich korrekt ist. Zudem gibt es Farbkonventionen, die zu beachten sind, um Wiedererkennbarkeit zu ermöglichen. So sind Muskeln und Arterien immer rot, Nerven gelb und Venen blau.

VETMED: Womit und wie arbeiten Sie, um diese Qualität sicherzustellen? 

Amort: Ich habe mir Zuhause einen Arbeitsraum eingerichtet und arbeite mit meinen Kund:innen viel remote. Ich nutze meinen Laptop, habe ein Zeichen-Tablet, arbeite aber auch traditionell mit Wasserfarben, Bleistift oder Ölfarben. Ich habe also vielfältige Materialien und Methoden am Start. Eine Zeichnung ist immer eine Interpretation der Realität, aber ich kann gut anhand von Fotos arbeiten. Die beste Quelle ist aber selbst zu sezieren. Das muss man gut beherrschen. Für manche Projekte muss ich vor Ort sein, etwa eine Operation mit eigenen Augen sehen. Das ist dann mehr wert als ein Video. Gleiches gilt, wenn über anatomische Zusammenhänge bei einem Tier noch nicht viel bekannt ist. Dann muss ich für mein fundiertes Verständnis auch selbst sezieren und nachsehen, wie das aussieht.

VETMED: Sie arbeiten als selbständige Illustratorin, was gefällt Ihnen daran?

Amort: Ich kann mein wissenschaftliches Interesse und Fachwissen mit jedem Auftrag weiter ausbauen, lerne immer weiter dazu. Das Tolle an meinem Job ist die Abwechslung. Für einige Wochen stürze ich mich in ein Projekt und dann kommt wieder etwas Neues. Zudem bin ich keine Frühaufsteherin und kann mir so meine Arbeitszeit frei einteilen. Zeichnen, E-Mails schreiben, Kundengespräche, Konferenzen und Workshops wechseln sich ab. Man muss dieses breite Spektrum natürlich auch wollen mit Kundengesprächen, Marketing, Flexibilität, Buchhaltung, Reisetätigkeit etc.

VETMED: „Empowering your science with my visual expertise“, ist der Slogan auf Ihrer Webseite. Welche Bedeutung messen Sie Ihrer Art der Wissenschaftskommunikation bei – gerade in Zeiten von Digitalisierung und Bewegtbild?

Amort: Ich halte medizinische Illustration für extrem wichtig und wertvoll. Wir Menschen sind einfach visuelle Lebewesen. Auch wenn wir einen Artikel lesen, würden wir zuerst auf ein Bild schauen und versuchen zu verstehen, worum es geht. Ich hole also die Leute ab und helfe, Wissenschaft sichtbar zu machen. Ein Bild ist zugänglich für alle und kann Sprachbarrieren und Wissensunterschiede überbrücken. Das unterstützt die Kommunikation der Forschungscommunity untereinander und informiert die Allgemeinheit z.B. wenn ich Illustrationen für Patient:innen zeichne. Sie können sich ein Bild machen, etwa von einer Therapiemethode. Sie sehen, was da passiert und ich kann ihnen ein Stück weit die Angst nehmen. Fotos einer Operation sind einfach nur abschreckend.

VETMED: Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben? Haben Sie Vorbilder?

Amort: Mein Studium in Wien hat sicher zu meinem Stil beigetragen - in mir ist immer noch eine Wissenschaftlerin und das sieht man in meiner Kunst. Ich arbeite sehr detailliert, wie das auch in der Forschung notwendig ist, mit sanften, pastelligen Farben. Das ist wohl eine Art europäischer Stil, eine visuelle Kultur. Als Vorbild sehe ich Leonardo da Vinci. Er hat selbst viel seziert, obwohl das zu seiner Zeit verpönt war – so wichtig war ihm der Wissensgewinn. Aber grundsätzlich will mich nicht zu viel beeinflussen lassen auf meinem eigenen Weg.

VETMED: Wer beauftragt Sie?

Amort: Meine Kund:innen kommen aus der Forschung, also Universitäten oder Instituten, wie z.B. der Vetmeduni. Ein weiterer Arbeitsbereich ist die Patient:innenaufklärung für Krankenhäuser und Arztpraxen. Und ich arbeite im Gesundheitsbereich und zeige etwa, wie Produkte wirken. Zudem halte ich Workshops z.B. am Naturhistorischen Museum Wien.

VETMED: Was machen Sie in einer Schaffenskrise?

Amort: Ich hatte zum Glück noch nie einen „Art Block“, war immer inspiriert genug. Als Selbständige, die sich ständig mit ihrer Arbeit beschäftigen könnte, finde ich es wichtig mir Zeit für Pausen und Freizeit gezielt einzuteilen. Zum Ausgleich für die Schreibtischarbeit gehe ich gerne klettern.

Das Interview hat Astrid Kuffner geführt.

Praktische Beispiele für die Illustrationen von Claudia Amort: 

Das Poster entwarf Alumna Amort für einen Facharzt und dient der Aufklärung von Patienten über die häufigsten Erkrankungen in der Gastroenterologie.

Für das Deutsche Krebsforschungsinstitut (DKFZ) erstellte Amort ein Hero-Bild für die Website einer Forschungsgruppe, das die zentralen Forschungsaspekte in der Genommedizin zusammenfasst.

Titelbild für das Wissenschaftsmagazin “Neuron” des ISTA – Institute for science and technology Austria zur Differenzierung von Neuronen im Superior Colliculus

Mithilfe von Illustrationen lässt sich komplexe Information besser anveranschaulichen. Amort hat für die Universität Wien eine Infografik für einen Presseartikel zur Formation von Material bei einem Wurm im Vergleich zu einem 3D-Drucker erstellt. 

Das UCC - University College Cork, Irland, nutzte die Expertise von Amort für eine Illustration im Rahmen einer Publikation über den Vergleich der Mikrobiota-Darm-Hirn-Achse bei Zebrafisch, Mensch und Nagetier. 

Werner Hagmüller

Selbstständigkeit statt Midlife Crisis

Um Tiergesundheit breit zu fördern, hat Werner Hagmüller mit 50 sein eigenes Beratungsunternehmen für Schweinehaltung gegründet. Der Sohn eines Milchviehbauern kam über die langjährige Beschäftigung mit biologischer Landwirtschaft vom Rind aufs Schwein und führt selbst einen kleinen Mastschweinebetrieb mit Direktvermarktung.

Steckbrief:

Fachgebiet: Schweinehaltung
Position: Betriebsberatung
Derzeitiger Standort: Oftering, OÖ


Wordrap:

Ich war an der Vetmeduni ... von 1992 bis 1999
Mein Tipp an Absolvent:innen der Vetmeduni ... Wenn man offen ist und den Weg auf sich zukommen lässt, ist das Tätigkeitsfeld für Veterinär:innen sehr breit gefächert.
Mein Lieblingsort an der Vetmeduni ... Die Wiese vor der Anatomie auf der alten Uni

VETMED: Vor eineinhalb Jahren haben Sie Ihr Beratungsunternehmen www.schweinekompetenz.at gegründet. Die Domain ist eine starke Ansage, wie kam es dazu?

Werner Hagmüller: Meine Beratungstätigkeit rund um Schweinehaltung, Stallbau, Fütterung und Management hat sich über viele Jahre entwickelt, da muss ich weiter ausholen. Ich bin in einem Milchviehbetrieb großgeworden und habe die HLBLA St. Florian absolviert. Mein Berufsziel war ursprünglich Großtierpraktiker für Rinder. Ich habe Veterinärmedizin studiert mit dem Wunsch in einem Fachgebiet richtig gut zu werden. Nach dem Abschluss hatte ich das Gefühl, sehr viel im Überblick, aber immer noch relativ wenig vertieft zu wissen. Das war ein bisserl frustrierend. Ich habe dann am Institut für biologische Landwirtschaft der HBLFA Raumberg Gumpenstein begonnen, zehn Jahre bei einem Kollegen in einer Großtierpraxis gearbeitet und meine Dissertation verfasst.

VETMED: Wie kam es dazu? Das klingt nach einem Umweg, um sich auf Schweine zu spezialisieren.

Hagmüller: Tatsächlich war ein Zufall ausschlaggebend für den weiteren Weg. Der Leiter des Instituts hat mich im Auto zu einem Rinderbesamungskurs mitgenommen und mir im Gespräch eine Teilzeitstelle am Institut und eine Doktorarbeit angeboten. Ich habe mich dann an der HBLFA viele Jahre wissenschaftlich mit biologischer Landwirtschaft beschäftigt, mich also hier intensiv weitergebildet und den Fachbereich alternative Schweinehaltung am Standort Wels etabliert. Als Tierarzt betrachte ich Tiergesundheit gesamthaft. Herkunft, Haltung, Stallbau, Fütterung, Management und viele weitere Faktoren wirken sich darauf aus. Aus dem spontanen Angebot wurden letztlich 25 Jahre, in denen ich ab 2014 das Institut geleitet habe.

VETMED: Was ist dann passiert?

Hagmüller: Ich bin 50 geworden. Da kaufen sich andere ein Motorradl. Ich habe 2023 aus meinem Arbeitsplatz im Bundesdienst in die Selbständigkeit gewechselt. Wir haben viele Jahre interessante und breitenwirksame Projekte zur Bioschweinehaltung abgeliefert, aber irgendwann geht dir der Schmäh aus. Ich hatte das Gefühl keine neuen Ideen mehr liefern zu können. Ich habe einen Cut gebraucht. Obwohl ich als Chef viel Gestaltungsfreiheit hatte, wollte ich nicht mehr 40 Stunden angestellt sein und in die Arbeit fahren. Zu Hause hatte ich nebenbei schon meinen kleinen Betrieb mit Freiland-Mastschweinen und Direktvermarktung, in dem ich vor und nach der Arbeit zu tun hatte.

VETMED: Und arbeiten Sie jetzt weniger?

Hagmüller: Es geht wohl eher um die Zeitautonomie. Ich bin happy, weil ich jetzt 100% fachlich arbeite, muss weder Anträge noch Berichte verfassen, habe keine Projektvorgaben und keine Abstimmungen. Der Pferdefuß ist, dass sich selbst für mein Einkommen sorgen muss. Aber ich war auch nicht mehr im Aufbau: das Haus ist abbezahlt, unsere 4 Kinder zum Teil schon aus dem Haus und meine Frau führt eine Kleintierordination – ich muss(te) niemandem mehr etwas beweisen.

VETMED: Aber wie sind Sie genau vom Rind aufs Schwein gekommen?

Hagmüller: Bis zur Dissertation war ich voll auf dem Rindertrip. Für den Sohn eines Milchviehbauern ist das Schwein erst einmal ein Tier zweiter Klasse, uninteressant und es stinkt. Dann habe ich einen Vortrag von Martina Jugl-Chizzola zum Thema Phytotherapie bei Schweinen gehört. Mir wurde klar, dass wir über alternative Haltungsformen zuwenig wissen, weil die meisten Schweine in Massentierhaltung leben. Wir haben am Institut in Wels einen Rinder- auf einen Schweinestall umgebaut, parallel habe ich in Oftering meinen Betrieb mit Wiesenschweinen aufgebaut. Im Studium gab es damals noch keine Spezialisierung also war da viel learning by doing. Es war für mich ganz gut nicht zu vorgeprägt zu sein, sondern neugierig auf das neue Tier, um es besser kennenzulernen. Schweine lassen sich im Verhalten sehr gut über den Stallbau lenken, weil sie so intelligent sind. Meinen Schwerpunkt habe ich also viele Jahre aufgebaut. Niemals hätte ich zu Beginn des Studiums gedacht, dass ich mal Vorträge halte oder wissenschaftlich tätig bin. An der HBLFA habe ich zu Herausforderungen immer ja gesagt. Das hat mir rückblickend eine Entwicklung ermöglicht, die sich nicht ergeben hätte, wenn es nur an mir gelegen wäre.

VETMED: Wie sieht Ihr Arbeitsalltag heute aus?

Hagmüller: Es gibt keinen, das begeistert mich. Ich habe eine tierärztliche Zulassung ohne Hausapotheke, stehe also nicht in Konkurrenz zum Tiergesundheitsdienst oder den Praktikern mit Hausapotheke. Wenn in der Region akut kein Großtierarzt erreichbar ist, rufen sie meine Frau an, bei der ich in der Ordination geringfügig angestellt bin. Dann helfe ich, weil ich es ja kann und es meine Verpflichtung ist. Aber Akutfälle mache ich ganz selten – ich bin Berater für landwirtschaftliche Betriebe zu den Themen Fütterung Management, Stallbau und Haltung immer aus der Perspektive Tiergesundheit. Von mir angeregte Veränderungen müssen nicht sofort erfolgen, sondern sollen den Tierbestand letztlich gesünder machen. Ich werde angerufen, wenn formal alles richtig gemacht wird und dennoch Probleme auftauchen oder ein Experte für Schweine angefragt wird.

VETMED: Wer ist Ihre Zielgruppe – die Bioschwein-Landwirt:innen oder konventionelle Landwirt:innen, die etwas ändern wollen?

Hagmüller: Bei den Bioschweinehalter:innen bin ich von meiner Forschungstätigkeit bekannt und biete ein Sorgentelefon an, wobei diese Beratung dann über Bioschwein Austria abgerechnet werden kann. Tierwohl wird immer mehr zum Thema und die meisten meiner Kund:innen haben eine konventionelle Haltung und wollen jetzt einen Schritt machen: mehr Platz schaffen, einen Auslauf, eine zweite Klimazone – sie wollen aus dem Eck heraus, in das sie von der Gesellschaft gedrängt werden. Es ist einfacher, wenn junge Leute von ihren Eltern den Betrieb übernehmen und sowieso investieren müssen. Da kann ich meistens wirklich gut helfen, wobei es nicht immer ein Neubau werden muss, auch im Bestand lässt sich viel machen. In einem relativ frisch hochkonventionell ausgerüsteten Betrieb, ist es schwieriger – da liefere ich realistische Einschätzungen.

VETMED: Das Hausschwein ist laufend von vielen Krankheiten bedroht. Kann man da mit ihren Konzepten etwas bewirken? 

Hagmüller: Wenn es um Stallbau geht, ist Biosicherheit ein wichtiger Teil – die Öffnung bedeutet immer auch Risiko. Ich mache immer ganz klar, dass den eigenen Tierbestand vor Infekten zu schützen, das Wichtigste ist. Als Teil der Biosicherheitskommission im Gesundheitsministerium kenne ich die Vorgaben gut.

VETMED: Sind Sie jetzt so spezialisiert, wie Sie das immer sein wollten?

Hagmüller: Meine Nische ist Tiergesundheit beim Schwein– in der Beratung von Einzelbetrieben – hier fühle ich mich als Spezialist. Ich möchte aber allen Kolleg:innen mitgeben, dass Veterinär:innen die umfassendste Ausbildung für so ein vernetztes Denken haben. Wir kennen die Zusammenhänge der Einflussfaktoren und die Konsequenzen auf die Tiergesundheit. Da dürfen wir uns auch zutrauen, wieder mehr Aspekte der Tiergesundheit zu betrachten und nicht nur Diagnostik und Therapie anzubieten.

Das Interview hat Astrid Kuffner geführt.

Annette Nigsch

Vom Bergbauernhof in die europäischen Städte

Tierärztin zu sein ist die Voraussetzung, um ihren Job zu machen. Übersiedlungsprofi zu werden, schadet nicht. Annette Nigsch ist Expertin für Tiergesundheit und Epidemiologie. Auf dem Weg dorthin waren die vielen Stationen im Rahmen der Ausbildung zum Diplomate des European College of Veterinary Public Health (ECVPH) besonders wichtig.

Steckbrief:

Fachgebiet: Tiergesundheit und Epidemiologie
Position: Leiterin des Instituts für veterinärmedizinische Untersuchungen Innsbruck (IVET)
Derzeitiger Standort: Innsbruck


Wordrap:

Ich war an der Vetmeduni ... von 1998 bis 2009
Mein Tipp an Absolvent:innen der Vetmeduni ... Mut zum Abbiegen vom Norm-Weg.
Mein Lieblingsort an der Vetmeduni ... der Probenraum der Vetmed Band mit Nachbesprechung in der ÖH-Bar.

VETMED: Wollten Sie immer Tierärztin werden? Oder war auch Berufsmusikerin eine Option? Sie haben ja am Konservatorium in Wien und Vorarlberg Bratsche studiert und in Orchestern mitgewirkt.

Annette Nigsch: Ich war tatsächlich lange gespalten, ob ich Musikerin oder Tierärztin werden möchte. Es ist einfach so: Ich kann Tierärztin sein und daneben viel und gut Musik machen, aber nicht umgekehrt. Ich bin in einem steilen, abgeschiedenen Seitental in Vorarlberg aufgewachsen, auf einem sehr kleinen Bergbauernhof mit Kühen. Dort passiert viel in Handarbeit und ich war als Kind in diese Tätigkeiten eingebunden. Wenn der Großtierpraktiker vorbeikam, war das wichtig und interessanter Besuch und hat mein Berufsbild geprägt. Musik hat man in der lokalen Kapelle gemacht.

 

VETMED: Sie waren die Erste in der Familie, die studiert hat. Wie sind Sie zurechtgekommen?

Nigsch: Es war gut für mich, als 19-Jährige diesen Schritt alleine zu machen – vom Bergdorf mitten in die Wiener Großstadt einzutauchen. Ich habe als Musikerin nebenbei Geld verdient und aufgrund meiner Herkunft die höchste Studienbeihilfe bekommen.

 

VETMED: Wie kam es nach dem Start zu Ihrer Spezialisierung?

Nigsch: Mein Ziel war Großtierpraktikerin zu werden. Dass es so etwas wie ein öffentliches Veterinärwesen gibt, war mir zu Studienbeginn nicht bekannt. Die Augen dafür geöffnet hat mir ein Wahlfach bei Hermann Unger zu „Epidemiology of Emerging Diseases“. In einem Artikel stand, dass es mehr Menschen braucht, die zwischen Tiergesundheit, Labor und Interventionen zum Schutz der Gesundheit der Menschen eine Brücke schlagen. Da wusste ich, dass ich genau das machen will Es gab nicht viele Studierende mit Interesse an Veterinary Public Health – daher auch Förderung von Seiten der Arbeitgeber. In meinem Jahrgang haben wir den Verein „Public Health Pool“ gegründet, um mehr Studierende dafür zu interessieren. Inzwischen ist diese Initiative eingeschlafen, aber wir haben einige Leute überzeugt.

 

VETMED: Sie haben 2009 bis 2012 ein Residency Programm des European College of Veterinary Public Health (ECVPH) absolviert. Wieso war das wichtig?

Nigsch: Das war eine ganz neue Welt im Vergleich zur Uni, wo in meinem Curriculum das Pflichtfach Veterinärwesen eine der letzten Mini-Prüfung war. Ich muss Tierärztin sein, um meinen Job auszuüben und habe im Studium wichtige Grundlagen gelernt. Für die Ausbildung zum Diplomate bin ich ans Royal Veterinary College in London gegangen und konnte mich drei Jahre in meinen Fachbereich intensiv weiterbilden. Epidemiologie und Statistik waren wichtig, Risk-Assessment, aber auch wie die Gesetze und internationalen Regeln im Bereich Tiergesundheit funktionieren.

 

VETMED: Sie haben von der Landesveterinärdirektion in Bregenz nach London gewechselt – ein ziemlicher Sprung.

Nigsch: Glauben Sie mir, in diese Richtung ist es leichter, als umgekehrt (lacht). Ich hatte das große Glück, dass mir meine Betreuerin freie Hand gelassen hat. In meiner Residency habe ich mir mein Programm selbst zusammengestellt und mich im Netzwerk beworben. So war ich u.a. in der Europäischen Kommission in Brüssel, bei der WHO in Kopenhagen, bei Defra in London oder SAFOSO in Bern. Man muss die Institutionen und ihre Möglichkeiten gut kennen, die Ebenen im Zusammenhang sehen, um an den richtigen Strängen ziehen zu können. Jede Erfahrung in diesem Bereich zählt. Heute bin ich selbst im Education Committee des ECVPH und lese die Lebensläufe vieler toller Menschen.

 

VETMED: Sie haben beruflich immer wieder den Ort gewechselt...

Nigsch: Stimmt! Anfang 2024 bin ich zum 25. Mal umgezogen. Das beherrsche ich inzwischen sehr gut. Den Traum vom Eigenheim mit Garten und Haustieren habe ich erst einmal aufgegeben. Mein Leben passt in eine Tasche mit Laptop, Zahnbürste und Visitenkarten.

 

VETMED: Wie sieht Ihr beruflicher Alltag bei der AGES jetzt aus? Sie sind seit Anfang 2024 Leiterin des Instituts für veterinärmedizinische Untersuchungen in Innsbruck im Geschäftsfeld Tiergesundheit?

Nigsch: Am IVET Innsbruck steht die Infektionsdiagnostik der kleinen Wiederkäuer im Fokus. Zudem sind an diesem Standort das Pathologiezentrum West, das Nationale Referenzlabor für Parasiten und Trichinen sowie das Kompetenzzentrum für alpine Wildtierkrankheiten angesiedelt. Es gibt enge Kooperationen mit praktischen und amtlichen Veterinär:innen, den Tiergesundheitsdiensten, der Jägerschaft und Tierhalter:innen. Innsbruck ist neben Mödling und Linz einer von drei IVET-Standorten der AGES, zuständig für die Überwachung von Tierseuchen in Österreich. Wir übernehmen aus Westösterreich zehntausende Proben von Nutz- und Wildtieren jährlich, ein ziemlich breites Spektrum, aber für uns Routine. Meine Mitarbeiter:innen sind in der wichtigen Labordiagnostik, mein mittelfristiges Ziel ist, zusätzlich eine Epidemiologiegruppe aufzubauen, um den Mehrwert aus den Labordaten weiter zu steigern.

 

VETMED: Sie beschäftigen sich mit Infektionsdynamik und Früherkennung – was klappt gut und wo gibt es Lücken?

Nigsch: Sehr viele Abläufe sind ab dem Zeitpunkt des Seuchen-Verdachtsfalls durch Gesetze geregelt. Ausbaufähig ist meines Erachtens die Früherkennung, die letztlich von der disease awareness draußen in den Ställen abhängt. Das ist vor allem eine Frage der Kommunikation. Was bei einem Wildtier auftritt, kann ein Nutztierthema werden, und beim Menschen ein echtes Problem. Da müssen wir schneller und durchlässiger werden. Corona hat das Thema One-Health hoch auf die Agenda gesetzt. Ein praktisches Beispiel für die Umsetzung wäre: Weiß ein Hausarzt, dass in seinem Bezirk Tularämie/Hasenpest bei Hasen oder Zecken nachgewiesen wurde, denkt er bei einem Patienten mit geschwollenen Lymphknoten differentialdiagnostisch auch daran.  Wenn umgekehrt eine Person die Diagnose Tularämie bekommt, müssen wir reagieren und uns fragen, wo sie sich angesteckt hat, um weitere Fälle zu verhindern.

 

VETMED: Sie waren fünf Jahre selbständige Beraterin. Jetzt arbeiten Sie in einer behördennahen Agentur – worin liegt für Sie der Reiz?

Nigsch: Die Entscheidung habe ich getroffen, weil ich meine Arbeit als Expertin auf den Boden bekommen möchte – dafür ist die AGES der richtige Platz. Wir müssen uns zukünftig intensiver mit Wildtieren und Vektoren beschäftigen und brauchen Kolleg:innen, die sich sektorübergreifend bei Themen der Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt auskennen. Deshalb unterrichte ich auch am FIWI. In der AGES baue ich neben meinen Führungsaufgaben gemeinsam mit Kolleg:innen aus verschiedenen Institutionen, auch der Vetmeduni, die One-Health-Überwachung aus. Dazu laufen ein nationales Stechmücken- und Zecken-Monitoring sowie die gezielte Überwachung von Vogel- und Schweine-Influenzaviren, die von der WHO, ECDC und EFSA als prioritär eingestuft wurden.

 

Alarmbereitschaft als tägliches Arbeitsumfeld: Wie gehen Sie damit um?

Nigsch: Als ich im Jänner begonnen habe, habe ich alle Mitarbeiter:innen zum Kennenlerngespräch gebeten. So wie ich arbeiten hier ganz viele „because it matters“. Permanente Alarmbereitschaft gehört dazu. Man kann es auch so sehen: Da ist Energie dahinter und die tut gut.

Das Interview hat Astrid Kuffner geführt.

Martin Appelt

Ein Veterinärmediziner zwischen Schreibtisch und Frontlinie

Der gebürtige Niederösterreicher Martin Appelt ist Senior Director des Animal Health Program und seit 20 Jahren bei der Kanadischen Veterinärbehörde (CFIA). Der ausgebildete Bundesheeroffizier und erfahrene Feuerwehrmann erzählt über unterschiedliche Behördenkulturen, die Anrechnung der Ausbildung und den Wechsel von Krems nach Ottawa.

Steckbrief:

  • FACHGEBIET:  Tierseuchenvorbeugung und -bekämpfung, Food Safety und Veterinary One Health

  • POSITION: Senior Director Animal Health Program/Canadian Food Inspection Agency (CFIA)

  • DERZEITIGER STANDORT: Ottawa/Ontario KANADA

Wordrap:

  • Ich war an der Vetmeduni ... von 1988 bis 2001
    Mein Tipp an Absolvent:innen der Vetmeduni ... Veterinärmedizin bietet eine breite Ausbildung. Aktiv den eigenen Horizont erweitern und Arbeitsgebiete innerhalb und außerhalb der traditionellen klinischen Kleintierpraxis erforschen und erfahren. Offen sein gegenüber Erfahrungen von „anderswo“.

  • Mein Lieblingsort an der Vetmeduni  ... der Botanische Garten in der „alten“ Uni an der Linken Bahnzeile. Eine Oase der Ruhe zwischen hektischen Vorlesungen und Praktika. Die „neue“ Vetmeduni habe ich am Ende meines Studiums und im Doktorat erlebt. Da war der Fokus eher auf Bibliothek und rasch einen Bissen Essen zu finden!

VETMED: Wollten Sie immer Tierarzt werden?

Martin Appelt: Ich hatte immer und habe noch mehrere Interessen: die Feuerwehr, einige Zeit war ich stark beim Bundesheer involviert und die veterinärmedizinische Expertise bei der Seuchenbekämpfung. Bei genauerem Hinsehen haben sie Gemeinsamkeiten: die Idee des Helfens oder auch regelmäßig mit einer überraschenden Situation konfrontiert zu sein, die man analysieren und lösen muss. Das spiegelt schon meine Neigungen wider. Ich war immer interessiert an Tierhaltung, weil ich die Sommer oft bei der Verwandtschaft mit Nutztieren verbracht habe. Als ich abgerüstet habe, war meine neue Vollzeitbeschäftigung das Studium. Daneben habe ich immer etwas gearbeitet, z.B. habe ich in Wien Falschparker abgeschleppt.

 

VETMED: Wie kam es zum Wechsel nach Kanada? War das schon lange Ihr Traumland?

Appelt: Mich hat die Liebe nach Kanada geführt. Wie das Leben so spielt. Ich war nach dem Diplom in einer landwirtschaftlichen Nutztierpraxis tätig, wollte aber ein Doktorat machen, also habe ich mir einen passenden Job für meine Spezialisierung auf Tierschutz und Tiertransport gesucht. Ich war zum Zeitpunkt der laufenden Beitrittsverhandlungen an der tschechischen Grenze als Amtstierarzt im Einsatz, damals eine EU-Außengrenze. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis es meinen Job nicht mehr geben würde. Ich hatte durch die Tätigkeit beim Heer und in der Seuchenbekämpfung einiges über „One Health“ gelernt und wollte in dieser Sparte weitermachen. Es ist vielleicht ein Persönlichkeitsmerkmal: Ich habe eine Abneigung gegen Positionen, wo ich mich eingesperrt fühle, ohne Möglichkeit für Aufstieg und Weiterentwicklung. 2001 fiel also meine Entscheidung mit nach Kanada zu gehen.

 

VETMED: Kanada ist bekannt dafür, qualifizierte Arbeitskräfte bevorzugt als Staatsbürger:innen anzuheuern. Lief alles glatt?

Appelt: Einwanderung als qualifizierte Arbeitskraft ist im nationalen Interesse, aber bei hoch reglementierten Berufen wie Veterinär- oder Humanmediziner:in, steuern die Berufskammern mit. Sie setzen Standards für die Profession, um die Qualität sicherzustellen und begrenzen dadurch den Zuzug. Ich habe fünf Jahre für die kanadische Lizenz gebraucht, um in meinen Beruf zurückzukehren. Das war viel Lernaufwand und eine große finanzielle Hürde.

 

VETMED: In einer Bundesbehörde, der Canadian Food Inspection Agency CFIA, haben Sie hingegen sofort Fuß gefasst. Eine beachtliche Leistung für einen „Zugroasten“?

Appelt: Ich hatte einen Kontakt in die CFIA bevor ich nach Kanada gegangen bin. Mir war klar, dass ich mich nicht sofort als Tierarzt würde niederlassen können. Das Doktorat in Tierschutz und Tiertransport war entscheidend, um als Spezialist angeworben zu werden. Die Bundesveterinärbehörde kümmert sich um Tiergesundheit, Pflanzenschutz und Lebensmittelsicherheit. In den vergangenen 20 Jahren habe ich mich vom technischen Spezialisten zum Senior Executive hinaufgearbeitet. Von den 250.000 Mitarbeiter:innen im Kanadischen Bundesdienst sind nur 2 % Executives. Da kann ich also durchaus stolz sein.

 

VETMED: Was umfasst Ihr Aufgabengebiet als Senior Director im Animal Health Program?

Appelt: Ich habe ein Team von 45 Veterinär:innen und wissenschaftlichen Spezialist:innen, die sämtliche Protokolle für die Tierseuchenbekämpfung entwickeln. Es geht um das gesamte Spektrum von Krankheiten, die man nicht einschleppen möchte, bis zu denen, die da sind und die man managen muss. Für die Einfuhrkontrollen arbeiten wir mit anderen Einheiten wie Zoll oder Polizei zusammen. Wir machen Notfallpläne und exekutieren diese, wenn erforderlich. Eine mittelbare Bundeverwaltung wie in Österreich, gibt es in Kanada so nicht. Die Bundesbehörde vereint im Haus die Mitarbeiter:innen: von der Planung bis zu den ausführenden Organen, die Maßnahmen wie Quarantäne, Keulen oder Hygiene vor Ort durchführen. 

 

VETMED: Sie haben schon angedeutet, dass sie kein Schreibtischtäter sind. Ein Kollege schreibt auf Linkedin über Sie: verlässlich und professionell, leading people and getting stuff done. Was vereint Ihr Verwaltungsjob alles?

Appelt: In meiner Rolle kann ich das Büro verlassen und an die Frontlinie fahren – das tue ich auch. Es hilft immer, wenn man die Auswirkungen seiner eigenen Pläne erlebt. Die Verwaltung tickt in der Mentalität insgesamt anders. Als gelernter Österreicher hatte ich eine Vorstellung, wie eine Behörde mit ihren Vorgaben und Regeln funktioniert. Im kanadischen System passiert viel im Konsens, obwohl das Gesetz die CFIA als zuständige Behörde ausweist. Hier wird in vielen Vorgesprächen mit allen Beteiligten das Vorgehen abgestimmt bevor es eine Vorschrift wird. Es gibt weniger den Hierarchie-Hammer und mehr amikale Gespräche mit Partnern und der Wirtschaft über den Plan, die Ziele und das Vorgehen. Dieses betont konsensorientierte Arbeiten war neu für mich.

 

VETMED: Über die Hürden bis zur Lizenz haben wir schon gesprochen. Wie gut hat sie die Ausbildung an der VetMed insgesamt auf Ihre Tätigkeiten vorbereitet?

Appelt: Die Ausbildung hat sich seit den 1990ern bestimmt verändert. Ich war im klinischen Jahr in Dublin an der Universität also in das angloamerikanische System eingebunden. Da wirst du praktisch gedrillt, um als Tierarzt gewisse Tätigkeiten sicher ausüben zu können. Du hast fix einen Platz im Praktikum und musst gewisse Standards erreichen. Es ist im Vergleich ein sehr verschultes System, mit Klassengemeinschaft und einem persönlichen Verhältnis mit den Lehrenden. An der Vetmed damals ging es um Eigenverantwortung, Planung, Vorausdenken und sich einen funktionierenden Lehrplan zu erstellen. Das fordert ein gewisses „Aufgewecktsein“, ist aber wesentlich anonymer. Ich habe ganz sicher von beiden Systemen profitiert.

 

VETMED: Auf ihrem Profilbild tragen sie einen Feuerwehrhelm. War es einfacher hier Fuß zu fassen, als bei der Anerkennung als Tierarzt?

Appelt: Ich habe mit 12 Jahren bei der Feuerwehrjugend begonnen. Meine Eltern dachten, das wäre nur eine Phase. Meine Engagement in Krems aufzugeben, war schwierig für mich. In Ottawa habe ich zunächst in einem Museumsverein historische Objekte restauriert. Im Stadtkern von Ottawa gibt es eine Berufsfeuerwehr, die umliegenden Gemeinden haben jeweils eine eigene Feuerwehr mit Teilzeitkräften, die heute über eine Handy-App organisiert sind. 2005 haben meine Frau und ich uns ein Haus am Stadtrand von Ottawa gekauft. Ich war unterwegs dorthin mit einem neuen Kühlschrank auf einem Anhänger, aber mein erster Weg führte mich zum Aufnahmegespräch für die Feuerwehr Ottawa „Rural Division“, wo ich mittlerweile Offizier (Lieutenant) bin. Grundaufgabe der Feuerwehr ist die unmittelbare Gefahrenbeseitigung z.B. leisten wir erweiterte Notfallhilfe bei lebensbedrohlichen medizinischen Notfällen, kommen nach Verkehrsunfällen und, natürlich, bei Bränden. Naturgefahren sind ein Thema: Überflutungen, Flurbrände und ein Tornado war auch schon dabei. Die Entfernungen sind im Vergleich enorm.

 

Was vermissen Sie an Krems?

Appelt: Abgesehen von Familie und Freunden? Die Mehlspeisen der Konditorei Raimitz.

 

Das Interview hat Astrid Kuffner geführt.

Andreas Meißl

Vom Mechaniker zum Tierarzt

Andreas Meißl ist mit dreißig in seine Heimatgemeinde in Kärnten zurückgekehrt und arbeitet seit Ende 2022 gemeinsam mit seiner Partnerin als Ortstierarzt und in fahrender Praxis. Im Lavanttal herrscht noch kein Mangel an Veterinär:innen. An der Geflügelpraxis bereiten ihm die detektivischen Züge gelungener Bestandsbetreuung Freude.

Steckbrief:

  • FACHGEBIET:  Geflügel

  • POSITIONSBESCHREIBUNG: Tierarztpraxis und fahrender Tierarzt

  • DERZEITIGER STANDORT: St. Andrä im Lavanttal/Kärnten

Wordrap:

  • Ich war an der Vetmeduni ... von 2013 bis 2019
    Mein Tipp an Absolvent:innen der Vetmeduni ... Sich nicht unter Wert verkaufen, aber das ist heute den meisten ohnehin klar. Den Mut haben, Sachen anzugehen, verschiedene Fachbereiche auszuprobieren bis man den richtigen Bereich gefunden hat. Man muss nicht dort verharren, wo man geglaubt hat, hinzugehören.

  • Mein Lieblingsort an der Vetmeduni  ... waren die ÖH-Bar und der Sportplatz

Beschreiben Sie uns einmal Ihren Heimatort St. Andrä im Lavanttal. Wer sind Ihre tierischen und menschlichen Kunden und Kundinnen?

Andreas Meißl: St. Andrä ist eine Gemeinde mit rund 9.800 Einwohner:innen im Kärtner Bezirk Wolfsberg. Sie liegt in einem mittelbreiten Tal umgeben von Gebirge. Es wird viel Ackerbau betrieben, es gibt aber auch Geflügel-, Rinder- und Schweinebauern und -bäuerinnen. Meine Partnerin und ich führen die Praxis zu zweit. Wir betreuen Kleintiere im Ort wie eine Art Hausarzt. Ihr Spezialgebiet sind Rinder. Ich bin als Geflügeltierarzt im ganzen Bezirk von Lavamünd bis Reichenfels unterwegs und teilweise auch bis nach Mittelkärnten.

 

Sie wollten immer Tierarzt werden, haben davor aber einige Umwege genommen. Wie haben Sie Ihren Traumberuf letztlich verwirklicht?

Meißl: Ich habe die Hauptschule besucht und dann eine landwirtschaftliche Fachschule. Anschließend habe ich eine Mechanikerlehre mit Matura gemacht. Ich war Lehrling in einer Baufirma und habe Bagger, LKW, Autos, Straßenwalzen und Schubraupen repariert. In der Maturaschule habe ich mich einmal in der Woche auf meine Berufsreifeprüfung vorbereitet. Ich habe die für das Veterinärmedizinstudium verpflichtende Biologieprüfung abgelegt. Auch das Latinum habe ich nachgeholt. Ich habe alles auf eine Karte gesetzt und wurde bei meiner ersten Bewerbung angenommen. Am 9.September 2013 habe ich die E-Mail-Bestätigung meiner Aufnahme auf die Vetmed Uni bekommen und eine Woche später saß ich im Hörsaal für den Physik-Auffrischungskurs. Ich hatte mir also ein Ziel gesetzt und habe auch Glück gehabt.

 

Hatten Sie Vorbilder in dem Beruf?

Meißl: Als ich ein Kind war, hatten meine Eltern einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb mit Milchkühen, Puten und Direktvermarktung von Brot, Käse, Topfen und Eiern.  Dadurch habe ich immer wieder Tierarzt-Kollegen:innen bei der Arbeit in unserem Betrieb gesehen und war davon immer sehr beeindruckt.

 

Wie sieht ein typischer Arbeitstag aus? Oder gibt es den gar nicht?

Meißl: Ein bissel Routine haben wir schon. Gerade die Geflügel-Bestandsbetreuung ist gut planbar. In der Rinderpraxis weiß man morgens manchmal nicht, wann der Tag enden wird und wie (lacht). Wir starten um 7:30 Uhr morgens, außer es ist bereits früher ein Notfall. Unter der Woche sind wir immer erreichbar und am Wochenende sind wir im Notdienstrad im Bezirk, also alle vier Wochen in Bereitschaft. Das funktioniert ausgezeichnet, da wir mit den Kollegen:innen im Bezirk sehr gut vernetzt sind.

 

Nach weiteren Stationen, über die wir noch sprechen werden, sind Sie in den Heimatort zurückgekehrt. Was haben Sie vorgefunden?

Meißl: Wir haben das schon etwas vorbereitet, da es immer mein Ziel war nach Kärnten zurückzukommen.

Die Einliegerwohnung im Elternhaus haben wir noch während des Studiums fertig gebaut. Ich wohne jetzt wieder direkt am Betrieb und habe für die Praxis 2022 ein Nebengebäude umgebaut. Das waren intensive Jahre, aber jetzt ist alles fertig. 

 

Hat Sie das Studium gut auf eine eigene Praxis vorbereitet, auch im kaufmännischen Sinn?

Meißl: Man muss ein Generalist sein. Für Schweine und Geflügel wurden wir sehr gut vorbereitet, für andere Bereiche habe ich zu Beginn dazulernen müssen, damit ich fit werde als selbständiger Tierarzt. Im Nutztierbereich bin ich firm und sicher. Bei Pferden und Kleintieren kann ich mich und meine fachlichen Grenzen gut einschätzen – da überweise ich wenn nötig an spezialisierte Kolleg:innen weiter. Als Selbstständiger braucht man sehr viel Buchhaltung, Kostenrechnung und BWL.  Die Uni gibt uns diesbezüglich leider sehr wenig Wissen mit auf den Weg. Durch meine Lehre und die Fachschule konnte ich in diesen Bereichen wesentlich mehr profitieren. Damals ist es mir langweilig und unnötig vorgekommen, aber es hat sich gezeigt: Man kann alles, was man gelernt hat, irgendwann einmal brauchen.

 

Welche Stationen und Praktika sind Ihnen besonders hängengeblieben – welche Erfahrungen waren neben dem Studium relevant?

Meißl: Besonders lehrreich war meine klinische Rotation an der Universität München, die ich während meines Studiums absolviert habe. Auch das Praktikum in einer Tierarztpraxis in Norddeutschland, welche auf Geflügelmedizin spezialisiert ist, war sehr eindrucksvoll. Sie betreut so viele Hühner, wie in ganz Österreich produziert werden. Für meine zukünftige Arbeit als Geflügeltierarzt habe ich davon enorm profitiert.

Im Bereich der Rindermedizin habe ich handwerklich viel in einem Praktikum bei Dr. Franz Schlederer gelernt. Auch während meines Wehrdienstes konnte ich als Heerestierarzt bei den Rottweilern in Kaisersteinbruch im Burgenland wertvolle Erfahrungen sammeln. Nach Abschluss meines Studiums war ich angestellt bei einem Kärntner Kollegen im Bereich der Geflügelmedizin und anschließend noch zwei Jahre in einer Tierklinik in Tirol tätig.

 

Was gefällt Ihnen an der Geflügelpraxis?

Meißl: An der Geflügelpraxis gefällt mir vor allem die Bestandsbetreuung – in meinem Fall meist Hühner, Enten und Gänse.  Dabei geht es nicht nur darum die Bestände gesund zu erhalten, sondern auch ihre Leistung zu verbessern. Wenn Probleme auftreten, ist die Diagnosefindung eine nahezu detektivische Aufgabe, bei der die Betrachtung eines Gesamtbildes – Stallklima, Lüftungsanlage, Temperatur, Fütterung etc. – eine wesentliche Rolle spielt.

 

Wie sieht es mit der Work-Life Balance aus, gerade weil Sie als Paar in der gleichen Praxis arbeiten? Wie ergänzen Sie sich?

Meißl: Da meine Partnerin und ich gemeinsam tätig sind, können wir unser Praxisgebiet zur Zufriedenheit unserer Kunden abdecken. Allein wäre dies sicher schwer möglich.  Wir haben zwei ausgestattete Praxisautos, mit denen wir unsere Patienten auch an weit entfernten Orten betreuen können. Die Kleintierordination machen wir meistens gemeinsam, ebenso große Operationen. Es ist schön und eine Bereicherung, wenn man einen Austausch bei der Arbeit hat. Natürlich ist man als Selbstständiger selbst und ständig bei der Arbeit, jedoch können wir uns durch die gute Zusammenarbeit mit den Kollegen:innen im Bezirk auch unsere freien Tage herausnehmen.

 

Im Bezirksblatt ist zum heimgekehrten Sohn der Gemeinde gleich ein Bericht erschienen – wie war es zur Nachricht zu werden?

Meißl: Spannend! In den Medien kommt nicht immer genau das an, was man meint. Einige Folgeberichte waren teilweise falsch. Es ist für mich völlig neu, dass mich plötzlich mehr Leute kennen – daran muss ich mich erst gewöhnen.

 

Welchen Rat geben Sie Studierenden?

Meißl: Sich nicht verrückt machen lassen und auf das Feiern und die Freude nicht vergessen. Die interessantesten Möglichkeiten fürs Leben ergeben sich nicht im Hörsaal. Türen gehen sowohl in Fortbildungen als auch bei Praktika auf, wenn man dafür offen ist und mit den Leuten redet.

 

Was ist Ihre Devise – worauf können sich Ihre Kund:innen verlassen?

Meißl: Wenn ich sage, dass ich erreichbar bin, dann bin ich das auch. Ich bin stets zuverlässig und freundlich und nehme mir für die Patienten und Patientinnen ausreichend Zeit.

(Das Interview hat Astrid Kuffner geführt. Stand Q4/2023)

Andreas Pichlmair

Professor für Virologie an der School of Medicine der TU München

Andreas Pichlmair ist Professor für Virologie an der School of Medicine der TU München und Leiter der Massenspektrometrie Core Facility. Aus seiner Ausbildung an der Veterinärmedizinischen Universität Wien hat er sich den Blick für den Gesamtorganismus bewahrt, auch wenn er heute die Interaktion zwischen Virus und Wirt im Zellmodell untersucht. Ziel seiner Grundlagenforschung ist, den Krankheitsverlauf und seine Treiber auf der Ebene der Proteinregulation zu verstehen.

Steckbrief:

  • FACHGEBIET:  Virologie

  • POSITIONSBESCHREIBUNG: Professor für Virologie und Leiter der Massensprektrometrie Core Facility an der School of Medicine der TU München 

  • DERZEITIGER STANDORT: München (Deutschland)

Wordrap:

  • Ich war an der Vetmeduni ... von 1996 bis zum Doktorat 2003
    Mein Tipp an Absolvent:innen der Vetmeduni ... Wenn man sich für etwas interessiert, schafft man alles. Das trägt einen sehr und lange. Ein Ziel vor Augen haben und dafür die nächsten weiteren Schritte kennen.

  • Mein Lieblingsort an der Vetmeduni  ... das Labor der Virologie und die ÖH-Bar.

Was hat Sie an die Vetmeduni geführt? Ein klassischer Tierarzt sind Sie nicht geworden. War das einmal ein Ziel?

Andreas Pichlmair: Eigentlich wollte ich Tierarzt werden, seit ich fünf Jahre alt war. Mein Vater war ein Großtierarzt mit eigener Praxis in Oberzeiring, einem Dorf in der Obersteiermark. Den Beruf fand ich schön und faszinierend. Vor allem, wie neues Leben entsteht, hat mich gefesselt. Alles, was mit Zucht, Reproduktionsmedizin und Geburten zu tun hat, aber auch Erkrankungen. Als ich mit dem Studium begann, wurde das Schaf Dolly kloniert. Ich bin an die Uni gegangen mit der Perspektive eine gewisse Zeit zu bleiben und zu forschen, hätte aber nie gedacht, dass ich einmal Professor an einer medizinischen Fakultät werde. Im Curriculum der Vetmeduni bin ich an den vorklinischen Fächern, insbesondere an der Virologie, hängengeblieben.

 

Was hat Sie geprägt in dem Umfeld? Woran merken Sie das heute noch?

Pichlmair: Der Blickwinkel auf Erkrankungen aus einer medizinischen Fachrichtung hat mich geprägt. Es haben sich in der Veterinärmedizin nicht viele Studierende auf Virologie und Infektionsmedizin spezialisiert. Ich habe mit diesem Interesse am Campus gleichsam offene Türen eingerannt und viel Unterstützung bekommen. Das hat mich bestärkt im Karriereweg. Für die Unterstützung einzelner Professoren bin ich nach wie vor sehr dankbar.

 

Was hat Sie an der Virologie so gepackt und wie kam es zu der weiteren Spezialisierung?

Pichlmair: Wenn man die Faszination für die Sache spürt, ergeben sich die Wege. Viren sind sehr kleine Pathogene mit wenigen Genen, die enorme Auswirkungen auf den Gesamtorganismus haben. Wie kann ein Organismus mit so limitierter Codierungskapazität menschliche Zellen mit 20.000 Genen infizieren und die Strukturen zur Reproduktion kapern? Diese Beziehung und Interaktion sind hoch interessant und unzureichend verstanden. Kommt es zu einer Infektion oder nicht? Erholt sich der Wirt oder verschlimmert sich das Krankheitsbild? Was sind die Determinanten eines negativen Krankheitsverlaufes? Wir sehen uns das heute auf Ebene der Proteinexpression in den Zellen an (Proteomics). Es ist ein komplexes Themengebiet, das die Erfahrungen aus meinen verschiedenen Wirkungsstätten vereint.

 

Wie Sie nach Wien kamen, haben wir besprochen. Aber wie ging es weiter mit dem Doktorat am Department für Virologie der Universität Freiburg (2002) und zum PhD bei Cancer Research UK in London (2004)?

Pichlmair: An der Vetmeduni haben wir mit retroviralen Vektoren für den Gentransfer gearbeitet, um Therapien zu entwickeln. Beim Wechsel nach Freiburg habe ich als erster aufgezeigt, als jemand gesucht wurde, der ins dortige Virologie-Labor gehen möchte. Die renommierte Uniklinik dort brachte den Wechsel in die Humanmedizin und zur Interaktion von Eiweißmolekülen mit durch Luft übertragene Erreger wie Influenza, die für Mensch und Tier wichtig sind. Es gar nicht einfach, die kritischen Meilensteine auf dem Karriereweg festzumachen. Es war wohl letztlich genauso wichtig Studienassistent zu sein, wie sich um die Professur zu bewerben.

 

Sie leiten die Massenspektrometrie Core Facility an der TU München. Wann und wie ist diese Technologie in ihr Leben getreten?

Pichlmair: Für den PhD bin ich nach London gegangen und habe dort v.a. am angeborenen Immunsystem gearbeitet. Danach stellte sich die Frage welche komplementären Technologien sich dazu eignen die Forschung am Gebiet weiterzubringen. Ich hatte das Glück, Giulio Superti-Furga kennenzulernen, der mich ans Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) in Wien geholt hat. Dort haben wir die Proteomik in Zellen mit Massenspektrometrie erforscht. Ein fantastisches Tool, um Proteine zu identifizieren, dabei auch geeignet, neue molekulare Mechanismen zu entdecken, die nicht auf der Hand liegen. Es gibt Leute, die sagen, dass man mit den -omics-Technologien hypothesenfrei arbeiten kann. Das sehe ich nicht so. Wir hatten klare Vorstellungen, was wir identifizieren wollen, und welche wichtigen Fragen wir mit dieser Technologie beantworten möchten. Die Massenspektrometrie erlaubt Einblick in ein größeres Bild, aber man braucht schon eine konkrete Vorstellung, was dort zu sehen sein kann.

 

Wie hat Sie die Ausbildung an der Vetmeduni auf ihr aktuelles Arbeitsgebiet vorbereitet?

Pichlmair: Ich glaube, man brauchte ein Fundament, auf das man aufbaut. Bei mir ist es das Verständnis für den Organismus und physiologische Vorgänge im Körper. Auch wenn wir heute an kleinen Molekülen arbeiten steht immer die Frage dahinter, wie sich das auf den Organismus und das Krankheitsgeschehen auswirkt.

 

Ist die Leitung der Core Facility vor allem eine Frage der Administration, oder sind Sie über die Methodik in ganz viele Fragestellungen eingebunden?

Pichlmair: Wir haben am CeMM rasch das Potenzial der Proteomics gesehen. Dieses Know-how habe ich dann am Max-Planck-Institut für Biochemie erweitert. Als ich den Ruf an die TU München bekommen habe, war eines der Ziele, dass wir den Bereich hier aufbauen und der lokalen Forschungslandschaft zur Verfügung stellen. Die Facility selbst bedeutet natürlich einiges an Administration. Wir sind neben unseren eigenen Projekten unterschiedlich stark involviert, teilweise nur als Dienstleister aber auch als aktive Kollaborationspartner. In der Wissenschaft sind wir keine Einzelkämpfer – die Core Facility ist ein Paradebeispiel dafür. Der Großteil meiner Arbeitszeit fließt aber in eigene Forschung und natürlich die Lehre. Ich unterrichte Virologie an der School for Life Sciences. Wir gewinnen dort auch Studierende, die bei uns mitarbeiten wollen und ich sehe es als eine meiner Aufgaben, ihre Karrierewege zu unterstützen. Im Hinterkopf habe ich oft, wie wichtig es für mich war Unterstützung in dieser Phase meiner Ausbildung zu bekommen, um das umzusetzen, was ich als wichtig erachtet habe.

 

Wir haben noch nicht über Ihre aktuelle Forschung geredet. Sie haben nach einem Consolidator Grant 2018 im Jahr 2022 einen Proof of Concept Grant des European Research Council zugesprochen bekommen. Was ist das Thema dieser Grundlagenforschung?

Pichlmair: Viren infizieren Zellen und bauen ihre Strukturen stark um, um sie zur eigenen Vermehrung verwenden können. Unter anderem ist die Proteinsynthese wichtig und wir sehen uns in vereinfachten zellulären Modellen an, welche Effekte Viren auf die Eiweißmoleküle in der Zelle haben. Welche Signalwege sich verändern oder welche Gegenmaßnahmen die Zelle trifft, um die virale Infektion zu unterbinden. Die Protein-Abundanz, also die Häufigkeit und Dichte sowie ihre Stabilität kann man nur mit Massenspektrometrie charakterisieren. Wir beobachten auf dieser Ebene wichtige regulatorische Mechanismen, die noch nicht gut verstanden sind.

Eine Virusinfektion induziert eine Fülle komplexer Prozesse, die wir im Modell aufzuklären versuchen. Validiert werden sie in komplexeren Experimenten in Patient:innen oder Tiermodellen. Ein Gesamtbild der realen Vorgänge werden wir in unserer Lebenszeit vermutlich nicht gänzlich erforschen können. Wir konzentrieren uns auf Aspekte, die man charakterisieren kann und die einen therapeutischen oder diagnostischen Nutzen haben können. Wir müssen das reduzieren und dabei nicht vergessen, dass es nur ein Teil des Bildes ist. So versuchen wir den großen Graben zwischen Anwendung und Forschung zu überbrücken.

 

Was vermissen Sie an Österreich, seit Sie den Lebensmittelpunkt nach München verlegt haben?

Pichlmair: Der Schmäh geht mir etwas ab. Das ist schon etwas Besonderes an der österreichischen Mentalität: der leichtere, lockere Umgang mit schweren Sachen. Vielleicht gründe ich hier noch eine Core Facility für Schmäh.

 

(Das Interview hat Astrid Kuffner geführt. Stand Q4/2023)